Die Lichtbringer
30:21 Minuten
Ein deutsches Startup bringt sauberen, bezahlbaren Strom in westafrikanische Dörfer. Die Abnehmer sind begeistert. Doch wie kommt der Container in die Wüste? Und wie verträgt sich kommerziell angebotener Solarstrom mit der Kultur der lokalen Bevölkerung?
In einem fensterlosen Schuppen brüllt ein ölig-rußiges Dieselaggregat. Es treibt ein Mahlwerk, in das junge Frauen Nüsse des afrikanischen Butterbaums schütten. Rotbrauner Brei fließt in Blechschüsseln. Daraus gewinnen die Frauen Sheabutter, einen begehrten Rohstoff für Kosmetika. Nebenan schweißt Nuhun Traoré die zerbrochene Felge eines Lastkarrens. Eigentlich könnten sich die Frauen den Krach schon lange ersparen, sagt der junge Schmied achselzuckend.
"Bis vor kurzem hatte ich, um schweißen zu können, einen Dynamo an den Dieselgenerator der Mühle angeschlossen. Da musste ich für Diesel umgerechnet mehr als 40 Euro im Monat ausgeben. Und dauernd ging der Dynamo kaputt. Vor drei Monaten habe ich dann zum ersten Mal Solarstrom gekauft – von dem neuen Ungetüm dort drüben. Nun zahle ich pro Monat gerade noch ein Drittel dessen, was mich der Dieselstrom gekostet hat."
99 Prozent der Dorfbewohner ohne Strom
Ich bin in Kai, einem Dorf im Südosten des westafrikanischen Mali, an der Grenze zu Burkina Faso. Das Ungetüm, von dem der Schmied spricht, steht mitten im Dorf: ein Container voller Elektronik. Über dem Container weit ausladende Dächer aus Solarpaneelen. In deren Schatten trinken gerade ein paar ältere Männer in Boubous, bunt gemusterten traditionellen Gewändern, Tee.
99 Prozent der Dorfbewohner in Mali haben keinen Zugang zu Strom. Sie können ihre Nahrungsmittel und Medikamente nicht kühlen; Schulkinder machen Hausaufgaben im Qualm von Kerosinlampen; sie kennen weder Fernseher noch Computer. Da und dort dröhnen zwar Dieselgeneratoren; deren Betrieb ist aber teuer, setzt viel Kohlendioxid frei und schürt so den Klimawandel weltweit.
Doch es gibt Hoffnung für Malis Dörfer auf Strom, auf klimaneutral gewonnenen Strom aus Sonnenenergie. Und ich habe einen Hoffnungsträger in Mali besucht: das Startup des Deutschen Torsten Schreiber und seiner malischen Frau Aida.
Zehn Stunden war ich von Malis Hauptstadt Bamako aus unterwegs in den Südosten – in einem uralten Pickup auf löchrigem Asphalt, die Kalaschnikow meines neben mir sitzenden Leibwächters schlägt dauernd gegen mein rechtes Knie. Endlich im Scheinwerferlicht Lehmhütten des Dorfes Fanidiama, die Silhouette eines Pickups voller Soldaten mit aufgepflanztem Maschinengewehr, der Konvoi des Unternehmens Africa Greentec.
Torsten und Aida Schreiber verabschieden sich gerade von den Dorfältesten. Sie haben einen Deal mit ihnen abgeschlossen. Africa Greentec wird bald auch hier, im Dorf Fanidiama, eins seiner gelb-grün-rot lackierten Ungetüme aufstellen – eine mobile Solaranlage, die sie Solartainer nennen.
Dürren, Starkregen und Überschwemmungen
Ich steige um in den klimatisierten und gepanzerten SUV der Schreibers. Hinten schlafen die älteren Kinder der beiden. Die neunjährige Naomi und der zwölfjährige Joel verbringen ihre Ferien in Mali. Ihr Vater, Torsten Schreiber, trägt einen Rauschebart, schulterlanges Haar und ein khakifarbenes Firmenpolo. Er wirkt überhaupt nicht müde und erzählt munter drauf los. Von Mali, einem der ärmsten Länder der Welt mit 20 Millionen Einwohnern auf fast viermal der Fläche Deutschlands; überwiegend Halbwüste und Wüste.
Vom Klimawandel, der die Bauern mit extremen Dürren, Starkregen und Überschwemmungen bedroht. Und der angespannten Sicherheitslage, weil Ableger von al-Quaida und des IS im ganzen Land die Angst vor Attentaten und Sprengfallen schüren – und auch von 800 deutschen Soldaten bekämpft werden. Die wenigen Touristen in Mali sind ein bevorzugtes Ziel von Anschlägen. Deshalb mein Leibwächter, das gepanzerte Auto und die Militäreskorte.
