"So wie du auf die Welt kommst, so gehst du wieder"
Solange ein Verstorbener nicht beerdigt ist, kann seine Seele nicht in den Garten Eden aufsteigen. Vom Garten Eden sprechen Juden, wenn Christen vom "Himmel" reden. In Israel werden Tote deshalb innerhalb eines Tages beerdigt.
Julien-Chaim Soussan: "Wir haben verschiedene Trauerzeiten. Ich glaube, dass das deshalb so wichtig ist, weil es den Menschen so ein Gerüst gibt, an dem sie sich wieder ins normale Leben hinein bewegen können."
Julien Chaim Soussan muss häufig Trauernden Trost zusprechen und ihnen helfen, mit dem Schmerz über den Verlust eines Angehörigen, zurechtzukommen. Er ist Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.
"Die erste Reaktion, die Menschen meistens haben, wenn sie von dem Verlust eines nahen Verwandten hören, ist ein Ablehnen, ein Nicht-akzeptieren-wollen. Ich suche einen Verantwortlichen, einen Schuldigen, in letzter Instanz ist das natürlich Gott. Das ist auch der Grund, bis zu dem Tag der Beerdigung, bis dahin brauchen die keine Gebote zu erfüllen. Sie brauchen keinen Segenssprüche zu sagen, denn man hat Angst, dass sich das in das Gegenteil umkehrt. Man hadert mit Gott."
Trauernde, so will es die jüdische Tradition, sollen sich diesen Gefühlen ganz hingeben können – insbesondere wenn sie ein Elternteil, ihr Kind, ein Geschwister oder den Ehepartner verloren haben. Für ihren Zorn, ihre Zweifel und ihren Schmerz wird ihnen Zeit gegeben. Mit der Beerdigung, zum Beispiel, haben sie deshalb nichts zu tun.
Es ist die Gemeinde, die im Judentum die Toten beerdigt - und das vollbringt sie so schnell wie möglich, meist in ein bis zwei Tagen. Zuständig sind dafür in jeder jüdischen Gemeinde einige Männer und Frauen. Sie werden in einen besonderen Bestattungsverein berufen, die Chewra Kadischa. Das ist Hebräisch und bedeutet "heilige Vereinigung". Es gilt als eine besondere Ehre, diese Aufgabe wahrzunehmen. Die Chewra Kadischa – nicht ein Beerdigungsinstitut – ist es auch, die im Wortsinne die Toten beerdigt. Ihre Mitglieder werfen die Erde auf den Sarg, sie füllen das Grab. Aber zuerst bereiten die sie den Toten vor. Sie vollziehen die "Tahara", die Waschung, das rituelle Bad. Yitzhak Hönig, Kantor der Synagogengemeinde zu Köln:
"Dann kommt das Ritualbad. Aber es ist selten, dass eine Gemeinde auf ihrem Friedhof eine Mikwe, also ein Ritualbad, hat. Deshalb muss eine Menge Wasser auf die Leiche kommen. Bei uns sind das drei große Eimer."
Mit diesem Bad soll der oder die Verstorbene rituell in die Nähe des Zustandes versetzt werden, mit dem er oder sie einst auf die Welt kam. Denn der Tod gilt als ein Abschied von allem, was zu Lebzeiten erworben wurde. Der Leichnam wird deshalb auch nicht geschmückt oder etwa in einem Anzug beerdigt. Nach der rituellen Reinigung kleidet die Chewra Kadischa ihn in ein grob genähtes Sterbekleid aus Leinen oder Baumwolle und legt ihn in einen sehr schlichten schmucklosen Sarg. Er sieht für Reiche wie für Arme gleich aus. Jede Art der Grabbeigabe ist ausgeschlossen.
Yitzhak Hönig: "Das Ziel ist, so wie du auf die Welt kommst, so gehst du wieder."
Für die Trauernden ist auch jetzt nichts zu tun. Das bleibt die ganze Woche nach der Beerdigung so. Sieben Tage lang sollen Trauernde weder arbeiten noch irgendwelche anderen Alltagsverrichtungen besorgen. Stattdessen sollen sie sich in ihrer Wohnung aufhalten, Besuch empfangen, möglichst niedrig auf kleinen Schemeln oder auf dem Boden "Schiwa" sitzen und andere machen lassen. Schiwa ist Hebräisch und bedeutet Sieben. Die Trauernden sollen sich nicht rasieren, sie sollen ihre Haare nicht schneiden, sich nicht schminken, keinen Schmuck und keine Lederschule tragen. Im Gegenteil: Ihre Körperpflege und ihre äußere Erscheinung sollen sie bewusst vernachlässigen.
