"Solange ich lebe, kriegt mich der Tod nicht."
Warum mag Benoîte Groult keine Friedhöfe? Wieso möchte sie einmal von Fischen gefressen werden? Und inwiefern ist sie enttäuscht von den heutigen Männern?
Schon die Glocke an der Eingangspforte macht Lust, Benoîte Groults Garten zu betreten. Der liegt direkt hinter der Kaimauer am malerischen Hafen des Dorfes Doëlan im äußersten Westen der Bretagne. Von hier aus sieht man den Leuchtturm und das offene Meer.
"Ach, der kleine Junge da lernt das Rudern, da im Boot. Er kommt ja überhaupt nicht voran. Wie süß!"
Benoîte Groult, Jahrgang 1920, steht auf dem von Kletterrosen berankten Balkon im ersten Stock ihres Feldsteinhauses, sieht mit ihren wachen, hellblauen Augen auf den Hafen. Gerade war die mobile Dorffriseurin da, hat der Schriftstellerin die braunen Haare geschnitten und zu Locken gedreht. Bevor sie sich zum Interview in ihr Arbeits- und Schlafzimmer zurückzieht, sieht sie noch einmal lange auf das Meer. Auf ihren Friedhof.
"Als mein Mann Paul starb, wollten unsere gemeinsame Tochter Constance und ich für ihn kein Grab an Land, sondern das Meer als Grab. Er ist nämlich in Nantes am Atlantik geboren. Wir sind auf einem bretonischen Rettungsboot aus diesem Hafen aufs Meer hinausgefahren und haben die Urne versenkt. Mein Mann und ich haben so viel gefischt, so viele Fische getötet. Jetzt sind wir an der Reihe, den Fischen als Nahrung zu dienen. Das nenne ich ausgleichende Gerechtigkeit."
Benoîte Groult hatte mit ihrem vierten und letzten Mann Paul Guimard eine offene Ehe vereinbart. Ohnehin hatte Benoîte Groult schon länger einen Geliebten, Kurt, einen deutschen Juden, der mit zwölf sein Land verlassen musste und 1945 als amerikanischer Pilot Paris befreite und die gutbürgerliche, belesene Benoîte Groult kennenlernte. Eine Heirat kam für die Schriftstellerin und Feministin nicht in Frage. Er war ihr viel zu ungebildet. In ihrem Roman "Salz auf unserer Haut" machte sie einen Fischer aus ihrem Piloten Kurt. Bis zu seinem Tod hielt die Liebesbeziehung.
"Eines Tages hat er mir gesagt: 'Ich möchte das Grab deiner Eltern besuchen, um ihnen dafür zu danken, dass sie dich in die Welt gesetzt haben.' Ich fand das einen so schönen Satz, dass ich ihn mitgenommen habe auf den Friedhof Montmartre in Paris, wo meine Eltern begraben liegen. Das war das einzige Mal, abgesehen von der Beerdigung selbst, dass ich da war. Friedhöfe kommen mir trostlos vor. Da gibt es ja nur Tote. Im Meer halten sich dagegen Leben und Tod die Waage."
Schon als Kind fühlte sich Benoîte Groult auf dem Wasser wohler als auf dem Land. Von ihrem Großvater lernte sie das Fischen. Später fuhr sie regelmäßig gemeinsam mit ihrem letzten Ehemann hinaus auf den Atlantik, besonders vor der Küste Irlands. Bald entstand der Wunsch, irgendwann einmal im Meer zu sterben.
"Ach, der kleine Junge da lernt das Rudern, da im Boot. Er kommt ja überhaupt nicht voran. Wie süß!"
Benoîte Groult, Jahrgang 1920, steht auf dem von Kletterrosen berankten Balkon im ersten Stock ihres Feldsteinhauses, sieht mit ihren wachen, hellblauen Augen auf den Hafen. Gerade war die mobile Dorffriseurin da, hat der Schriftstellerin die braunen Haare geschnitten und zu Locken gedreht. Bevor sie sich zum Interview in ihr Arbeits- und Schlafzimmer zurückzieht, sieht sie noch einmal lange auf das Meer. Auf ihren Friedhof.
"Als mein Mann Paul starb, wollten unsere gemeinsame Tochter Constance und ich für ihn kein Grab an Land, sondern das Meer als Grab. Er ist nämlich in Nantes am Atlantik geboren. Wir sind auf einem bretonischen Rettungsboot aus diesem Hafen aufs Meer hinausgefahren und haben die Urne versenkt. Mein Mann und ich haben so viel gefischt, so viele Fische getötet. Jetzt sind wir an der Reihe, den Fischen als Nahrung zu dienen. Das nenne ich ausgleichende Gerechtigkeit."
