"So viele erstaunliche Lebensläufe"
Von vielen der Schriftsteller, die auf der schwarzen Liste der Nazis standen, habe er zunächst noch nie gehört gehabt, sagt Volker Weidermann, Autor des "Buchs der verbrannten Bücher". Wenn sich für zwei, drei Autoren wieder eine breitere Aufmerksamkeit fände, wäre das "wunderbar", sagt er anlässlich des Jahrestages der Bücherverbrennung am 10. Mai.
Liane von Billerbeck: Was sind das alles für Leute? Das fragt sich, wer die Namen derer liest, deren Bücher am 10. Mai 1933 auf dem Scheiterhaufen landeten. Es schien, als hätten die Nationalsozialisten nachhaltig Erfolg gehabt. Viele Autoren und ihre Werke waren aus den Bibliotheken und aus dem Gedächtnis verschwunden. Erst 1977, als der Reporter Jürgen Serke einige, die überlebt hatten, aufsuchte und über sie schrieb, erinnerte man sich an sie. Irmgard Keun beispielsweise und ihr Buch "Das kunstseidene Mädchen" erlangte danach später Berühmtheit. Jetzt hat sich der Journalist Volker Weidermann auf die Spur der Lebensläufe und Werke aller 94 Autoren gemacht, die damals als "undeutsch" verfemt und deren Bücher verbrannt wurden. Entstanden ist sein "Buch der verbrannten Bücher". Mit Volker Weidermann bin ich jetzt in Berlin telefonisch verbunden. Ich grüße Sie!
Volker Weidermann: Hallo, guten Morgen!
von Billerbeck: Wie abenteuerlich war sie, Ihre Suche nach den Autoren und Ihren Büchern?
Weidermann: Es war wirklich unglaublich abenteuerlich. Bei mir stand wirklich das Staunen am Anfang, als ich zum ersten Mal diese Liste sah und ungefähr die Hälfte der Namen dieser deutschsprachigen Autoren, die damals vor 75 Jahren, deren Bücher brannten, hatte ich noch nie vorher gehört. Und ich begann langsam das Lesen, mit den ersten Büchern, die ich mir besorgte, und habe so viele Entdeckungen machen können, so viele erstaunliche Lebensläufe entdeckt, so viele erstaunliche Bücher, dass es wirklich eine große Freude war.
von Billerbeck: Wer hat eigentlich diese Liste erstellt? Man wundert sich ja, wer auf diese Liste gekommen ist. Wo kam das her?
Weidermann: Das war ein ganz sonderbarer Fall. Damals schien auch viel dem Zufall überlassen worden zu sein. Diese ganze Bücherverbrennungsaktion hatten sich ja Studenten ausgedacht, und das war eine studentische Aktion, das Propagandaministerium war nur am Rande informiert worden. Es war alles sehr, sehr gut, perfekt eigentlich, organisiert von den Studenten, und es gab auch später eine richtige Radioinszenierung von Stadt zu Stadt.
Nur ein kleines Detail hatten die Studenten vergessen, nämlich: Welche Bücher sollen wir eigentlich verbrennen? Und da griffen sie auf eine Liste zurück, die es schon gab. Die hat ein Bibliothekar erstellt, Wolfgang Hermann hieß der, kam aus Stendal und sollte die Leihbibliotheken im Lande neu ordnen, wie es hieß. Er hatte dafür schon fleißig langfristig Listen erstellt, "nationale" Bücher, "nicht-nationale" Bücher, und auf diese Liste dieses sonderbaren Bibliothekars griff man zurück und die hatte für diese Autoren dann so fatale Folgen.
von Billerbeck: In Ihrem Buch las ich, dass man sich bei den braunen Machthabern gar nicht so sicher war, ob diese Aktion, die also von der deutschen Studentenschaft, von der nationalsozialistischen, vorbereitet worden war, so breiten Zuspruch finden würde. Warum eigentlich?
