Solarprojekt in Mosambik

Mit Strom Analphabetismus bekämpfen

11:01 Minuten
Dorfbewohner von Mungaze beobachten wie Harald Nawrotzky aufs Dach der Schule klettert, um ein Solarpanell zu installieren.
Dorfbewohner von Mungaze beobachten wie Harald Nawrotzky aufs Dach der Schule klettert, um ein Solarpanell zu installieren. © Deutschlandradio / Vanja Budde
Von Vanja Budde · 14.06.2019
Audio herunterladen
Viele Schulen in Mosambik haben kein Storm. Brandenburger versuchen, mit einem Solarprojekt in dem ostafrikanischen Land zu helfen. Ein mühsamer Kampf, der aber vor Ort auch Erfolge zeigt.
Schweißgebadet beugt sich Harald Nawrotzky aus Müncheberg über den kaputten Schalter der Lampe in der Dorfschule von Chai-Chai: Das einfache Gebäude hat zwar schon eine Solaranlage auf dem Wellblechdach, aber die Schnur am Schalter ist abgerissen. Im ganzen Dorf mit einigen hundert Einwohnern gibt es anscheinend keinen einzigen Schraubenzieher, wundert sich der Elektriker und Solaranlagenbauer aus Brandenburg.
Eine Fledermaus wohnt mitsamt Großfamilie im Klassenzimmer, sie beschwert sich zwitschernd über die Ruhestörung. Es ist November 2018, Sommer im südlichen Afrika, Schulferien in Mosambik, das Klassenzimmer ist normalerweise verwaist. Lehmbienen haben ihre Nester an die verputzten, hell gestrichenen Wände geklebt.

Junge Lehrer müssen in den Busch

Die Kinder spielen draußen auf dem sandigen Dorfplatz. Anifa Armando Cao, 26 Jahre alt, Trägertop, rote Shorts und Flipflops an den Füßen, ist hier Lehrerin. Die abgelegene Provinz unweit der Grenze zu Südafrika und Simbabwe war nicht ihr Traumziel, räumt die junge Frau mit der aufwändigen Flechtfrisur ein.
"Als ich mein Diplom hatte, habe ich mich in Chokwe beworben. Das hat aber nicht geklappt. Der Distriktverantwortliche für Bildung in Dindiza hat uns dann gefragt, ob wir auch im Busch arbeiten würden, also in der totalen Einöde. Ich habe ja gesagt. Denn wenn wir alle nur in Städten arbeiten wollen, wer hilft dann den Kindern im Busch? Das ist eine große Herausforderung, dorthin zu gehen und zu unterrichten. Darum bin ich hier."
Die 26-jährige Lehrerin Anifa Armando Cao sitzt auf deiner Schulbank in der Grundschule in Chai-Chai. An der Wand hinter ihr ist eine Afrika-Karte.
Nach dem Studium in den Busch geschickt: Die 26-jährige Grundschullehrerin Anifa Armando Cao im Klassenraum in Chai-Chai.© Deutschlandradio / Vanja Budde
In der Kleinstadt Chokwe, rund 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt Maputo, gibt es alles: Teerstraßen, Banken, Internet, fließendes Wasser, Strom, Märkte, weiterführende Schulen, ein Krankenhaus, grüne, bewässerte Felder. Hier in Chai-Chai, gibt es nichts davon: Zu erreichen sind Dorf und Nationalpark nur nach stundelanger Fahrt mit Geländewagen auf Pisten durch den Busch. Strom und fließend Wasser: Fehlanzeige. Kein Handysignal, kein Internet.