Julien-Chaim Soussan: "Wir haben zum Beispiel das Ritual, dass man ein Kleidungsstück, ein Hemd oder einen Pullover einreißt: Ein äußeres Zeichen. In Trauergespräch erlebe ich das dann oft, dass die Leute sagen 'Ich muss das niemand zeigen, ich fühl das innen'. Und oftmals wird’s dann doch gemacht, weil erkannt wird, dass dieses formalisierte Handeln, das Nach-außen-zeigen, sich an Regel halten einfach Stabilität wieder zurückgibt."
Wenn alles so erfolgt, wie es gelehrt wird, tragen vom Kochen bis zum Beten andere die Verantwortung: Verwandte, Freunde und Nachbarn. Sie zünden eine Kerze für den Verstorbenen, sie lesen mit dem Trauernden Tora. Trauernde werden nicht allein gelassen, so der Anspruch. Im Alltag allerdings muss man allerdings mit weniger auskommen. Zum Beispiel mit abendlichen Besuchen:
"Einen bestimmten Zeitpunkt vereinbaren. Abends 19 Uhr ist oft günstig, weil Leute von der Arbeit schon zurück sind. Dann lernt man gemeinsam, sagt ein Kaddisch, eben dieses Trauergebet, und dann nimmt man ne Kleinigkeit zu sich, um auch noch einen Segensspruch zu sagen. Denn die Idee ist, dass all das, was wir an Geboten erfüllen für den Verstorbenen ihm angerechnet wird als Verdienst und sich noch positiv auswirkt auf sein Konto, mit dem er sozusagen im Himmel geprüft wird."
Die Anforderungen an die Trauernden werden nach der ersten Woche für die restlichen Tage der dreißigtägigen Trauerzeit lockerer. Tatsächlich ist es aber so, dass heute viele Juden in Deutschland Probleme haben, sich auf solche Regeln überhaupt einzulassen. Oft ist der Kreis der Verwandten und Freunde nicht groß genug, um eine intensive Betreuung zu gewährleisten. Oder diese Bräuche passen nicht zu dem, was man bisher kannte oder sich ins gegenwärtige Leben fügt. Die mehr als 80 Prozent Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion können selten etwas damit anfangen. In ihrer alten Heimat spielten jüdische Traditionen bei der Bestattung kaum eine Rolle. Entsprechend ist die Reaktion vieler, wenn die Gemeinde helfen will. Der Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Julien Chaim Soussan:
"Also, da findet man natürlich alles – von inhaltlicher Ablehnung, man sagt dann, das ist nichts für mich, bis hin zu Menschen, die bis dahin vielleicht noch gar nichts mit Religion am Hut hatten, die in dem Moment doch froh sind, dass es etwas gibt, an dem sie festhalten können."
Julien Chaim Soussan muss häufig Trauernden Trost zusprechen und ihnen helfen, mit dem Schmerz über den Verlust eines Angehörigen, zurechtzukommen. Er ist Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.
"Die erste Reaktion, die Menschen meistens haben, wenn sie von dem Verlust eines nahen Verwandten hören, ist ein Ablehnen, ein Nicht-akzeptieren-wollen. Ich suche einen Verantwortlichen, einen Schuldigen, in letzter Instanz ist das natürlich Gott. Das ist auch der Grund, bis zu dem Tag der Beerdigung, bis dahin brauchen die keine Gebote zu erfüllen. Sie brauchen keinen Segenssprüche zu sagen, denn man hat Angst, dass sich das in das Gegenteil umkehrt. Man hadert mit Gott."
Trauernde, so will es die jüdische Tradition, sollen sich diesen Gefühlen ganz hingeben können – insbesondere wenn sie ein Elternteil, ihr Kind, ein Geschwister oder den Ehepartner verloren haben. Für ihren Zorn, ihre Zweifel und ihren Schmerz wird ihnen Zeit gegeben. Mit der Beerdigung, zum Beispiel, haben sie deshalb nichts zu tun.
Es ist die Gemeinde, die im Judentum die Toten beerdigt - und das vollbringt sie so schnell wie möglich, meist in ein bis zwei Tagen. Zuständig sind dafür in jeder jüdischen Gemeinde einige Männer und Frauen. Sie werden in einen besonderen Bestattungsverein berufen, die Chewra Kadischa. Das ist Hebräisch und bedeutet "heilige Vereinigung". Es gilt als eine besondere Ehre, diese Aufgabe wahrzunehmen. Die Chewra Kadischa – nicht ein Beerdigungsinstitut – ist es auch, die im Wortsinne die Toten beerdigt. Ihre Mitglieder werfen die Erde auf den Sarg, sie füllen das Grab. Aber zuerst bereiten die sie den Toten vor. Sie vollziehen die "Tahara", die Waschung, das rituelle Bad. Yitzhak Hönig, Kantor der Synagogengemeinde zu Köln:
"Dann kommt das Ritualbad. Aber es ist selten, dass eine Gemeinde auf ihrem Friedhof eine Mikwe, also ein Ritualbad, hat. Deshalb muss eine Menge Wasser auf die Leiche kommen. Bei uns sind das drei große Eimer."