Weidermann: Man war sich einfach der Sache nicht so sicher. Goebbels selbst hat in der Nacht der Bücherverbrennung am 10. Mai in seiner Feuerrede gesagt: "Wer hätte gedacht, dass wir nach vier Monaten in Deutschland schon so weit sein würden. Wir nicht." Und das kann man ihm auch glauben. Der erste Boykott der jüdischen Geschäfte im März desselben Jahres hatte nicht ganz so gut funktioniert, wie sich das die NSDAP gewünscht hatte, und die hatte tatsächlich große Sorge, sich vor der Weltöffentlichkeit und der deutschen Öffentlichkeit mit so einer Aktion zu blamieren. Goebbels selbst hat erst am 9. Mai schriftlich seine Zusage gegeben, dass er überhaupt teilnehmen wird, weil vorher hat er gedacht, na, das kann ja peinlich werden.
von Billerbeck: Gab es eigentlich Widerstand gegen die Aufforderung, die Bücher der Autoren von dieser Liste aus den Regalen zu entfernen, aus den Bibliotheken oder gar aus den Universitäten?
Weidermann: Uns ist nichts bekann. Es ist keine Form des Widerstands bekannt, weder vorher, bei den Sammelaktionen dieser Bücher, noch dann später bei den großen öffentlichen Verbrennungen. Kein Wort des Protestes. Von Kästner gibt es das Wort, dass er dabeistand, sah, wie seine eigenen Bücher verbrannten und die Faust nur in seiner Tasche ballte, statt sie emporzurecken. Er hat sich das selbst nie verziehen, wie er sagte, aber - ja, es gab damals keinen Widerstand.
Die Menschen hatten einerseits große Angst: Was konnte passieren? Und andererseits waren es eben offenbar magische Zeiten, die die Menschen mitriss, und wo ein Feuer brannte, da ging man gerne hin. Die Sache hatte auch oft genug Volksfestcharakter geradezu, da wurden Würstchen verkauft und das war eigentlich gute Stimmung, das war eher so eine Mainacht in Berlin und vielen anderen Universitätsstädten.
von Billerbeck: Wie haben denn nun die Autoren reagiert? Sie zitieren in Ihrem Buch ja den Briefwechsel von Stefan Zweig und Joseph Roth, und da schreibt Roth: "Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben, es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen, machen Sie sich keine Illusionen, die Hölle regiert." War diese Hellsichtigkeit eigentlich unter den Schriftstellern verbreitet?
Weidermann: Da gab es nicht viele, die das so sahen. Viele haben gedacht, na, das ist ja ein kurzer Spaß, der vorbeigehen wird, gerade - Sie haben Stefan Zweig erwähnt. Auch viele Juden waren dabei, die dachten, na ja, wenn ich kein Kommunist bin, wenn ich mich nicht auffällig verhalte, irgendwie werde ich doch drum herumkommen, irgendwie werden meine Bücher doch in Deutschland noch möglich sein. Da gab es viele, die lange Zeit versuchten, Kompromisse zu machen. Ist ja auch klar, wer konnte das glauben, dass mit dieser Aktion oder mit dem Machtantritt der Nazis und dieser symbolischen Bücherverbrennung es tatsächlich so weit sein würde, dass all diese Bücher nicht mehr erscheinen können, dass all diese Menschen das Land verlassen müssen.
von Billerbeck: Interessant ist ja auch, wer nicht auf dem Scheiterhaufen landete, wessen Bücher da also nicht verbrannt wurden. Da waren zwar die Bücher von Klaus und Heinrich Mann dabei, aber Thomas Manns Bücher beispielsweise blieben verschont. Woran lag das?
Weidermann: Na ja, das war eben auch: Von beiden Seiten wartete man ab, das sogenannte Dritte Reich brauchte natürlich Repräsentationsschriftsteller, irgendeinen führenden Kopf von internationalem Format brauchte man ja. Gut, man konnte Gerd Hauptmann gewinnen, ja, aber der war nun auch schon sehr, sehr alt. Gottfried Benn war nun wirklich ein heikler Geselle. Ernst Jünger wusste man auch nicht genau, und Thomas Mann hatte zumindest ja sehr nationalistische Anfänge gehabt und auch trotz seiner republikanischen Wende war man da nicht ganz sicher, ob man ihn nicht noch gewinnen könnte. Und Thomas Mann selbst war natürlich so von seinem Deutschtum durchdrungen, dass er lange Zeit kämpfte, um die Verbindung zu Deutschland, auch zu diesem Deutschland, zu bewahren.
von Billerbeck: Das "Buch der verbrannten Bücher" nennen Sie Ihr Buch. Das klingt so ein bisschen nach der Bibel der verfilmten deutschen Literatur. Nun waren ja nicht alle so berühmt wie Bertolt Brecht oder Arthur Schnitzler, deren Bücher da verbrannt wurden. Welche literarischen Entdeckungen haben Sie denn bei Ihrer Suche nach diesen verfemten Autoren und ihren Büchern gemacht?