Strom für Licht, zum Kühlen von Nahrungsmitteln und Medikamenten, für Handys und Fernseher sei in den 11.000 Dörfern Malis unbekannt gewesen, erzählt Schreiber – bis die Weltbank um die Jahrtausendwende ein Programm auflegte. Sie wollte einigen hundert Dörfern Strom verschaffen – mit Dieselgeneratoren.
"Als das Projekt dann realisiert wurde, die Netze gebaut hat und der Dieselgenerator angeliefert war, die Gebäude, das Gerätehaus fertig waren, war zwischenzeitlich der Dieselpreis auf das Doppelte angestiegen. Die Folge war, dass wir gerade aus einem Dorf kommen, was seit zwölf Jahren ein sieben Kilometer langes Stromnetz hat; eine Bevölkerung, die jahrelang auf die Umsetzung des ursprünglichen Weltbank-Projekts gewartet hatte und dann bis heute einen nagelneuen Dieselgenerator mit Spinnweben betrachten kann, aber noch nie das Licht anging."
Diesel zu teuer, Sonne im Überfluss
Ein gescheitertes Energieprojekt – eins von vielen in Afrika. Mittlerweile sind Dieselgeneratoren out: zu teuer, zu belastend für Umwelt und Klima. Für das Solarunternehmen Africa Greentec, indes, birgt das Scheitern der Weltbank Chancen: Sonne hat Mali im Überfluss; und in mehreren hundert Dörfern warten im Rahmen der Weltbank-Projekte verlegte Leitungsnetze auf Strom.
"Wir können den ursprünglich angestrebten Verkaufspreis für den Strom heute wirtschaftlich mit unserer Anlage darstellen – unter der Voraussetzung, dass wir auf ein solches Stromnetz zugreifen können. Wir haben unseren Solartainer, der ist in Deutschland gefertigt, der befindet sich gerade auf dem Schiff. Und wir können innerhalb von 24 Stunden hier das Licht anmachen."
Das gewaltige Solarstrompotential Malis werde bislang kaum genutzt, sagt Torsten Schreiber. Es gebe zwar einige mit Entwicklungshilfe finanzierte Solarkraftwerke, irgendwann aber liefen die Subventionen aus. Es gebe auch Firmen, die subventionierte Solarmodule verkaufen. Nach einem Jahr jedoch seien deren Blei-Akkus erschöpft; neue seien in der Regel nicht subventioniert; und beim dilettantischen Recycling von Bleibatterien vergifteten sich immer wieder Menschen. Die Firma Africa Greentec verkauft keine Anlagen und beansprucht keine Subventionen.
Sie betreibt auch keine Entwicklungshilfe, die Torsten Schreiber für wenig nachhaltig hält. Africa Greentec errichtet in Dörfern mit drei- bis 4000 Einwohnern und einer gewissen Kaufkraft Solaranlagen und, soweit noch nicht vorhanden, Stromnetze, so genannte local grids. Diese Systeme wartet das Unternehmen und versucht, mit dem Verkauf von Strom Gewinne zu erwirtschaften. Die Gewinne schüttet Africa Greentec allerdings nicht an die Anteilseigner aus.
"Wir verstehen uns als Sozialunternehmer. Meine Frau und ich sind Unternehmer im klassischen Sinn. Das heißt, wir haben vor, dass das Unternehmen und die Tätigkeit, die wir tun, wirtschaftlich tragfähig ist. Aber wir wollen letztendlich nicht das Kapital der Investoren in der Art vermehren, dass wir das Unternehmen darauf optimieren, dass die Eigenkapitalrendite wächst. Sondern alles, was sozusagen Erfolg ist, sprich über der schwarzen Null, wird wieder investiert."
Jeden Monat kommen ein bis zwei Solaranlagen dazu
22 Solartainer hat das Unternehmen bis März 2019 gebaut. 14 davon wurden in Mali aufgestellt, einer im Nachbarland Niger. Pro Monat kommen derzeit ein bis zwei Anlagen hinzu.
Am nächsten Tag dann: Ankunft in Kai. Das Dorf, wo seit Oktober 2018 ein Solartainer steht.
Der Empfang ist überwältigend. Eskortiert von ein paar Dutzend Motorrädern fahren wir an graubraunen Lehmhütten und Getreidespeichern vorbei, an Cashew- und Mangobäumen, zwischen denen bunte Wäsche flattert. Frauen in Wickelröcken und Turbanen stehen am Wegesrand; die Dorfältesten in ihren frisch gebügelten Boubous. Kinder tollen zwischen Ziegen und Schafen herum. Musiker spielen auf selbstgebauten Instrumenten aus Holz, Leder und ausgehöhlten Kürbissen – bevor Bürgermeister Drissa Dembela seine gelb-rot-grüne Amtsschärpe anlegt und die Gäste willkommen heißt. Später, abseits vom Trubel, gesteht der Bürgermeister, dass er hoch gepokert habe.
