Neues Leben für alte Sorten
Tauschen liegt im Trend, das gilt auch für Pflanzensamen. Getauscht werden auch solche Sorten, die im Handel kaum noch zu erhalten sind, und natürlich das Wissen über die Pflege und Zucht.
"Alexandra Becker: Okraschote, das hat im letzten Jahr nicht geklappt mit der Saatgut, ne? Begzada Alatowich: Mit dem Saatgut hat das letztes Jahr nicht geklappt, es hat viel geregnet und das war ganz, ganz schlecht, da hatte ich nur am Ende paar Pflanzen."
Auch dieses Jahr ist kein Wetter für die Okraschote. Zu viel Regen. Es ist Ende Juni, und dicke graue Wolken hängen über dem Berliner Park am Gleisdreieck. Elf Gärtnerinnen und Gärtner sind in die Kleingartensiedlung gekommen, um sich beim Saatgut-Treffen der Initiative "Social Seeds" über ihre Erfahrungen auszutauschen.
"Ich habe dann dieses Jahr wieder neues Saatgut aus Bosnien mitgebracht, und dann hoffe ich, dann werde ich dann wieder versuchen. Alexandra Becker: Mmmh, ok."
Begzada Alatović, die Frau mit dem rotbraunen Zopf, kommt aus Bosnien und lebt seit 19 Jahren in Berlin. Ihr Garten liegt gleich um die Ecke. Dort pflanzt sie gemeinsam mit rund 70 anderen Frauen, die nach Deutschland eingewandert sind, Gemüse und Blumen aus der Heimat. Seit ein paar Jahren beschäftigt sich die Leiterin des interkulturellen Gartens auch mit alten Sorten.
"Kürbisse, Tomaten, Paprika, die aus Bosnien gekommen sind, und dazu habe ich noch Kartoffeln von Vern gehabt, habe ich auch eine sehr alte Rose, die ich auch aus Bosnien mitgebracht habe, deswegen heißen wir auch Rosenduftgarten."
Bittergurken und alte Tomaten
Solche Sorten aus fernen Ländern und alten Zeiten sind auf dem deutschen Markt nicht oder nur schwer zu bekommen. Auch Gabriele Niechziol liebt die seltenen Pflanzen. Die Frau mit dem dunkelbraunen Pagenschnitt ist schon seit vier Jahren bei der Saatgut-Initiative dabei. Mit Leuten aus der Nachbarschaft betreibt sie den Pyramidengarten im Berliner Stadtteil Neukölln. Sie erzählt, dass sie gerade in der Pfalz im Urlaub war.
"Ich war im Urlaub in der Pfalz und ich mache das immer gerne vor jedem Urlaub, ich hab Kontakt aufgenommen zu einem Gemeinschaftsgarten in Hassloch. Die Leute waren supernett, und die vermehren auch alte Sorten, die haben uns Pflanzen mitgegeben und geschenkt, also so eine Bittergurke, auch eine Physalis-Art, so eine ältere Tomate, auf jeden Fall war das echt total toll, und da wollte ich gern Saatgut von uns hinschicken."
Altes Wissen geht verloren
So wandern neue Kulturpflanzen in die Berliner Gärten ein, und bringen Vielfalt in die Beete. Darunter sind exotische, sehr seltene und auch alte Sorten, bei denen sich die wirtschaftliche Nutzung in großem Maßstab heute nicht mehr lohnt. Genau solche Sorten möchten die Social Seeds in den Berliner Gärten erhalten und vermehren. Hinter dem gemeinnützigen Verein stehen die beiden Berlinerinnen Alexandra Becker und Gunilla Lissek-Wolf. Lissek-Wolf, ein schlanke Frau mit dunklen langen Haaren, ist Agrarwissenschaftlerin.
"Natürlich ist mein Part oft, dass ich eben da sehr viel fachlichen Input auch reinbringe, grade wenn es ums Thema Saatgut-Vermehrung geht, da haben wir eben festgestellt, dass ganz viele Gemeinschaftsgärtnerinnen unbedingt ihr eigenes Saatgut vermehren wollen, oder Saatgut von Gemüse ernten wollen, aber die wenigsten haben wirklich fachlichen Hintergrund oder wissen, wie es geht."
Das alte Wissen ist fast verloren - vor allem in der Stadt. Social Seeds bietet bei den Treffen deshalb sowohl fachliche, als auch praktische Beratung und Austausch an. Wie lassen sich Selbst- oder Fremdbefruchter, einjährige oder mehrjährige Pflanzen vermehren? Wie trocknet und bewahrt man Saatgut richtig auf?
"Ein ganz wichtiger Beweggrund für uns, diese alten Sorten zu erhalten, ist die Erhaltung von Kulturgut, weil wir glauben, an den alten Sorten hängt auch 'ne Geschichte, oder hängen Geschichten, hängt ganz viel Wissen auch, Wissen um die Zubereitung, um die Saatgut-Vermehrung, und für uns ist das wichtig, dieses Wissen auszutauschen, auch wieder zu beleben, und zu bewahren, genauso wie es auch wichtig ist, Museen zu haben, wo wir Bilder aufhängen, oder alte Möbel ausstellen oder landwirtschaftliche Maschinen, da ist es eben für uns auch wichtig, dass wir diese alten Sorten eben auch lebendig bewahren in den Gärten im besten Falle."
Stadtgärten reichen nicht für den Erhalt
In den kleinen bunten Tüten, die man im Supermarkt und Pflanzencentern kaufen kann, finden sich immer nur wenige Sorten. Deshalb unterstützen Gunilla Lissek-Wolf und Alexandra Becker die Berliner Gärtnerinnen auch ganz praktisch.
"Ich habe das am Sonntag geerntet und habe das jetzt in kleinere Gefäße mit eingefüllt, einfach um es mitzubringen. Fasst mal rein, sucht den Samen, einfach nur dass ihr euch das mal anguckt, ihr könnt den auch mal zerreiben."
Für die Erhaltung von Sorten in großem Maßstab sind die Stadtgärten allerdings zu klein: Vor allem fehlt es an Fläche zur Vermehrung. Schließlich wollen die meisten in ihren Gärten ja nicht nur Saatgut kultivieren, sondern ihr Gemüse, das Obst oder die Blumen auch ernten. Aber in kleinem Maßstab funktioniert die Wiederbelebung und Verbreitung des Saatguts schon ganz gut: Und so wachsen und blühen hier heute schon : alte Tomatensorten wie das Blondköpfchen, die Andenbeere und dann eben doch die bosnische Okraschote.
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