Weidermann: Es gab ganz zahlreiche Bücher, die ich wirklich mit großer Freude gelesen habe. Besonders bewegt hat mich vielleicht zum Beispiel die Reporterin Maria Leitner, die in den 20er-Jahren in Amerika Reportagen geschrieben hat, sozial engagierte Reportagen, in der ganzen Welt unterwegs war, auf Inseln, deren Namen ich vorher noch nie gehört hatte und die dann später, nach 1933 - sie war Jüdin - nach Deutschland zurückkehrte und das Heine-Zimmer suchte in Düsseldorf .
Dort stieß sie auf Erschrecken und fand lauter Übersetzungen des Heine-Dichters, von dem die Nazis sagten, das ist eigentlich kein deutscher Dichter mehr. Die Spur verliert sich 1941 in Südfrankreich. Wahrscheinlich ist sie verhungert. Das ist nur eins von vielen Schicksalen, das mich unglaublich bewegt hat, weil ihr Name tatsächlich völlig verschwunden ist und die Bücher, die sie geschrieben hat, sind so wunderbar und das wäre schon sehr schön, wenn sie eine Form von Aufmerksamkeit wieder finden würde.
von Billerbeck: Morgen jährt sich zum 75. Mal der Tag der Bücherverbrennung durch die Nazis 1933. Wir sprechen mit Volker Weidermann, der ein "Buch der verbrannten Bücher" geschrieben hat. Man hätte ja annehmen können, dass die Alliierten nach Kriegsende dafür sorgen würden, dass diese Dichter wieder schnell ins öffentliche Bewusstsein und auch in die Bibliotheken zurückkehren. Ist das geschehen, und wie unterschiedlich ist das gelaufen in der Westzone und in der sowjetischen Besatzungszone?
Weidermann: Es ist schon geschehen, aber relativ zurückhaltend. Man muss tatsächlich unterscheiden, klar, die ostdeutsche Besatzungszone, das war natürlich sehr engagiert. Da ist Johannes R. Becher in der ersten Maschine mit Ulbricht zusammen zurückgeflogen nach Deutschland, um die Exilanten zurückzurufen und hat auch einige zurückgerufen, die dann meist eine Art Repräsentationsleben dort führen konnten, wie Arnold Zweig und Anna Seghers und Becher selbst und vor allem natürlich Bertolt Brecht, der eigentlich als einziger all dieser verbrannten Autoren wirklich noch ein großes, leuchtendes, zweites Leben hatte.
Im Westdeutschen war es natürlich völlig anders. Es ist immer wieder erschütternd zu sehen, wie auch die Berühmten von damals aus der Weimarer Republikzeit, die sich über die zwölf Jahre den Glauben an das bessere Deutschland bewahrt hatten, die draußen gekämpft hatten, gewartet hatten und jetzt zurückeilten nach Deutschland und dann wie Klaus Mann und Döblin feststellen wollten, ja, hier interessiert sich kein Mensch für uns, und die dann wieder reimmigrierten wie Döblin, sich umbrachten wie Klaus Mann oder wie Armin T. Wegner und Irmgard Keun über 30 Jahre wie Gespenster im Land lebten, ohne Publikum, unerkannt von den Menschen. Niemand kannte sie, niemand las ihre Bücher. Sie schrieben nicht mehr. Sie konnten nicht mehr schreiben und sie waren praktisch lebendig tot.
von Billerbeck: Irmgard Keun haben Sie erwähnt, deren Buch "Das kunstseidene Mädchen" hat ja einen regelrechten Boom erlebt und zwar 1977, nachdem der Reporter Jürgen Serke sein Buch "Die verbrannten Dichte" veröffentlicht hat und da einige von denen besucht hat. Hoffen Sie auf eine Renaissance auch von denen, die Sie in Ihrem Buch beschreiben?
