Hintergundinformation zum Wahlkampf gibt es auch aus unserem Kulturtaxi: Auf den Straßen Berlins unterwegs - mit Claudia van Laak, Leiterin des Landesstudios Berlin, und Moderator Korbinian Frenzel:
Übers Netz an den Wähler
Plakate, Fernsehdebatten, Wahlkampfstände - in Berlin kämpfen die Politiker noch ganz klassisch um die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger für die Wahl am Sonntag. Doch auch die sozialen Medien haben im Wahlkampf immer mehr Gewicht. Ein Blick ins Netz.
"Sagen Sie, darf ich das einfach mal hier liegen lassen?"
"Legen Sie das gerne hierhin…"
Ein kleines Café im Berliner Stadtteil Alt-Treptow. Alexander Freier macht hier Wahlkampf, der angehende Lehrer kandidiert für das Berliner Abgeordnetenhaus. Der 29-Jährige setzt neben Flyern und Kugelschreibern aber vor allem auf die Dating-App Tinder. Statt Bekanntschaften und Sex will er neue Wähler gewinnen. Er zeigt mir die Nachrichten auf seinem Handy:
"Hier ein bisschen weiter drunter, hat 'ne Frau mir erst gesagt, dass sie das irgendwie schwierig findet mit Tinder, der habe ich dann geschrieben, warum ich auch auf jeden Fall dabei bin und daraus ist dann weiterer Kontakt entstanden und sie ist ganz doll auch auf meiner Seite und bietet mir nun sogar an, tatsächlich auch Wahlkampf für mich und mit mir zu machen."
Das Prinzip ist einfach: Freier hat sich ein Profil eingerichtet, mit Foto, Kontaktdaten und dem Wahlkampfslogan. Jeder, der sich innerhalb eines bestimmten Radius des SPD-Politikers befindet, kann über Tinder mit einem virtuellen Herz sein Interesse bekunden. Das macht Freier auch, dann können sich beide User Nachrichten schicken.
Dabei geht es zum Beispiel um Lokalpolitik.
"Aber ich wurde auch schon zu TTIP gefragt, zur AfD im Wahlkampf, oder warum ich überhaupt zur Politik gekommen bin, das interessiert die Leute. Oder die Leute möchten mit mir über Ehrenamt sprechen. Da lerne ich dann auch ganz, ganz viel."
Vorbild: Barack Obama
Dass soziale Medien eine wichtige Rolle im Wahlkampf spielen können, ist spätestens seit Barack Obamas Präsidentschaftskampagne 2008 bekannt. Julius van de Laar war zwei Mal Teil von Obamas Wahlkampf-Team und arbeitet als Kampagnen- und Strategieberater in Berlin. Für ihn ist die Kommunikation über Facebook, Twitter und Co in Wahlkampfzeiten essenziell:
"Ich glaube, dass es unheimlich Sinn macht, zu interagieren, wenn man was zu sagen hat. Wahlkampf ist keine eindimensionale Veranstaltung."
Im Kampf um das Berliner Abgeordnetenhaus sind inzwischen alle größeren Parteien auf Twitter und Facebook anzutreffen, manche nutzen auch Instagram. Aber es gibt Unterschiede: Mit jeweils etwa 17.000 Followern sind Linke und AfD bei Facebook sehr stark. Vor allem für die umstrittenen Botschaften der AfD scheint Facebook wichtig zu sein. Das hat für van de Laar einen einfachen Grund:
"Ohne Polarisierung, keine Mobilisierung. Gerade in den sozialen Medien."
Im Mittelfeld liegen Grüne und SPD, sie haben um die 7.000 "Freunde", am Ende kommen CDU und FDP mit wenigen Tausend. Dennoch: Einfach ein Profil anlegen, reiche nicht, meint van de Laar. Es gehe um die Gesamtstrategie:
"Ist Facebook und Twitter der Kanal, der am wichtigsten für ne Partei ist? Einige Kandidaten gehen ganz klar auf einen Haustürwahlkampf und sagen, 'dort werde ich meine Unterstützer und Unterstützerinnen, potenzielle Wähler erreichen, ich nutz die digitalen Medien einfach, um das ganze flankierend zu unterstützen, zu zeigen, was mache ich dort und vielleicht auch die eigenen Unterstützer zu binden'."
Manch einer verzichtet auf die Neuen Medien - aus Datenschutzgründen
Das versucht die FDP, indem sie mit futuristisch anmutenden Wahlplakaten arbeitet und auch schon mal einen Film postet, der die eigenen Kandidaten auf Berliner Schultoiletten zeigt, um auf ihren maroden Zustand hinzuweisen.
Die SPD tritt eher gemäßigt und modern auf. Die Sozialdemokraten werben mit Grafiken und Themen wie gebührenfreier Bildung und bezahlbarem Wohnraum. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller will sich von der Schnelligkeit der sozialen Medien aber nicht unter Druck setzen lassen:
"Ich habe gerne mir auch die Situation erhalten, auch mal mit jemand etwas durchsprechen zu können, mal in Ruhe über etwas nachzudenken und dann eine Stellungnahme dazu abzugeben. Also als zusätzlicher Baustein in Ordnung, aber auch nicht mehr."
Es geht auch ganz ohne: CDU-Kandidat Claudio Jupe verzichtet aus Datenschutzgründen auf Facebook und Twitter. Dem 67-Jährigen reichen E-Mails, seine Homepage und der Postweg um für Wähler erreichbar zu sein:
"Ich habe gerade vor zwei Tagen einen echten Brief bekommen, ist ja ein Wunder heutzutage. Ich habe mich dann hingesetzt und habe versucht ziemlich schnell 'ne Antwort zu entwerfen und die ebenfalls per Post zu senden."
Strategieexperte van de Laar ist überzeugt: Die Wähler müssen sich angesprochen fühlen – egal ob über Tinder, Facebook oder Twitter. Wer die digitalen Kanäle richtig nutzt, kann bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen die entscheidenden Stimmen holen.