Social Media in Afghanistan

Alles löschen, um den Taliban zu entgehen

07:30 Minuten
Ein bewaffneter Talibankämper auf Patrouille in Kabul
Die Taliban patrouillieren auf den Straßen von Kabul - und suchen in den sozialen Medien nach Hinweisen für eine Kooperation mit westlichen Kräften. © picture alliance / newscom | Bashir Darwish
Simon Hurtz im Gespräch mit Massimo Maio |
Audio herunterladen
Die Taliban durchforsten soziale Netzwerke und Smartphones, um herauszufinden, wer mit westlichen Kräften zusammengearbeitet hat. Viele Menschen in Afghanistan versuchten nun, ihre digitalen Spuren zu beseitigen, sagt der Journalist Simon Hurtz.
Social Media wird gerade für viele Menschen in Afghanistan zum Problem. Denn die dort einsehbaren Informationen können ihnen gefährlich werden, wenn die Taliban sie entdecken: Was hat jemand in den vergangenen Jahren gepostet, geliked, geteilt? Mit wem war man in Kontakt? Diese digitalen Spuren komplett zu löschen, ist aufwendig, deshalb schreiten nun auch die Plattformen selbst ein: Bei Facebook ist es derzeit nicht möglich, die Freundeslisten afghanischer Profile einzusehen. Clubhouse hat Profilbilder afghanischer Nutzerinnen und Nutzer gelöscht und die Accounts schwerer auffindbar gebracht.
"Alle verfügbaren Informationen, alles, was irgendwie öffentlich ist, egal auf welcher Plattform, kann potenziell eine Gefahr für die Menschen vor Ort darstellen", sagt der Netzjournalist Simon Hurtz. Die Taliban nutzten alle Möglichkeiten, um Menschen zu identifizieren, und seien fit im Umgang mit Social Media. "Sie mögen zwar politisch archaisch sein, aber technisch kennen sie sich wirklich gut aus."

Die "Mammutaufgabe", alle Spuren zu entfernen

Es gebe immer wieder Berichte über Menschen, die mehr oder weniger verzweifelt versuchten, alle Daten auf ihren Smartphones oder in den sozialen Medien zu löschen. "Ortskräfte müssen jegliche Beweise ihrer Kooperation löschen. Wer im Militär war, muss das tilgen, wer mit Hilfsorganisationen zusammengearbeitet hat, muss das loswerden", so Hurtz.
Sämtliche Spuren zu löschen sei eine "Mammutaufgabe". Ob Browserverlauf, die gehörte Musik oder Chats mit Freundinnen - alles könne möglicherweise belastend sein. Glücklicherweise gebe es Menschenrechtsorganisationen und Expertinnen und Experten für IT-Sicherheit, die ihre Hilfe anböten, sagt der Journalist. "Aber ich bin mir nicht sicher, ob das für alle Betroffenen rechtzeitig kommen wird."

Technischer Fortschritt als Bedrohung

Die Bedrohung sei auch so groß, weil technisch inzwischen vieles möglich sei, warnt Hurtz: Es gebe Meta-Suchmaschinen, mit denen mehrere Plattformen gleichzeitig durchsucht werden könnten. Die Fotosuchen, etwa von Google, seien unglaublich präzise. Es gebe zudem spezielle Datenbanken für Gesichter.
Soziale Medien seien für die Menschen vor Ort gerade "Fluch und Segen zugleich". Denn neben den Gefahren, die nun drohten, seien soziale Medien wichtig, um in Kontakt mit Verwandten im Ausland zu bleiben. Und wer beispielsweise ein Visum beantragen wolle, schicke die benötigten Dokumente oft digital per Whatsapp oder Signal. Es sei ein Dilemma. Und wer nun notgedrungen alle Daten auf den eigenen Geräten und Social-Media-Accounts lösche, tilge damit auch einen Teil der eigenen Identität.
Mehr zum Thema