Viele Lehrer sterben an Aids

Die etwa 150 Schüler leben mit ihren Eltern in Rundhütten mit Grasdach. Zu Jobs in Dörfern wie diesem würden darum meist die jungen Lehrer direkt nach der Ausbildung verdonnert, erzählt Anifa Caos 29-jähriger Kollege Edmundo Ignazio Mucaver. Von denen haben viele selbst nur eine mangelhafte Ausbildung.
Viele junge Lehrer sterben auch an Aids, neben Malaria eine der häufigsten Todesursachen in dem bitterarmen Land. Trotz vieler Neueinstellungen herrscht darum in Mosambik chronischer Lehrermangel: Durchschnittlich kommen 66 Schüler auf eine Lehrkraft.
"Normalerweise gehen alle Kinder hier zur Grundschule. Aber wir haben derzeit eine Krise. Wir haben Dürre, es gibt nichts zu essen. Traditionell ziehen die Familien dann in den Busch, wo es noch Wasser gibt, auch für die Kühe und Ziegen. Die Kinder nehmen sie natürlich mit und dann kommen sie nicht zur Schule."
Der Schalter ist repariert, das Licht brennt wieder. Ein Stapel zerfledderter Hefte dient als Unterrichtsmaterial, gerechnet wird mit Zeichnungen von Ananas, an der nach Fledermausurin stinkenden Wand hängt eine Karte von Afrika, auf der nur Mosambik und seine unmittelbaren Nachbarländer zu sehen sind. Doch das hier ist noch eine vergleichsweise gut ausgestattete Schule, wie die Helfer aus Brandenburg bald feststellen werden.

Ein Biologe aus Brandenburg hat die Reise organisiert

Die Fahrt mit dem Landrover ins nächste Dorf dauert auf den schlechten Pisten vier Stunden. Die Gruppe freiwilliger Helfer aus Brandenburg hat sich auf den offenen Ladeflächen eingerichtet, Schweißflecke und Staub auf den T-Shirts, Sonnenhüte auf den rotgebrannten Köpfen. Knapp drei Wochen sind sie in Mosambik unterwegs, rund 2000 Euro kostet die Reise, manche sind schon zum zweiten oder sogar dritten Mal dabei.
"Es ist die pure Neugier. Ich bin ein bisschen abenteuerlustiger Typ. Das hat zwei Aspekte: Das eine ist natürlich dieses Helfen irgendwo. Das andere ist natürlich, was hier so nebenher passiert: Dieses Leben. Dass du sagst, okay, auch das ist Leben."
Organisiert hat den Trip der Biologe Thomas Volpers, der sonst als Naturführer im Brandenburger Nationalpark Unteres Odertal unterwegs ist. Volpers hat den Kontakt zum 7.000 Quadratkilometer großen Nationalpark Banhine hier im Westen Mosambiks vor ein paar Jahren aufgebaut.
"Es ist eine ziemlich außergewöhnliche Landschaft, weil sie sehr viele Extreme aufweist: Wenn es ordentlich regnet, dann stehen hier große Teile unter Wasser, so dass die auch völlig unzugänglich sind. Und wenn kein Regen fällt, dann sind die gleichen Flächen absolut trocken, staubtrocken."

Wildtier bestand erholt sich nur langsam

Und so ist es im Moment: Im Oktober hätte die Regenzeit beginnen sollen, doch bislang ist kaum ein Tropfen gefallen. Die portugiesischen Kolonialherren haben den Nationalpark Banhine 1973 gegründet. Die in normalen Wintern wasserreiche Auenlandschaft galt als "Serengeti Mosambiks", war berühmt für ihre riesigen Zebra- und Giraffenherden, wurde aber im Bürgerkrieg komplett leer geschossen.
Der Wildtierbestand erholt sich nur sehr langsam. Auch, weil die Dürrejahre wegen des Klimawandels immer häufiger werden, erklärt Helder Mandlati. Der 39-Jährige ist stellvertretender Leiter des Nationalparks.
"Die Dorfbewohner hier leben wie Nomaden. Im Moment gibt es kein Wasser in den Brunnen, also ziehen die Familien dahin um, wo es noch Wasser gibt. Deswegen haben wir manchmal Konflikte mit ihnen: Sie kommen in den Nationalpark, um ihre Tiere zu tränken. Die wilden Tiere müssen dann woanders hin ausweichen."
Ein Ranger des Nationalparks Banhine steht an einem Pickup mit einem Sturmgewehr vor der Brust.
Gegen Wilderer: Knapp 50 Ranger versuchen, den Nationalpark Banhine zu kontrollieren.© Deutschlandradio / Vanja Budde
Das von Brandenburger Spenden finanzierte Solarstromprojekt soll auch der besseren Akzeptanz des Umwelt- und Naturschutzes dienen, erklärt Helder Mandlati.
"Die Leute sagen sich, der Park hilft uns, das ist eine gute Sache. Daher das Projekt jetzt, Licht in die Schulen zu bringen: Von der Erwachsenenbildung erhoffen wir uns, dass sie eine andere Sicht auf die Dinge lernen. So können sie der Regierung helfen, ihre Umgebung zu entwickeln."

