Social Freezing

Ein neues Modell von einem "Golden Handshake"

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Jutta Allmendinger hält nichts vom Social Freezing. © dpa / picture alliance / Peer Grimm
Jutta Allmendinger im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Facebook und Apple wollen Mitarbeiterinnen die Kosten für das Einfrieren von Eizellen erstatten. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, kritisiert, "diese Arbeitskräfte werden bis 50 richtig ausgepowert" - und hätten anschließend einen vorgezogenen Ruhestand mit Familienbildung.
Korbinian Frenzel: Es ist alles viel besser als früher, man duzt den Chef, die Kollegen sowieso, die Stechuhr ist Geschichte und außerdem, die Jobs sind alle viel spannender als früher. Kreativer, selbstbestimmter, und wenn man mal früher nach Hause muss, weil die Kita zu ist, klar, kann man regeln. Und wenn man mal länger bleibt, der Kicker steht ja in der Ecke zum Entspannen und der Pizzaservice, der dann kommt, der wird natürlich aus der Firmenkasse bezahlt.
Eine schöne neue Arbeitswelt ist das, in der viele von uns leben und die viele von uns gleichzeitig unglaublich fertig macht. Warum nur? Jutta Allmendinger, Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, hat ihren Arbeitstag extra früher begonnen, damit wir darüber sprechen können! Ich grüße Sie, guten Morgen!
Jutta Allmendinger: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Ich habe jetzt eher die harmlosen Beispiele gewählt, der Kicker-Tisch, die Pizza. Apple und Co. bieten in Amerika jetzt ihren Mitarbeiterinnen sogar an, die Kosten fürs Einfrieren von Eizellen zu bezahlen, damit die Karriere erst mal keinen Knick bekommt. Diktiert uns unsere Arbeit immer mehr, wie wir leben wollen, leben können?
Allmendinger: Zunächst mal haben wir mehr Freiheitsgrade, zweifelsohne, wobei man sofort sagen muss, das bezieht sich natürlich nur auf wenige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Denn Sie haben mit Sicherheit keine Pizza oder keinen Kicker in der Ecke bei Kassierern oder bei Kassiererinnen.
Frenzel: Wohl wahr.
Allmendinger: Insofern muss man zunächst einmal sehr stark aufpassen, über wen wir hier überhaupt sprechen. Wir reden über eine kleine Schicht jener, die der Arbeitsmarkt sehr stark braucht, die sehr gut ausgebildet sind, die ein längeres Leben haben und auch viel länger im Prinzip arbeiten könnten, aber natürlich ihre Wünsche haben. Gute Arbeit, Familie, Freunde, eigene Hobbys und insbesondere natürlich auch Weiterbildung und solche Dinge. Und von daher finde ich zunächst einmal Ansätze – mit der Einschränkung, es gilt nur für wenige –, die neue Perspektiven darauf legen, wie man über einen ganzen Lebensverlauf hinweg Arbeit und Familie vielleicht ganz anders arrangieren kann, gut.
"Wesentlich mehr als eine Stechuhr"
Frenzel: Die Gefahr ist natürlich, dass diese Freiheiten, die Sie da auch gerade loben, am Ende vielleicht doch nur Scheinfreiheiten sind. Es gibt das Beispiel der Firma Virgin, die ihren Mitarbeitern gesagt hat, ihr kriegt keinen festen Jahresurlaub, ihr könnt so viel Urlaub nehmen, wie ihr wollt. Und das Erstaunliche ist, alle Mitarbeiter nehmen weniger Urlaub, als sie vorher als Anspruch hatten.
Allmendinger: Sicher, das war auch das, was ich jetzt gegen das Abschaffen der Stechuhr natürlich eingewendet hätte: Sie haben keine Pflicht mehr, am Arbeitsplatz präsent zu sein, stattdessen haben Sie Zielvereinbarungen, die Ihnen ganz genau sagen, was Sie zu machen haben.
