So schimpft Europa
Pöbeln, beleidigen, niedermachen: Der Sprachwissenschaftler Hans-Martin Gauger vergleicht die Schimpfwörter in verschiedenen europäischen Sprachen - und stößt dabei auf einen bemerkenswerten deutschen Sonderweg.
Der Begriff "deutscher Sonderweg" meint nichts Gutes. Das liegt an der Geschichte dieses Landes. Wer hier Sonderwege für sich reklamierte und beschritt, hatte - grob gerafft - mindestens kulturellen Dichter-und-Denker-Dünkel und schlimmstenfalls mörderisch Herrenrassiges im Sinn. Es ist also durchaus riskant, einen deutschen Sonderweg mal nicht negativ zu würdigen, und das sogar im direkten Vergleich mit anderen Wegen.
Hans-Martin Gauger hat es riskiert. Der emeritierte Freiburger Ordinarius für romanistische Sprachwissenschaft hat eine "Kleine Linguistik der vulgären Sprache" geschrieben und darin verglichen, wie auf Deutsch gepöbelt, beleidigt, niedergemacht wird – im Unterschied vor allem zu Französisch, Spanisch, Italienisch und Englisch, auch Schwedisch, Niederländisch, Ungarisch und in manchen slawischen Sprachen.
Sein Schluss: Hier gibt es einen Sonderweg. Aber – obwohl das angesichts aktueller Scharmützel vielleicht nicht jeder gern hört – zum Glück keinen deutschen, sondern einen deutschsprachigen. Auch für Schweizer und Österreicher deutscher Zunge gilt: Beim Fluchen wird praktisch ausschließlich zu Fäkalien gegriffen. Alle anderen Menschen im europäischen Sprachraum gehen sich stattdessen gegenseitig an die Genitalien, gerade wenn sie sich keine Freude machen wollen.
Gauger zeichnet am Beispiel vieler – vor allem französischer und spanischer – Wortfamilien nach, wie sich die heute gängigen Schimpfrepertoires entwickelt haben. Durch welche Bedeutungswandel kamen sexuell konnotierte, eigentlich positive Begriffe zu ihrem beleidigenden Potenzial, wie "elastisch" sind sie weiterhin. Wörter aus dem sexuell-vulgären Sprechen - Gauger ordnet es dem "Feuchten" zu - behalten einen schillernden, mehrdeutigen Wert, können sowohl negativ als auch positiv oder einfach zur Verstärkung benutzt werden.
Ganz anders beim fäkal-vulgären Sprechen - dem "Schmutzigen" zugeordnet: Das entspringt zwar auch der generellen "Elastizität" von Sprache, es sei aber, schreibt Gauger, ausschließlich negativ besetzt. Es gebe auch keine positiv-verstärkende Verbindungen mit "Scheiß" oder "Arsch" wie etwa beim englischen fucking good. Das ist als Fazit aus der linguistischen Literatur sicher richtig. Aber heutige Sprach-user aus "Prekariat" oder "Smartphone-Jugend" sind da wohl weiter.
Gauger fragt (sich) immer wieder nach dem Warum. Warum, zum Beispiel, kann man etwas Schönes wie Sex negativ aufladen? Das ist natürlich rhetorisch, wir wissen alle, dass Sexualität auch eine negative Seite hat – als Akt der Unterwerfung. Und warum nun dieser deutsch(sprachig)e Sonderweg? Hierzu zerpflückt Gauger alle Theorien von einer typisch deutschen Prüderie bis zum Freud'schen analen Zwangscharakter, um schließlich – selbst zu passen: Man weiß es nicht, es ist eben so.
Er hat sein Buch aber auch nicht für ein Fachpublikum geschrieben, dafür ist es an vielen Stellen zu ungenau. Wer sich dagegen gern im pädagogisch-lockeren Plauderton mitnehmen lässt, dem bietet es eine Menge spannender Beispiele.
Besprochen von Pieke Biermann
Hans-Martin Gauger: Das Feuchte & das Schmutzige. Kleine Linguistik der vulgären Sprache
C. H. Beck, München 2012
283 Seiten, 16,95 Euro
Hans-Martin Gauger hat es riskiert. Der emeritierte Freiburger Ordinarius für romanistische Sprachwissenschaft hat eine "Kleine Linguistik der vulgären Sprache" geschrieben und darin verglichen, wie auf Deutsch gepöbelt, beleidigt, niedergemacht wird – im Unterschied vor allem zu Französisch, Spanisch, Italienisch und Englisch, auch Schwedisch, Niederländisch, Ungarisch und in manchen slawischen Sprachen.
Sein Schluss: Hier gibt es einen Sonderweg. Aber – obwohl das angesichts aktueller Scharmützel vielleicht nicht jeder gern hört – zum Glück keinen deutschen, sondern einen deutschsprachigen. Auch für Schweizer und Österreicher deutscher Zunge gilt: Beim Fluchen wird praktisch ausschließlich zu Fäkalien gegriffen. Alle anderen Menschen im europäischen Sprachraum gehen sich stattdessen gegenseitig an die Genitalien, gerade wenn sie sich keine Freude machen wollen.
Gauger zeichnet am Beispiel vieler – vor allem französischer und spanischer – Wortfamilien nach, wie sich die heute gängigen Schimpfrepertoires entwickelt haben. Durch welche Bedeutungswandel kamen sexuell konnotierte, eigentlich positive Begriffe zu ihrem beleidigenden Potenzial, wie "elastisch" sind sie weiterhin. Wörter aus dem sexuell-vulgären Sprechen - Gauger ordnet es dem "Feuchten" zu - behalten einen schillernden, mehrdeutigen Wert, können sowohl negativ als auch positiv oder einfach zur Verstärkung benutzt werden.
Ganz anders beim fäkal-vulgären Sprechen - dem "Schmutzigen" zugeordnet: Das entspringt zwar auch der generellen "Elastizität" von Sprache, es sei aber, schreibt Gauger, ausschließlich negativ besetzt. Es gebe auch keine positiv-verstärkende Verbindungen mit "Scheiß" oder "Arsch" wie etwa beim englischen fucking good. Das ist als Fazit aus der linguistischen Literatur sicher richtig. Aber heutige Sprach-user aus "Prekariat" oder "Smartphone-Jugend" sind da wohl weiter.
Gauger fragt (sich) immer wieder nach dem Warum. Warum, zum Beispiel, kann man etwas Schönes wie Sex negativ aufladen? Das ist natürlich rhetorisch, wir wissen alle, dass Sexualität auch eine negative Seite hat – als Akt der Unterwerfung. Und warum nun dieser deutsch(sprachig)e Sonderweg? Hierzu zerpflückt Gauger alle Theorien von einer typisch deutschen Prüderie bis zum Freud'schen analen Zwangscharakter, um schließlich – selbst zu passen: Man weiß es nicht, es ist eben so.
Er hat sein Buch aber auch nicht für ein Fachpublikum geschrieben, dafür ist es an vielen Stellen zu ungenau. Wer sich dagegen gern im pädagogisch-lockeren Plauderton mitnehmen lässt, dem bietet es eine Menge spannender Beispiele.
Besprochen von Pieke Biermann
Hans-Martin Gauger: Das Feuchte & das Schmutzige. Kleine Linguistik der vulgären Sprache
C. H. Beck, München 2012
283 Seiten, 16,95 Euro