Weidermann: Von einigen, das wäre schon sehr, sehr schön. Mir ist es erst mal wichtig oder es ist schön, all diese Leben noch mal wieder aufstehen zu lassen. Es ist ja wirklich noch gar nicht lange her, 75 Jahre. Was für Bücher dort geschrieben wurden, was für engagierte Lebensgeschichten zu finden waren, das hat mich schon gefreut. Aber wenn sich zwei, drei oder vier Autoren fänden, die tatsächlich wieder ein Publikum finden, die einen Verlag finden und eine breitere Aufmerksamkeit, das wäre natürlich wunderbar, klar.
von Billerbeck: Die Autoren, deren Bücher 1933 als "undeutsch" verbrannt wurden, waren unser Thema im Gespräch mit Volker Weidermann, der ein "Buch der verbrannten Bücher" geschrieben hat, das gerade bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Ich danke Ihnen!
Weidermann: Ich danke Ihnen!
Volker Weidermann: Hallo, guten Morgen!
von Billerbeck: Wie abenteuerlich war sie, Ihre Suche nach den Autoren und Ihren Büchern?
Weidermann: Es war wirklich unglaublich abenteuerlich. Bei mir stand wirklich das Staunen am Anfang, als ich zum ersten Mal diese Liste sah und ungefähr die Hälfte der Namen dieser deutschsprachigen Autoren, die damals vor 75 Jahren, deren Bücher brannten, hatte ich noch nie vorher gehört. Und ich begann langsam das Lesen, mit den ersten Büchern, die ich mir besorgte, und habe so viele Entdeckungen machen können, so viele erstaunliche Lebensläufe entdeckt, so viele erstaunliche Bücher, dass es wirklich eine große Freude war.
von Billerbeck: Wer hat eigentlich diese Liste erstellt? Man wundert sich ja, wer auf diese Liste gekommen ist. Wo kam das her?
Weidermann: Das war ein ganz sonderbarer Fall. Damals schien auch viel dem Zufall überlassen worden zu sein. Diese ganze Bücherverbrennungsaktion hatten sich ja Studenten ausgedacht, und das war eine studentische Aktion, das Propagandaministerium war nur am Rande informiert worden. Es war alles sehr, sehr gut, perfekt eigentlich, organisiert von den Studenten, und es gab auch später eine richtige Radioinszenierung von Stadt zu Stadt.
Nur ein kleines Detail hatten die Studenten vergessen, nämlich: Welche Bücher sollen wir eigentlich verbrennen? Und da griffen sie auf eine Liste zurück, die es schon gab. Die hat ein Bibliothekar erstellt, Wolfgang Hermann hieß der, kam aus Stendal und sollte die Leihbibliotheken im Lande neu ordnen, wie es hieß. Er hatte dafür schon fleißig langfristig Listen erstellt, "nationale" Bücher, "nicht-nationale" Bücher, und auf diese Liste dieses sonderbaren Bibliothekars griff man zurück und die hatte für diese Autoren dann so fatale Folgen.
von Billerbeck: In Ihrem Buch las ich, dass man sich bei den braunen Machthabern gar nicht so sicher war, ob diese Aktion, die also von der deutschen Studentenschaft, von der nationalsozialistischen, vorbereitet worden war, so breiten Zuspruch finden würde. Warum eigentlich?
Weidermann: Man war sich einfach der Sache nicht so sicher. Goebbels selbst hat in der Nacht der Bücherverbrennung am 10. Mai in seiner Feuerrede gesagt: "Wer hätte gedacht, dass wir nach vier Monaten in Deutschland schon so weit sein würden. Wir nicht." Und das kann man ihm auch glauben. Der erste Boykott der jüdischen Geschäfte im März desselben Jahres hatte nicht ganz so gut funktioniert, wie sich das die NSDAP gewünscht hatte, und die hatte tatsächlich große Sorge, sich vor der Weltöffentlichkeit und der deutschen Öffentlichkeit mit so einer Aktion zu blamieren. Goebbels selbst hat erst am 9. Mai schriftlich seine Zusage gegeben, dass er überhaupt teilnehmen wird, weil vorher hat er gedacht, na, das kann ja peinlich werden.
von Billerbeck: Gab es eigentlich Widerstand gegen die Aufforderung, die Bücher der Autoren von dieser Liste aus den Regalen zu entfernen, aus den Bibliotheken oder gar aus den Universitäten?
