Die Verzweiflung wächst
10:27 Minuten
Durch die Flut im Westen und Südwesten Deutschlands sind viele Häuser unbewohnbar. Sieben Wochen danach wächst die Verzweiflung. Menschen wissen nicht, wie sie den Wiederaufbau ihrer Häuser bezahlen sollen. Und einige Profiteure nutzen die Not aus.
Roter Klinker, zwei Etagen und ein grüner Vorgarten: Das Haus von Petra Großmann in Kirspenich, einem dorfähnlichen Stadtteil von Bad Münstereifel, sieht hübsch aus. Großmann steht vor ihrem Haus und zeigt auf die offene Haustür. Immenser Lärm dringt nach draußen, wie aus vielen anderen Häusern hier im Dorf auch.
Das ganze Erdgeschoss überflutet
Im Haus ist nichts mehr hübsch. Böden, Wände, Leitungen – fast alles ist schon weggestemmt. Übrig bleiben nackter Stein und Schutt. Mehrere Bauarbeiter schlagen mit Presslufthämmern den letzten Putz von den Wänden. Darunter zeigt sich, wie nass die Mauern noch sind. Das Hochwasser Mitte Juli hatte das gesamte Erdgeschoss überflutet.
Großmann sieht den Baulärm positiv, denn das bedeute, es geht voran. Wochenlang hat Petra Großmann in ihrem nassen Haus zuerst auf die Gutachter und dann auf Handwerker gewartet, erzählt sie.
Großmann sieht den Baulärm positiv, denn das bedeute, es geht voran. Wochenlang hat Petra Großmann in ihrem nassen Haus zuerst auf die Gutachter und dann auf Handwerker gewartet, erzählt sie.
"Hier im Ort hat sich eine Firma bereit erklärt, so eine Art Bauleitung zu machen und alle Folge-Gewerke am Start zu haben. Denen kann man nur auf Knien dankbar sein, denn wenn man sich als Privatmann kümmern muss, hat man keine Chance."
Die 55-Jährige und ihr Mann haben Glück: Sie sind elementarversichert und können sich die Handwerker leisten. Dort, wo keine Presslufthämmer aus den Häusern dröhnen, wohnen meist die Menschen ohne Versicherung.
Bei Großmann arbeiten aktuell vier Handwerker, acht Stunden am Tag. "Was das alleine kostet. Da ist noch kein Bautrockner dabei, da ist noch kein Strom durch die Leitungen geflutscht. Das kommt ja auch noch dazu. Die Bautrockner fressen ja Strom ohne Ende."
Für Wochen im Ungewissen
Fast acht Wochen nach der Flut sind die Soforthilfen aufgebraucht. 1500 bis 3500 Euro gab es pro Haushalt – bei Weitem nicht genug, um den nötigen Abriss geschweige denn Wiederaufbau zu bezahlen.
Dafür soll demnächst der Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern herhalten. Das Gesetz dafür muss aber Ende dieser Woche noch durch den Bundesrat. Danach wollen die betroffenen Länder ihrerseits die gesetzlichen Grundlagen für die Hilfe schaffen.
Erst dann folgt die Bürokratie: Anträge müssen gestellt, geprüft, genehmigt werden. Die Menschen hier, sagt Großmann, bräuchten aber eher gestern als morgen Geld. Wer das nicht hat und möglicherweise zu alt ist für Kredite, lebt seit Wochen im Ungewissen.
Auch Familie Kern aus Weilerswist, nördlich von Bad Münstereifel, hatte nach der Flut kurz überlegt, ob sie ihr Haus nicht lieber verkaufen wollen. Mittlerweile ist auch ihr Erdgeschoss komplett entkernt und die Bautrockner laufen. Die Elementarschäden am Haus sind versichert, ein Glück. Denn die Kostenvoranschläge hierfür sind hoch.
Die Kosten sind immens
Manfred Kern versucht, bei den Arbeiten zu sparen, wo es geht, damit die Rechnungen nachher nicht höher sind als die Versicherungssumme. Denn die Kosten sind jetzt schon immens. Allein für Bautrockner zahlten viele ein kleines Vermögen, ärgert sich Kern.
Auch er sei fast einem windigen Handwerker aus der Nachbarschaft auf den Leim gegangen, der ihm Bautrockner anlieferte – und dann eine hohe Rechnung stellte. "350 Euro Anlieferung und Erklärung und 25 Euro den Tag, insgesamt waren das über 3000 Euro. Ich habe zwei Tage lang nicht geschlafen, so sauer war ich."