Und das ist wesentlich mehr als eine Stechuhr. Das heißt, Sie müssen jederzeit produktiv sein und nicht nur anwesend. Von daher sehe ich auch bei dem einleitend genannten Beispiel, dieses Social Freezings, also des Einfrierens von Eizellen, dass man hier auf der einen Seite arbeitnehmerfreundlich argumentieren kann, sagen kann, ja, super, jetzt bekomme ich dann Kinder mit 50 – man kann dann darauf eingehen, was hat das eigentlich für die Demografie zu tun –, man kann aber auch sagen, das ist ein ganz neues Modell von einem, wie man früher sagte, Golden Handshake. Diese Arbeitskräfte werden bis 50 so richtig ausgepowert, in der IT-Branche insbesondere, und mit 50 bekommen sie dann ihre eingefrorenen Eier zurück und haben von daher einen vorgezogenen in gewisser Weise Ruhestand, nur dass der Ruhestand jetzt die Familienbildung ist.
Und das ist natürlich ein ganz anderes Szenario oft, diese vermeintlich so arbeitnehmerfreundlichen Modelle, das ist dann ein arbeitgeberfreundliches, hartes Modell, welches wieder eine harte Abfolge von: jetzt erst mal Beruf und Karriere und dann stopp und gar keine Auszeit mehr, sondern frühes Ende. Das ist das Letzte im Übrigen, was sich die deutsche demografische Entwicklung leisten kann, weil die natürlich noch mehr den Bach runterginge.
Frenzel: Wie geht man denn dann mit dieser Situation um? Das klingt für mich nach irgendeiner Form der Regulierung, die notwendig ist, und sei es nur, dass wir Arbeitnehmer selbst anfangen Grenzen zu ziehen. Ist das der eine Schritt oder braucht man da doch wieder, wenn auch vielleicht nicht die Stechuhr, aber doch klarere Regeln, die auch von Gewerkschaften oder sogar vom Staat kommen?
Allmendinger: Ich finde, dass wir beides brauchen. Ich finde, dass wir schon in den Schulen und in allen Formen der Ausbildung solche sozialen und persönlichen Kompetenzen zu lernen haben. Wir müssen lernen, Nein zu sagen, wir müssen lernen darauf zu schauen, wann wir ausgepowert sind. Sie wissen, dass die Stressfaktoren am Arbeitsplatz immer weiter zunehmen, dass mittlerweile bei den Frühverrentungsfällen es nicht mehr körperliche Beschwerden sind, sondern psychische, die einen zwingen, früher aufzuhören, mit meistens ganz, ganz mickrigen Renten im Übrigen.
Wir müssen lernen, auf uns selbst zu schauen. Wir brauchen Gesundheitserziehung, wir brauchen in einer gewissen Weise eine Lebenserziehung und die Möglichkeit, heute uns zu überlegen, was ein Handeln dann für in 20 oder für in 30 Jahren bedeutet. Das ist in keinem Schulfach enthalten. Wir brauchen so etwas. Und gleichermaßen ...
Frenzel: Genau, das sind wir Einzelnen.
Allmendinger: ... brauchen wir meines Erachtens auch eine größere Codierung dahingehend, dass diese Zielvereinbarungen bezogen sind auf Arbeitszeiten. Und ich sehe, dass man immer mehr Ziele vereinbart. Und wenn ich mir dann diesen Zielkatalog anschaue und denke, puh, und das soll man in einer 39-Stunden-Woche schaffen? Vergiss es!
Frenzel: Wer ist denn da gefordert? Ist das erst mal eine Aufgabe der Gewerkschaften oder sind die auch gerade in diesen Berufen, über die wir sprechen, in diesen kreativen Berufen mittlerweile viel zu schwach, dass man sagen muss, eigentlich müsste sich der Staat da Gedanken machen?
Allmendinger: Der Staat muss sich selbstverständlich Gedanken machen. Der Staat ist weit hinter den Möglichkeiten zurück, was beispielsweise eine gute Betreuung von Kindern betrifft, aber auch von Älteren. Wir brauchen hier auch Tageseinrichtungen für Ältere, so wie man Tageseinrichtungen für Kinder hat.
Wir brauchen ganz andere Kinderkrippen, also auch qualitativ ganz andere. Da ist der Staat zurück. Wir haben nach wie vor Modelle, die eigentlich bei den Kindern nicht ankommen und die diese Vereinbarkeit erschweren, man denkt nur an Anreize, dass eine Person wesentlich mehr als die andere verdient, damit haben Frauen nach wie vor eine extrem niedrige Rente, von der sie nicht leben können.