Weidermann: Uns ist nichts bekann. Es ist keine Form des Widerstands bekannt, weder vorher, bei den Sammelaktionen dieser Bücher, noch dann später bei den großen öffentlichen Verbrennungen. Kein Wort des Protestes. Von Kästner gibt es das Wort, dass er dabeistand, sah, wie seine eigenen Bücher verbrannten und die Faust nur in seiner Tasche ballte, statt sie emporzurecken. Er hat sich das selbst nie verziehen, wie er sagte, aber - ja, es gab damals keinen Widerstand.
Die Menschen hatten einerseits große Angst: Was konnte passieren? Und andererseits waren es eben offenbar magische Zeiten, die die Menschen mitriss, und wo ein Feuer brannte, da ging man gerne hin. Die Sache hatte auch oft genug Volksfestcharakter geradezu, da wurden Würstchen verkauft und das war eigentlich gute Stimmung, das war eher so eine Mainacht in Berlin und vielen anderen Universitätsstädten.
von Billerbeck: Wie haben denn nun die Autoren reagiert? Sie zitieren in Ihrem Buch ja den Briefwechsel von Stefan Zweig und Joseph Roth, und da schreibt Roth: "Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben, es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen, machen Sie sich keine Illusionen, die Hölle regiert." War diese Hellsichtigkeit eigentlich unter den Schriftstellern verbreitet?
Weidermann: Da gab es nicht viele, die das so sahen. Viele haben gedacht, na, das ist ja ein kurzer Spaß, der vorbeigehen wird, gerade - Sie haben Stefan Zweig erwähnt. Auch viele Juden waren dabei, die dachten, na ja, wenn ich kein Kommunist bin, wenn ich mich nicht auffällig verhalte, irgendwie werde ich doch drum herumkommen, irgendwie werden meine Bücher doch in Deutschland noch möglich sein. Da gab es viele, die lange Zeit versuchten, Kompromisse zu machen. Ist ja auch klar, wer konnte das glauben, dass mit dieser Aktion oder mit dem Machtantritt der Nazis und dieser symbolischen Bücherverbrennung es tatsächlich so weit sein würde, dass all diese Bücher nicht mehr erscheinen können, dass all diese Menschen das Land verlassen müssen.
von Billerbeck: Interessant ist ja auch, wer nicht auf dem Scheiterhaufen landete, wessen Bücher da also nicht verbrannt wurden. Da waren zwar die Bücher von Klaus und Heinrich Mann dabei, aber Thomas Manns Bücher beispielsweise blieben verschont. Woran lag das?
Weidermann: Na ja, das war eben auch: Von beiden Seiten wartete man ab, das sogenannte Dritte Reich brauchte natürlich Repräsentationsschriftsteller, irgendeinen führenden Kopf von internationalem Format brauchte man ja. Gut, man konnte Gerd Hauptmann gewinnen, ja, aber der war nun auch schon sehr, sehr alt. Gottfried Benn war nun wirklich ein heikler Geselle. Ernst Jünger wusste man auch nicht genau, und Thomas Mann hatte zumindest ja sehr nationalistische Anfänge gehabt und auch trotz seiner republikanischen Wende war man da nicht ganz sicher, ob man ihn nicht noch gewinnen könnte. Und Thomas Mann selbst war natürlich so von seinem Deutschtum durchdrungen, dass er lange Zeit kämpfte, um die Verbindung zu Deutschland, auch zu diesem Deutschland, zu bewahren.
von Billerbeck: Das "Buch der verbrannten Bücher" nennen Sie Ihr Buch. Das klingt so ein bisschen nach der Bibel der verfilmten deutschen Literatur. Nun waren ja nicht alle so berühmt wie Bertolt Brecht oder Arthur Schnitzler, deren Bücher da verbrannt wurden. Welche literarischen Entdeckungen haben Sie denn bei Ihrer Suche nach diesen verfemten Autoren und ihren Büchern gemacht?
Weidermann: Es gab ganz zahlreiche Bücher, die ich wirklich mit großer Freude gelesen habe. Besonders bewegt hat mich vielleicht zum Beispiel die Reporterin Maria Leitner, die in den 20er-Jahren in Amerika Reportagen geschrieben hat, sozial engagierte Reportagen, in der ganzen Welt unterwegs war, auf Inseln, deren Namen ich vorher noch nie gehört hatte und die dann später, nach 1933 - sie war Jüdin - nach Deutschland zurückkehrte und das Heine-Zimmer suchte in Düsseldorf .
