Sofi Oksanen: „Baby Jane“

Liebe ohne Miteinander

06:10 Minuten
Sofi Oksanen: „Baby Jane“. Das Cover besteht aus schwarzen und pinken Buchstaben, die den Titel des Buchs wiedergeben.
© Kiepenheuer & Witsch

Sofi Oksanen

Aus dem Finnischen von Angela Plöger

Baby JaneKiepenheuer & Witsch, Köln 2023

224 Seiten

22,00 Euro

Von Irene Binal |
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Die finnische Autorin Sofi Oksanen erzählt in "Baby Jane" von zwei Frauen, die zusammen sein wollen, aber nicht glücklich werden können. Schwere psychische Störungen machen einen Alltag unmöglich und die Beziehung unerträglich.
Piki ist die coolste Lesbe in Helsinki. Kein Wunder also, dass die Erzählerin von ihr fasziniert ist. Piki trägt Springerstiefel mit roten Schnürsenkeln, sie hat Autos geklaut, kennt alle angesagten Homobars – und sie leidet unter einer schweren Panikstörung, die es ihr unmöglich macht, einfachste Alltagstätigkeiten zu erledigen.

Zerplatzende Träume

Das allerdings findet die Erzählerin – die im Roman namenlos bleibt – erst nach einer Weile heraus. Zunächst träumt sie mit Piki von Ausflügen und Jahrmarktsbesuchen.
Erst als keines dieser Vorhaben je verwirklicht wird, beginnt sie zu ahnen, dass hier etwas nicht stimmt. Warum hat Piki nie Zeit? Wieso ist sie kaum nüchtern? Und welche Rolle spielt Bossa, Pikis Exfreundin, die für diese einkaufen geht, ihre Wäsche wäscht und einen Schlüssel zur Wohnung hat?
Misstrauen und Eifersucht beginnen, die Beziehung zu vergiften. Dazu kommen die psychischen Probleme der Erzählerin, die selbst an Depressionen leidet, und schließlich kulminiert die Situation in einem Gewaltausbruch, der alles zum Einsturz bringt.
„Baby Jane“ ist ein früher Roman der finnischen Autorin Sofi Oksanen aus dem Jahr 2005, der erst jetzt ins Deutsche übertragen wurde. Schon damals konnte man sehen, dass Oksanen nicht vor brisanten Themen zurückscheut.

Ein Miteinander ist unmöglich

Es geht nicht nur um eine – in der Literatur eher selten thematisierte – lesbische Liebe, sondern vor allem um die Frage, was psychische Störungen in einem Menschen, einer Beziehung anrichten können.
Nicht ohne Grund verweist der Titel des Romans auf den Psycho-Krimi „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ Waren es dort zwei alternde Diven, die einander das Leben zur Hölle machten, sind es bei Oksanen junge Frauen, deren Beeinträchtigungen ein Miteinander unmöglich machen.
Immer stärker wird der Hass der Erzählerin auf Bossa: „Bossa war geschmacklos, farblos, konturlos und dennoch allgegenwärtig. Wie Sauerstoff. Unbesiegbar.“ Immer mehr scheint sich die Realität zu verzerren, bis hin zu bizarren Szenen, wenn Bossa sich tagelang nicht meldet und Piki hinnimmt, dass sie nichts zu essen hat, während sie das Angebot der Erzählerin, ihr etwas zu besorgen, kategorisch ablehnt.

Präzises Kammerspiel

Im Gegensatz zu Oksanens zuletzt erschienenem Roman „Hundepark“, in dem die Autorin ein mehrere Länder und Jahrzehnte umspannendes Panorama präsentierte, ist „Baby Jane“ ein reizvolles, wenn auch nicht makelloses Kammerspiel: Mitunter erscheint der Text sexuell überladen, ein bisschen ziellos und nicht ganz ausgereift. So wüsste man etwa gern mehr über Bossas seltsame Beziehung zu Piki.
Diese Kinderkrankheiten werden allerdings ausgeglichen durch eine präzise und schonungslose Prosa, die zwischen Drama und Satire schwankt, etwa wenn die Erzählerin die psychischen Beschwerden ihres Umfelds auflistet und der Eindruck entsteht, als leide jeder und jede unter irgendeiner seelischen Erkrankung. So bleibt am Ende ein Roman, der durchaus zu beeindrucken weiß: mit dem Einblick in eine Welt, in der psychische Defekte ebenso allgegenwärtig wie zerstörerisch sind. Sofi Oksanen versteht es, dieses heikle Thema mit einer lesenswerten Selbstverständlichkeit literarisch zu verarbeiten.
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