Mit diesem Bad soll der oder die Verstorbene rituell in die Nähe des Zustandes versetzt werden, mit dem er oder sie einst auf die Welt kam. Denn der Tod gilt als ein Abschied von allem, was zu Lebzeiten erworben wurde. Der Leichnam wird deshalb auch nicht geschmückt oder etwa in einem Anzug beerdigt. Nach der rituellen Reinigung kleidet die Chewra Kadischa ihn in ein grob genähtes Sterbekleid aus Leinen oder Baumwolle und legt ihn in einen sehr schlichten schmucklosen Sarg. Er sieht für Reiche wie für Arme gleich aus. Jede Art der Grabbeigabe ist ausgeschlossen.
Yitzhak Hönig: "Das Ziel ist, so wie du auf die Welt kommst, so gehst du wieder."
Für die Trauernden ist auch jetzt nichts zu tun. Das bleibt die ganze Woche nach der Beerdigung so. Sieben Tage lang sollen Trauernde weder arbeiten noch irgendwelche anderen Alltagsverrichtungen besorgen. Stattdessen sollen sie sich in ihrer Wohnung aufhalten, Besuch empfangen, möglichst niedrig auf kleinen Schemeln oder auf dem Boden "Schiwa" sitzen und andere machen lassen. Schiwa ist Hebräisch und bedeutet Sieben. Die Trauernden sollen sich nicht rasieren, sie sollen ihre Haare nicht schneiden, sich nicht schminken, keinen Schmuck und keine Lederschule tragen. Im Gegenteil: Ihre Körperpflege und ihre äußere Erscheinung sollen sie bewusst vernachlässigen.
Julien-Chaim Soussan: "Wir haben zum Beispiel das Ritual, dass man ein Kleidungsstück, ein Hemd oder einen Pullover einreißt: Ein äußeres Zeichen. In Trauergespräch erlebe ich das dann oft, dass die Leute sagen 'Ich muss das niemand zeigen, ich fühl das innen'. Und oftmals wird’s dann doch gemacht, weil erkannt wird, dass dieses formalisierte Handeln, das Nach-außen-zeigen, sich an Regel halten einfach Stabilität wieder zurückgibt."
Wenn alles so erfolgt, wie es gelehrt wird, tragen vom Kochen bis zum Beten andere die Verantwortung: Verwandte, Freunde und Nachbarn. Sie zünden eine Kerze für den Verstorbenen, sie lesen mit dem Trauernden Tora. Trauernde werden nicht allein gelassen, so der Anspruch. Im Alltag allerdings muss man allerdings mit weniger auskommen. Zum Beispiel mit abendlichen Besuchen:
"Einen bestimmten Zeitpunkt vereinbaren. Abends 19 Uhr ist oft günstig, weil Leute von der Arbeit schon zurück sind. Dann lernt man gemeinsam, sagt ein Kaddisch, eben dieses Trauergebet, und dann nimmt man ne Kleinigkeit zu sich, um auch noch einen Segensspruch zu sagen. Denn die Idee ist, dass all das, was wir an Geboten erfüllen für den Verstorbenen ihm angerechnet wird als Verdienst und sich noch positiv auswirkt auf sein Konto, mit dem er sozusagen im Himmel geprüft wird."
Die Anforderungen an die Trauernden werden nach der ersten Woche für die restlichen Tage der dreißigtägigen Trauerzeit lockerer. Tatsächlich ist es aber so, dass heute viele Juden in Deutschland Probleme haben, sich auf solche Regeln überhaupt einzulassen. Oft ist der Kreis der Verwandten und Freunde nicht groß genug, um eine intensive Betreuung zu gewährleisten. Oder diese Bräuche passen nicht zu dem, was man bisher kannte oder sich ins gegenwärtige Leben fügt. Die mehr als 80 Prozent Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion können selten etwas damit anfangen. In ihrer alten Heimat spielten jüdische Traditionen bei der Bestattung kaum eine Rolle. Entsprechend ist die Reaktion vieler, wenn die Gemeinde helfen will. Der Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Julien Chaim Soussan:
"Also, da findet man natürlich alles – von inhaltlicher Ablehnung, man sagt dann, das ist nichts für mich, bis hin zu Menschen, die bis dahin vielleicht noch gar nichts mit Religion am Hut hatten, die in dem Moment doch froh sind, dass es etwas gibt, an dem sie festhalten können."