Dort stieß sie auf Erschrecken und fand lauter Übersetzungen des Heine-Dichters, von dem die Nazis sagten, das ist eigentlich kein deutscher Dichter mehr. Die Spur verliert sich 1941 in Südfrankreich. Wahrscheinlich ist sie verhungert. Das ist nur eins von vielen Schicksalen, das mich unglaublich bewegt hat, weil ihr Name tatsächlich völlig verschwunden ist und die Bücher, die sie geschrieben hat, sind so wunderbar und das wäre schon sehr schön, wenn sie eine Form von Aufmerksamkeit wieder finden würde.
von Billerbeck: Morgen jährt sich zum 75. Mal der Tag der Bücherverbrennung durch die Nazis 1933. Wir sprechen mit Volker Weidermann, der ein "Buch der verbrannten Bücher" geschrieben hat. Man hätte ja annehmen können, dass die Alliierten nach Kriegsende dafür sorgen würden, dass diese Dichter wieder schnell ins öffentliche Bewusstsein und auch in die Bibliotheken zurückkehren. Ist das geschehen, und wie unterschiedlich ist das gelaufen in der Westzone und in der sowjetischen Besatzungszone?
Weidermann: Es ist schon geschehen, aber relativ zurückhaltend. Man muss tatsächlich unterscheiden, klar, die ostdeutsche Besatzungszone, das war natürlich sehr engagiert. Da ist Johannes R. Becher in der ersten Maschine mit Ulbricht zusammen zurückgeflogen nach Deutschland, um die Exilanten zurückzurufen und hat auch einige zurückgerufen, die dann meist eine Art Repräsentationsleben dort führen konnten, wie Arnold Zweig und Anna Seghers und Becher selbst und vor allem natürlich Bertolt Brecht, der eigentlich als einziger all dieser verbrannten Autoren wirklich noch ein großes, leuchtendes, zweites Leben hatte.
Im Westdeutschen war es natürlich völlig anders. Es ist immer wieder erschütternd zu sehen, wie auch die Berühmten von damals aus der Weimarer Republikzeit, die sich über die zwölf Jahre den Glauben an das bessere Deutschland bewahrt hatten, die draußen gekämpft hatten, gewartet hatten und jetzt zurückeilten nach Deutschland und dann wie Klaus Mann und Döblin feststellen wollten, ja, hier interessiert sich kein Mensch für uns, und die dann wieder reimmigrierten wie Döblin, sich umbrachten wie Klaus Mann oder wie Armin T. Wegner und Irmgard Keun über 30 Jahre wie Gespenster im Land lebten, ohne Publikum, unerkannt von den Menschen. Niemand kannte sie, niemand las ihre Bücher. Sie schrieben nicht mehr. Sie konnten nicht mehr schreiben und sie waren praktisch lebendig tot.
von Billerbeck: Irmgard Keun haben Sie erwähnt, deren Buch "Das kunstseidene Mädchen" hat ja einen regelrechten Boom erlebt und zwar 1977, nachdem der Reporter Jürgen Serke sein Buch "Die verbrannten Dichte" veröffentlicht hat und da einige von denen besucht hat. Hoffen Sie auf eine Renaissance auch von denen, die Sie in Ihrem Buch beschreiben?
Weidermann: Von einigen, das wäre schon sehr, sehr schön. Mir ist es erst mal wichtig oder es ist schön, all diese Leben noch mal wieder aufstehen zu lassen. Es ist ja wirklich noch gar nicht lange her, 75 Jahre. Was für Bücher dort geschrieben wurden, was für engagierte Lebensgeschichten zu finden waren, das hat mich schon gefreut. Aber wenn sich zwei, drei oder vier Autoren fänden, die tatsächlich wieder ein Publikum finden, die einen Verlag finden und eine breitere Aufmerksamkeit, das wäre natürlich wunderbar, klar.
von Billerbeck: Die Autoren, deren Bücher 1933 als "undeutsch" verbrannt wurden, waren unser Thema im Gespräch mit Volker Weidermann, der ein "Buch der verbrannten Bücher" geschrieben hat, das gerade bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Ich danke Ihnen!
Weidermann: Ich danke Ihnen!