Benoîte Groult hatte mit ihrem vierten und letzten Mann Paul Guimard eine offene Ehe vereinbart. Ohnehin hatte Benoîte Groult schon länger einen Geliebten, Kurt, einen deutschen Juden, der mit zwölf sein Land verlassen musste und 1945 als amerikanischer Pilot Paris befreite und die gutbürgerliche, belesene Benoîte Groult kennenlernte. Eine Heirat kam für die Schriftstellerin und Feministin nicht in Frage. Er war ihr viel zu ungebildet. In ihrem Roman "Salz auf unserer Haut" machte sie einen Fischer aus ihrem Piloten Kurt. Bis zu seinem Tod hielt die Liebesbeziehung.
"Eines Tages hat er mir gesagt: 'Ich möchte das Grab deiner Eltern besuchen, um ihnen dafür zu danken, dass sie dich in die Welt gesetzt haben.' Ich fand das einen so schönen Satz, dass ich ihn mitgenommen habe auf den Friedhof Montmartre in Paris, wo meine Eltern begraben liegen. Das war das einzige Mal, abgesehen von der Beerdigung selbst, dass ich da war. Friedhöfe kommen mir trostlos vor. Da gibt es ja nur Tote. Im Meer halten sich dagegen Leben und Tod die Waage."
Schon als Kind fühlte sich Benoîte Groult auf dem Wasser wohler als auf dem Land. Von ihrem Großvater lernte sie das Fischen. Später fuhr sie regelmäßig gemeinsam mit ihrem letzten Ehemann hinaus auf den Atlantik, besonders vor der Küste Irlands. Bald entstand der Wunsch, irgendwann einmal im Meer zu sterben.
Benoîte Groult am Meer vor dem Hafen von Doëlan (Bild: Tobias Wenzel/ Knesebeck Verlag)
"Das kam mir doch interessanter vor, als an Altersschwäche zu sterben, mit Schläuchen in den Armen. Das wäre also ein schöner Tod gewesen. Aber jetzt ist es zu spät. Ich fahre nicht mehr mit dem Boot hinaus. Ich habe meinen Tod auf hoher See verpasst."
Benoite Groult ist schon lange Mitglied in einer französischen Gesellschaft für ein würdevolles und selbstbestimmtes Sterben. Sie hofft, den passenden Moment zu finden.
"Ich fühle mich wie ein Baum in einem Wald, in dem ein Sturm alle anderen Bäume gefällt hat. Alle meine Zeitgenossen, alle meine Freunde sind tot. Nur eine einzige Freundin ist mir geblieben. Sie ist drei Jahre jünger als ich. Sie ist so kostbar für mich. Ich pflege sie wie eine kränkelnde Blume."
Benoîte Groult ist leidenschaftliche Gärtnerin. Sie liebt es, Blumen zu pflanzen, auch wenn ihr, seit sie die 90 Jahre überschritten hat, ein professioneller Gärtner dabei hilft. Ansonsten ist sie gesund und selbstständig, fährt mit dem Fahrrad durch Paris und mit dem Auto durch die Bretagne. Aber es gibt ein Problem:
"Niemand sieht mich mehr! Kürzlich war ich am Flughafen. und wer hat mir dabei geholfen, meinen Koffer vom Förderband zu ziehen? Eine junge Frau. Für Männer bin ich in meinem Alter doch nur noch Luft. Ich bin nicht krank, ich bin nicht behindert. Oft bin ich fitter als andere mit 60. Aber für Männer bin ich keine Frau mehr, ja nicht einmal mehr ein Mensch. Wenn man so alt wie ich ist und noch am Leben, hat man ein bisschen das Gefühl, gar nicht mehr hier auf der Erde zu sein. Wir sind keine Gesellschaft mehr, die den Tod respektiert."
Benoite Groult ist kalt geworden. Sie schließt die Balkontür, ihr Fenster zum Meer, auf dessen Grund nun die Asche ihres Mannes liegt. Ob sie ihren toten Mann noch liebe, frage ich zum Schluss.
"Nein, das ist keine Liebe mehr, wenn man sich nicht unterhalten kann, über Literatur, Politik und Religion. Da liebt man nur noch eine Erinnerung. Aber ich hatte jetzt auch überhaupt keine Lust, mich umzubringen, als mein Mann starb. Ich will weiterleben. Solange ich gehen kann. Solange ich die Bretagne habe, die Sonne und die Pflanzen. Solange ich lebe, kriegt mich der Tod nicht."
"Benoîte Groult dans le port de Doëlan sur la rive droite, face à l'Atlantique, le Finistère de la France."
Benoîte Groult: "Auf dem Wasser gibt es keine Zeit. Man spürt die Ewigkeit, das ist großartig. Auch ist das Licht auf dem Meer schöner als an Land."
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Tobias Wenzel ist um die Welt gereist, um Schriftsteller auf Friedhöfen zu treffen - SerieFriedhofsbesuche