Bürgerfrust

Die Geldgeschenke der Ampel überzeugen nicht

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ballt beide Fäuste zu einer energiegeladenen Geste, während der Sitzung des Bundeskabinetts anlässlich des ersten Geburtstags der Ampelkoalition.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält anlässlich des ersten Geburtstags der Ampelkoalition eine Ansprache. Trotz Doppel-Wumms hält sich die Begeisterung der Bürger*innen in Grenzen. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Ein Kommentar von Susanne Gaschke · 12.12.2022
Seit einem Jahr regiert die Ampelkoalition, immer im Krisenmodus. Mit großen Rettungspaketen versucht die Regierung, die Konsequenzen der Energieknappheit abzufedern. Aber die Geldgeschenke verfangen kaum, stellt die Publizistin Susanne Gaschke fest.
Es ist ein wenig rätselhaft: Angela Merkels Flüchtlingspolitik war höchst umstritten. Ihre Familienpolitik stieß große Teile der eigenen Partei vor den Kopf, ihre Energiewende verstörte die Wirtschaft. Merkels Coronamaßnahmen waren knallhart – und, wie wir heute ahnen: vielleicht unnötig hart. Trotzdem erfreute sich die Bundekanzlerin bis zum Ende ihrer Amtszeit einer erstaunlichen Beliebtheit in der Bevölkerung.

Wenig Anerkennung für sozialen Ausgleich

Ihr Nachfolger Olaf Scholz hat nicht so viel Glück. Die Arbeit seiner Ampelkoalition wird in Umfragen von einer großen Mehrheit negativ bewertet. Die persönlichen Beliebtheitswerte des Kanzlers sind schlecht. Dabei hat die Regierung Scholz ja durchaus populäre Vorhaben angepackt.

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Es gibt jetzt einen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde. Die unerfreulichen Aspekte des Hartz-IV-Regimes werden durch das neue „Bürgergeld“ abgemildert. Wumms- und Doppel-Wumms-Programme sollen mit Hunderten von Milliarden Euro die Teuerung und die Energiekrise ausgleichen helfen. Man könnte erwarten, dass die öffentliche Begeisterung für eine solche Politik des sozialen Ausgleichs größer wäre, aber dem ist nicht so.

Unübersichtliche Sofortprogramme 

Was kann die Ursache dafür sein, dass die spendierfreudige, sozialpolitisch wohlmeinende Politik der sogenannten „Fortschrittskoalition“ aus SPD, Grünen und FDP beim Publikum so schlecht ankommt? Unübersichtlichkeit könnte ein Grund sein: Der Einzelne hat kaum einen Überblick darüber, welches Programm in welcher Weise gerade ihm jetzt genau hilft. Die Hilfen sind offenbar vielfältig, aber was davon kommt bei mir an? Der Schock an der Supermarkt- oder an der Tankstellenkasse tritt hingegen zuverlässig ein. Alles wird teurer.
Zweitens könnte schon der Name „Fortschrittskoalition“ unglücklich gewählt sein: In Zeiten, in denen vom Frieden über die Energieversorgung bis zu den Lebensmittelpreisen alles unsicher ist, ist die Sehnsucht nach gesellschaftspolitischen Renovierungen wahrscheinlich begrenzt. Man muss sich im Alltag ohnehin an dermaßen viele Veränderungen anpassen – im Arbeitsleben, bei der Freizeitgestaltung, in Bezug auf geheimnisvolle Digitalisierungsprozesse –, dass man keine Regierung braucht, die einem mit weiterem „Fortschritt“ droht.

Sozial-ökologische Ziele reichen nicht aus

Angela Merkel verstand es meisterhaft, die ideologischen Aspekte ihrer Politik zu verschleiern, aber tatsächlich brachte sie eine eigentlich konservative Partei auf einen gesellschafts- und energiepolitisch grünen Kurs. Die Ampel hingegen hält mit ihren weltanschaulichen Absichten nicht hinter dem Berg. Seit sie regiert, ist plötzlich überall von der großen sozial-ökologischen „Transformation“ die Rede. Dröhnende Worte, aber mancher fragt sich besorgt, was damit im Detail gemeint sein soll.
Was will die große Transformation von mir? Angesichts der bedrohlichen Weltlage wirken die gesellschaftspolitischen Ambitionen der Ampel auch eher ein wenig unernst: Klar, sie hat die parlamentarische Mehrheit für ein vereinfachtes Adoptionsrecht für lesbische Mütter, für die freie Wahl des Geschlechts auf dem Standesamt, für Cannabisfreigabe oder das Wahlalter 16 bei Bundestagswahlen.
Aber wäre es nicht auch ganz schön, wenn man sich sicher sein könnte, dass beispielsweise die Bundeswehr im Notfall unser Land tatsächlich verteidigen könnte? Dass die Bahn wenigstens noch mit einer Restwahrscheinlichkeit pünktlich fährt, oder dass die Bürokratie dem Bürger dient, statt ihn zu quälen? Und ist es wirklich nötig, dass das grüne Wirtschaftsministerium in Zeiten, in denen alle schon aus reiner Kostenpanik Energie sparen, zusätzliche Erziehungskampagnen schaltet, die die Bürger mit Steuermillionen darauf hinweisen, dass „der Winter kommt“?
Von Politikern wird oft reflexhaft mehr „Ehrlichkeit“ verlangt. In gewisser Weise ist die Ampelkoalition durchaus ehrlich: Sie tarnt ihre ideologischen Pläne nicht, und genau dafür wird sie nicht besonders gemocht, egal, wie viel Steuergeld sie im Augenblick für Sofortprogramme gegen die Krise ausgibt.

Susanne Gaschke ist Autorin der „Neuen Zürcher Zeitung“ im Berliner NZZ-Büro. Von 1997 bis 2012 war sie Reporterin und Leitartiklerin bei der Hamburger Wochenzeitung 'Die Zeit'. Ende Dezember 2012 übernahm die Sozialdemokratin das Oberbürgermeisteramt in Kiel. Ende Oktober 2013 erklärte sie ihren Rücktritt. Von 2015 bis 2022 war sie Autorin der "Welt" und der "Welt am Sonntag" in Berlin. Sie ist Autorin zahlreicher Sachbücher. Zuletzt erschien von ihr eine Biografie des Grünen Co-Vorsitzenden und jetzigen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Susanne Gaschke ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.

Susanne Gaschke
© Deutschlandradio/Jessica Sturmberg
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