"Als ich den Leuten vorschlug, hier in Kai einen Solartainer aufstellen zu lassen, waren die meisten skeptisch. Solarstrom aus einer Anlage für hunderte Familien und Unternehmen – das würde ich nie hinkriegen, meinten viele. Es würde, im Gegenteil, das Ende meiner politischen Karriere bedeuten."
Doch da kam Oumar Maiga, ein Schwager Aida Schreibers, ins Spiel. Er vermittelte in Kai zwischen den Skeptikern und den Befürwortern und machte so den Deal perfekt. In einem Nachbardorf hat Maiga heute früh die Dorfältesten angebrüllt wie ein Ochsentreiber; und ich habe gedacht, sie würden uns gleich aus dem Dorf werfen. Die Ältesten haben aber nur die Köpfe gewiegt, getuschelt; und schließlich haben sie Beifall geklatscht.
Skepsis bei den Dorfältesten
"´Worauf wartet ihr noch?`, fragte ich sie. ´Ihr wartet seit 16 Jahren, dass euch die Regierung Strom liefert. Jetzt habt ihr tatsächlich die Chance, sauberen Strom zu bekommen, auf den 11.000 Dörfer in Mali warten. Wollt ihr diese Chance nutzen? Oder wollt ihr weitere 20 oder 30 Jahre auf elektrisches Licht warten?`"
Und: Haben die Dorfältesten einmal Beifall geklatscht, dann stehen sie auch dazu – erzählt Kais Bürgermeister Drissa Dembela.
"Wenn man sich zu etwas entschlossen hat, muss man auch selbst etwas dafür tun: ´Wir kümmern uns um die Strommasten.`, haben wir deshalb zu Oumar Maiga gesagt. Dann haben wir 200 unserer Eukalyptusbäume gefällt und die Stämme drei Monate lang in Wasser gelegt. Dadurch sind sie so fest geworden, dass keine Termiten mehr drangehen. Auch die Kabel für die Stromleitungen bezahlen wir – in drei Raten. Die erste, umgerechnet fast 19.000 Euro, haben wir nach der letzten Cashewernte überwiesen. Da waren wir einigermaßen flüssig."
Während der Bürgermeister, Oumar Maiga und die Schreibers Geschäfte besprechen, kümmern sich Mamadou Sall und Jesse Pielke um den Solartainer – im Schlepptau fünf malische Nachwuchstechniker. Der robust gebaute Container habe eine lange Reise hinter sich, erklärt der technische Geschäftsführer Sall: Vom hessischen Hainburg, dem Sitz von Africa Greentec, nach Hamburg; per Schiff nach Abidjan, auf einem Schwerlasttransporter quer durch die Elfenbeinküste und schließlich über die Buckelpisten Süd-Malis. Beim Aufbau war dann Millimeterarbeit gefragt, damit der Container auch beim heftigsten Staubsturm oder Wolkenbruch nicht zu wackeln beginnt. Mamadou Sal öffnet den Batterieschrank mit einem Dutzend aktenkoffergroßer Lithium-Akkus, eingebettet in ein Geflecht von Rohren.
Klimaanlage im Batterieschrank
"Wir nutzen Lithium-Akkus der neuesten Generation. Die halten sechs bis zwölf Jahre – wenn man einiges beachtet. Besonders wichtig ist, dass die Akkus nicht zu heiß werden. Deshalb haben wir im Batterieschrank eine Klimaanlage installiert. Die Rohre, die Sie hier sehen, kühlen die Akkus und halten die Temperatur stabil zwischen 25 und 30 Grad."
Der Deutsche Jesse Pielke, der die Logistik von Africa Greentec betreut, macht sich an zwei Schränken im hinteren Teil des Containers zu schaffen. Penibel prüft Pielke, ob die Verkabelung den Schemata auf seinem Laptop entspricht; er spielt Software-Updates auf und beantwortet gemeinsam mit Mamadou Sal Fragen der malischen Auszubildenden. Zwei Techniker und einen Wachmann pro Solartainer stellt Africa Greentec ein.
"Wir bilden unsere neuen Mitarbeiter vor allem praktisch aus. Und um wirklich gute Techniker zu bekommen, lassen wir immer zehn oder mehr Bewerber dabei sein, wenn wir einen Solartainer aufbauen; wenn wir Netze verlegen und Hausanschlüsse erstellen. Die, die sich als besonders lernfähig erweisen, stellen wir dann ein."
