Software "Melodyne" von Peter Neubäcker

Musiker vom Korsett des Klicks befreien

Von Maximilian Schönherr |
Die Musiksoftware Melodyne von Peter Neubäcker kann einzelne Töne aus vorhandenen Aufnahmen isolieren und bearbeiten. Mittlerweile ist sie zum Industriestandard geworden. Auf der Musikmesse in Frankfurt Main stellt er die neuesten Tricks von Melodyne vor.
"Jetzt verschiebe ich mal den vorletzten Ton einen Halbton höher."
Peter Neubäcker ist reiner Autodidakt. Er hat sich früher mit Astrologie beschäftigt, in den 1980er-Jahren Computerprogramme geschrieben, die die Harmonien von Planetensystemen darstellten. Vor allem, und auch heute noch, versteht er sich als Handwerker. Sein Vater hatte ein Radiogeschäft im Westfälischen Buer. Daher die Affinität zu Ton und Technik. Wenn Peter Neubäcker Gitarren baut, Laute spielt oder Musiksoftware programmiert, denkt er nicht groß nach.
"Also ich überlege mir nicht irgendwelche Algorithmen, sondern für mich ist die Programmierumgebung mehr so etwas wie eine Werkstatt, wo ich an etwas herumschnitze, ein völlig interaktiver Vorgang."
Die Entwicklung von Melodyne vollzog sich in großen Schritten. Nach 15 Jahren ist jetzt die Version 4 zu sehen. Das Update bietet Neuerungen, die wieder geeignet sind, die Musikaufnahme in Studios umzukrempeln. Wie ein Chirurg legt Neubäcker sein Skalpell in die digital aufgenommene Musik. Die neuste Version erlaubt es nur auch, die Obertöne jedes Tones zu bearbeiten. Obertöne sind das, was den Klang eines Instruments ausmacht.
"Vielleicht setze ich hier mal alles auf Null und hole dann einfach bestimmt Obertöne heraus."
Autor: "Welcher ist das jetzt?"
"Das ist zum Beispiel der fünfte Oberton. Nehme vielleicht den siebten Oberton dazu. Und dann den dritten. Jetzt wieder den Grundton dazu."

Wir Menschen hören die Eins

Ein weiterer Clou der neuen Melodyne-Version hat für Studioaufnahme große Bedeutung. Er ermöglicht die automatische Rhythmuserkennung in einem Musikstück. Bislang war es Programmierern nicht gelungen, die Eins eines Takts zielsicher zu finden, und das selbst bei streng im 4/4-Beat arrangierten Techno-Nummern. Die Basstrommeln klingen da meist gleich laut. Welche ist die für den Taktanfang, den so genannten Downbeat? Wir Menschen hören die Eins in fast aller Art von Musik sofort. Wir sind darin geschult. Auch bei diesem sehr getragenen Bläserquartett. Wir können den Takt mitsummen.
Autor: "1 – 2- 3- 4 … So könnte es gehen"
"Ja."
"Das Programm hat also den Rhythmus schon analysiert. Das ging innerhalb weniger Sekunden. Der lautere Klick ist eben diese Eins, um die es geht. Wir haben so Unterschiede von 55 Beats pro Minute, 54, dann wieder 55, dann 52."
"Wenn natürliche Musiker spielen, oder eigentlich wie alle Musik bis in die 1980er- Jahre gespielt worden ist. Es ist erst mit den Sequencern und den Drum Machines in den 80ern aufgekommen, dass man so ganz konstantes Tempo hat."
Autor: "1 – 2 – 3, das ist ein Walzer?"
"Auf jeden Fall ein Dreiertakt."
"Komplizierte Stelle. Mal sehen, was das System daraus erkennt. Hast du’s schon reingeladen?"
"Es ist gerade am Erkennen."
"Es setzt den Rhythmus so ungefähr bei 52 an. …Peter, ich muss sagen, das habt ihr gut gemacht!"

Konstanter Takt ist Zwangsmaßnahme geschuldet

Die meisten modernen Musikproduktionen basieren auf einem konstanten Rhythmus. Das ist einer Zwangsmaßnahme geschuldet, nämlich der Software, mit der seit 30 Jahren komponiert und arrangiert wird. Diese so genannten Sequenzer funktionieren nur dann elegant, wenn sie den vom Anwender einmal eingestellten Takt von vorn bis hinten durchhalten.
"Alle spielen zum Klick ein, niemand spielt gerne zum Klick ein, und die Musik wird dadurch relativ tot. Wenn man erkennt, wo jeder einzelne Schlag tatsächlich ist, dann kann man das Metronom sozusagen nachträglich generieren, und die Musiker können, wie sie es eigentlich wollen, frei einspielen. Also: Man spielt irgend etwas vor sich hin, so wie man das dem Gefühl nach spielen würde, und kann dann nachher im Aufnahmeprogramm genauso weiterarbeiten und andere Dinge dazu synchronisieren, wie man es gerne hätte."
Peter Neubäcker, der Lautenspieler und Gitarrenbauer, hat selbst keinen Bedarf für die Rhythmuserkennung. Er spielt gern allein und in kleinen Live-Ensembles. Die meisten Toningenieure sind noch nicht bereit, eine lange Tradition fallen zu lassen und ihre Musiker vom Korsett des Klicks zu befreien – auch wenn das jetzt fast mühelos geht. Und auf der Musikmesse in Frankfurt fragt man sich mal wieder: Wie hat er das gemacht, dieser kleine Mann aus München?
"Die Gitarre spielt hier immer 1 – 2 – 3, 1 – 2, 1 – 2 – 3, 1 – 2."
Mehr zum Thema