Alles sei in den letzten Wochen viel, viel teurer geworden. Hätten Gewerke direkt nach der Flut für das Rausholen und Wiedereinbringen des Estrichs noch 3000 Euro verlangt, seien es jetzt 10.000.
Vergleich der Handwerkerpreise
Auf der Straße, mit den Nachbarn tausche man sich über die aktuellen Handwerker-Kurse aus, sagt Manfred Kern. Er lasse mittlerweile niemanden mehr ins Haus, ohne vorher die Kosten ganz genau zu prüfen. Die teuren Bautrockner konnte er nach einigen Telefonaten wieder zurückgeben.
Joachim Helms ist Stuckateur und Bodenleger – Allrounder sozusagen. Mit seinem Traktor, einer kleinen Mannschaft und etlichen Geräten hilft er in der Kernstadt von Bad Münstereifel Betroffenen – zu fairen Preisen, heißt es.
Gerade steht er in einer ehemaligen Pizzeria. Der Innenraum des einst hübschen Fachwerkhauses ist fast völlig zerstört, die Holzbalken morsch. Der Besitzer des Hauses habe noch etwas Geld übrig, außerdem sei er versichert gewesen. Viele aber stünden kurz vor dem Bankrott, erzählt Helms.
Die Verzweiflung wächst
Helms arbeitet vorrangig bei denen, die versichert sind. Nur ein paar wenige seiner Kunden seien es nicht, da müsse er schauen, wann er bezahlt wird. Denn auch er hat Kosten – und die sind hier in der Region enorm gestiegen, obwohl viele Baumärkte mit Flut-Rabatten winken.
"Für den gleichen Sack Putz, den wir vor drei Monaten für 6,80 Euro gekauft haben, zahlen wir jetzt mit 25 Prozent Rabatt 7,15 Euro." Helms erzählt, wie die "Wir schaffen das"-Stimmung aus den ersten Wochen langsam verloren gehe, vor allem bei denen, die finanziell am Ende seien. Stattdessen herrsche langsam Verzweiflung.
"Für den gleichen Sack Putz, den wir vor drei Monaten für 6,80 Euro gekauft haben, zahlen wir jetzt mit 25 Prozent Rabatt 7,15 Euro." Helms erzählt, wie die "Wir schaffen das"-Stimmung aus den ersten Wochen langsam verloren gehe, vor allem bei denen, die finanziell am Ende seien. Stattdessen herrsche langsam Verzweiflung.
Er selbst arbeite von morgens sieben bis spätabends, häufig auch am Wochenende. Und trotzdem komme er kaum hinterher, erzählt er. In einem Haus unten an der Erft wird der Schaden immer größer, erzählt er.
Wände saugen das Wasser auf
"Ist ja klar, wenn ich Wasser drin habe, sind die trockenen Wände wie ein Schwamm. Und das zieht dann immer weiter hoch. Wir haben diverse Wände oder Häuser gehabt, die vorher nur drei Zentimeter Schaden hatten und jetzt müssen wir ganze Wände abklopfen."
Diejenigen, die mit der Entkernung noch warten, bis Staatshilfen kommen, verlieren vielleicht noch ihr ganzes Haus, sagt Helms. Der Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern ist insgesamt 30 Milliarden Euro schwer. Was die Versicherungen nicht zahlen, wird aus dem Fonds bezahlt – zu höchstens 80 Prozent, heißt es. Die Details zu den Hilfen kommen aber erst noch.
Das Wichtigste ist jetzt Klarheit
Zurück in Kirspenich. Petra Großmann hat aktuell viel Zeit, über die Situation nachzudenken und mit Nachbarn zu reden, den Flutis, wie sie die Betroffenen nennt. Das wichtigste sei jetzt Klarheit, sagt sie. Fast acht Wochen nach der Flut müssen die Menschen endlich wissen, welche Wiederaufbauhilfen wann kommen.
"Ich finde es auch wichtig, dass das präsent bleibt. Nicht so nach dem Motto: Das Wasser ist weg und alles ist gut. Nein, wir sind noch weit entfernt davon, dass alles gut ist."
"Ich finde es auch wichtig, dass das präsent bleibt. Nicht so nach dem Motto: Das Wasser ist weg und alles ist gut. Nein, wir sind noch weit entfernt davon, dass alles gut ist."