Also, da gibt es ganz viel, was staatlicherseits getan werden kann und muss. Und es gibt auch ganz viel, was betrieblicherseits getan werden kann. Und das ist meines Erachtens eine viel sauberere Gegenüberstellung von Gefordertem, Ergebnis und eingebrachter Zeit. Und mit Pizza und Stechuhren und so weiter und so fort hat das Ganze herzlich wenig zu tun, das sind alles Modelle, um Menschen länger am Arbeitsplatz zu halten.
"Ich kann meine persönliche Anekdote erzählen"
Frenzel: Ich spreche mit Jutta Allmendinger, der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin und Expertin in Fragen dessen, wie wir arbeiten. Und Frau Allmendinger, ich würde gerne noch mal auf dieses Social Freezing, also das Einfrieren von Eizellen kommen, dieses Angebot, was da gemacht wird!
Wir haben jetzt generell darüber gesprochen, was das an Möglichkeiten eröffnet. Es geht ja da auch um Männer und Frauen. Verändert denn so etwas, solche Möglichkeiten, auch das Verhältnis oder die Möglichkeiten von Frauen ganz speziell im Arbeitsleben?
Allmendinger: Nun ja, vermeintlich. Also, ich kann meine persönliche Anekdote erzählen, ich wollte mich da neulich zu einem 70. einladen, weil ein guter Freund von mir 70 wird. Und er sagt, nein, er kann auf gar keinen Fall seinen 70. feiern, weil man ja nicht wüsste, dass er 70 ist, weil dadurch, dass er ein fünfjähriges und ein achtjähriges Kind hat, man ja nur mit 40-Jährigen oder 30-Jährigen korrespondieren würde. Das ist geschlechtsgebrochen.
Sie werden kaum 70-jährige Frauen haben, die sagen, ja, ich sage, ich lebe mit einem 30-jährigen Mann jetzt auf Dauer zusammen. Insofern muss man schon sehen, was das dann auch für eine Schichtung bedeutet. Die Urenkel werden aussterben, wenn Sie im Alter von 50 Jahren ein Kind bekommen, sind Sie ja schon 100, wenn Sie Oma werden, und 150, wenn Sie Uroma werden würden.
Das heißt, wir haben eine ganz paradoxe Situation, dass wir ein längeres Leben haben, aber einen Zurückgang der sozialen Integration über Familienbanden. Und aufgrund gestiegener Mobilität natürlich auch über Freundesbanden. Das sind alles Dinge, die man natürlich bei solchen Vorschlägen sehr stark mit zu bedenken hat.
Frenzel: Jutta Allmendinger, ich habe eine letzte Frage: Wie viele Stunden hat Ihre Arbeitswoche?
Allmendinger: Ja, Sie hatten ja schon anmoderiert: Ich stehe normalerweise früh, aber ich hätte heute einen halben Arbeitstag, wo ich mich wirklich mit Lesen beschäftige und mit Schreiben. Und ich habe diesen wunderbaren Beruf, wo man verschiedene Dinge doch selbstbestimmt tun kann. Es gibt viele Tage, wo ich gar nicht arbeite und es gibt viele Tage, wo ich weit mehr arbeite als acht oder zehn oder zwölf Stunden. Und dieses ist ein wunderbares Modell, welches man sich jetzt nicht über Tage oder Wochen, sondern tatsächlich über einen Lebensverlauf zu gönnen hätte.
Wenn ich dieses Wort oder zu ... auch von staatlicherseits, von den Gewerkschaften, die angesprochen waren, zu denken hätte: Wir brauchen nicht jetzt hier 30 Jahre oder 40 Jahre durchzubollern und hinterher erschöpft noch weitere 30 Jahre auf der Couch liegen. Wir sollten weniger arbeiten und das über einen längeren Zeitraum hinweg, wir sollten die Möglichkeit haben, mal 50 Stunden zu arbeiten, dann aber auch Zeiten, wo wir nicht arbeiten, durchaus ein halbes, durchaus ein ganzes Jahr. Das würde der Gesundheit, der Produktivität und meines Erachtens auch des menschlichen Glücks und der Familie sehr zugute kommen.
Frenzel: Jutta Allmendinger, dann wünsche ich Ihnen jetzt einen schönen Heimarbeitstag und danke ganz herzlich für das Gespräch!
Allmendinger: Das werde ich haben - Dankeschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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