Viele Dorfbewohner sind Analphabeten

Wenn es Licht gibt, können die Schulen abends Kurse in Lesen, Schreiben und Rechnen für die Erwachsenen anbieten: 13 Dörfer liegen am Rand des Nationalparks, alle ähnlich arm wie Chai-Chai. Viele Dorfbewohner sind noch Analphabeten, leben von der Hand in den Mund. Sie schlagen Brennholz, betreiben so Raubbau an der Buschsavanne, köhlern illegal Holzkohle, um ein paar Meticais zu verdienen.
Und manche wildern auch: Die Ranger von Banhine haben wegen Fallenstellens viele Dörfler festgenommen. Die Wilderer wurden teils zu hohen Haftstrafen verurteilt, die Ranger galten darum in den Dörfern als Feinde.
"Wenn wir heute in die Dörfer kommen, werden wir anders angesehen, als noch 2015. Heute sehen sie uns als Partner, die ihnen helfen und die man respektiert."
Harald Nawrotzky und seine Mitreisenden sind nach vier Stunden Fahrt im Dorf Mungaze angekommen. 40 Grad Celsius Hitze: Die Bevölkerung hat sich im Schatten großer Cashewbäume versammelt, empfängt die Besucher mit großem Hallo.

Schuldirektor wirbt um Schüler

In Mungaze werden 80 Kinder in zwei kleinen Lehmhütten oder auf dem großen, sandigen Dorfplatz unterrichtet. Anders als in Chai-Chai gibt es keine Pulte und Stühle, nur einfache Holzbänke. Genaue Summen möchte Schuldirektor Francisco Rafael Milambo nicht nennen, aber das Budget reiche hinten und vorne nicht, sagt der 31-Jährige. Er arbeitet anderthalb Monate hier in Mungaze, dann fährt er für zwei, drei Tage an die Küste zu seiner Frau und den beiden Söhnen.
Blick in den Klassenraum der Dorfschule in Mungaze. Dort ist neben einfachen Tischen und Bänken aus Holz auch eine Tafel. Die Wände sind aus Lehm. 
Die Dorfschule in Mungaze: Die Lehrer müssen vor allem die Eltern davon überzeugen, ihre Kinder in die Schule zu schicken.© Deutschlandradio / Vanja Budde
Harald Nawrotzky und ein zweiter Helfer klettern schweißüberströmt aufs glühend heiße Wellblechdach der ersten Schulhütte, um dort ein Solarpanel anzuschrauben. Andere graben Löcher für die Stützstreben der Stromleitung. Währenddessen betont im Staub des Dorfplatzes Direktor Milambo den Wert der Bildung.
"Die Kinder davon zu überzeugen, zur Schule zu kommen, das ist wirklich eine Herausforderung. Aber wir kämpfen um die Kinder, wir sprechen mit den Vätern, damit sie ihre Kinder in die Schule schicken. Wir müssen von Haus zu Haus gehen und die Kinder wecken. Die Eltern machen das nicht. Es gibt hier keinerlei Entwicklungsmöglichkeiten, keine Jobs. Die Eltern messen dem Schulbesuch darum keine Bedeutung bei."

Der Klimawandel bedroht Mozambik

Einige Stunden später ist die Solaranlage fertig installiert, das Licht brennt. Ein kleiner Teilerfolg auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Ein mühsamer Weg in einem Land, das neben Armut und Korruption auch ganz besonders unter den Folgen des Klimawandels zu leiden hat: Dürreperioden wechseln sich ab mit immer häufigeren Stürmen und Überschwemmungen, wie sie zuletzt Zyklon Idai über den Norden und Osten Mosambiks brachte. Dennoch: Die strapaziöse Reise hat sich gelohnt, sagt Solarelektriker Harald Nawrotzky.
"Die haben hier ganz andere Probleme. Und das mal nicht nur zu lesen oder aus den Medien, sondern wirklich zu erleben, das macht ein Stück weit demütig. Und das glaube ich ist gut."
Mehr zum Thema