Maximal 50 Kilowatt liefert der Solartainer in Kai. Der Zähler ist über Satellit und Internet mit der Africa Greentec-Zentrale in Deutschland verbunden. Von dort aus werden Tarife eingestellt und, nur per Vorkasse, Stromguthaben freigeschaltet. Mit ihrem Anschluss bekommen die Kunden zwei Steckdosen und drei LED-Lampen. Um die Kosten von bis zu 300.000 Euro pro Solartainer zu decken, verlangt das Unternehmen etwa 20 Eurocent pro Kilowattstunde tagsüber und 40 Cent abends.
Das ist viel Geld im Verhältnis zur Kaufkraft in Mali, aber nur halb so teuer wie Dieselstrom. Und es kostet Privathaushalte übers Jahr weniger, als sie früher für Kerosin und Kerzen ausgegeben haben. Damit möglichst viele Nutzer an der begrenzten Menge Solarstrom teilhaben können, sei der Verbrauch pro Nutzer gedeckelt, erklärt Mamadou Sall. Handwerksbetriebe bekämen tagsüber mehr Strom, abends dafür gar keinen.
"Man lebt jetzt wie in einer Stadt"
Dramane Traoré, traditioneller Chief oder Häuptling in Kai, wirkt ähnlich dynamisch wie der Bürgermeister. Seit es Solarstrom in Kai gebe, beginne sich das Leben im Dorf grundlegend zu verändern, sagt er bei einem Spaziergang. 180 der 500 Haushalte haben sich bisher eine Leitung legen lassen. Von ihnen hätten fast alle jetzt Fernseher; nachts sei die Hauptstraße beleuchtet; viele Frauen verkauften gekühlte Getränke. Man lebe jetzt wie in einer Stadt.
Als wir in einem Innenhof zwei Frauen, schweißüberströmt, Mais stampfen sehen, schüttelt der Chief den Kopf: Das ginge viel leichter elektrisch.
Dramane Traoré selbst isst gern Fisch. Das brachte ihn, als auch in seinem Haus das Licht anging, auf eine ganz persönliche Geschäftsidee:
"Die Ware fahrender Fischhändler ist oft vergammelt, weil sie stundenlang auf dem Motorrad liegt. Jetzt fahre ich alle paar Tage in die Stadt Sikasso, kaufe dort sechs Kartons gefrorene Makrelen aus Mauretanien und fahre sie so schnell wie möglich hierher zu meiner Tiefkühltruhe. Jetzt bekommen die Leute wirklich frischen Fisch; und immer mehr kaufen bei mir – obwohl ich nicht billiger bin als die fahrenden Händler."
Noch vor einem halben Jahr wollte er in die Stadt ziehen, sagt Dramane Traoré. Auch dank des Solartainers ist er geblieben – wie sein Cousin, der Schmied Nuhun Traoré. Der hat mittlerweile zwei Mitarbeiter eingestellt. Und mit ihnen flickt er neuerdings nicht nur zerbrochene Felgen; er schmiedet auch Ackergerät, repariert Türen, baut Sesselgestelle.
"Seit ich zwei Schweißgeräte mit Solarstrom betreibe und eine Flex, wächst mein Geschäft wie verrückt. Ich drehe keine Däumchen mehr, weil ein Dynamo kaputt ist, sondern arbeite von morgens um sieben bis nachmittags um fünf. Und weil ich immer mehr Strom brauche, muss mir Africa Greentec bald einen zweiten Zähler installieren."
Nuhun Traoré betreibt inzwischen nicht nur sein Werkzeug mit Solarstrom. Er hat sich auch einen Fernseher gekauft, seinem ältesten Sohn einen Computer und seiner Frau einen Kühlschrank.
Leider kauften die Leute in Kai oft uralte Schrottgeräte aus Europa – kommentiert Logistiker Jesse Pielke. Solche Geräte verbrauchen mehrere hundert Watt pro Stunde – statt nur 20 oder 30 wie moderne Stromspargeräte. Um den Dorfbewohnern Geld zu sparen und das Klima zu schützen, sollte Africa Greentec zusätzlich auch energiesparende Geräte vertreiben, meint er. Andererseits:
"Das Gute an unserem Container ist, dass er sehr, sehr leicht aufstockbar ist – gerade was die Batteriekapazität angeht. Das ist sehr einfach, mit wenig Aufwand mehr Kapazität hinzuzufügen und so auch besonders abends mehr Stromkapazität und Leistung bereitzustellen. Und wenn der eine Container dann zu hundert Prozent ausgelastet ist, dann denken wir als nächstes darüber nach, einen zweiten daneben zu stellen und die beiden miteinander zu verkoppeln."
120 Mitarbeiter in Mali und Deutschland
Mittagspause. Ich sitze mit Aida Schreiber im Schatten des Solartainers. Die Chefin von Africa Greentec hat ihre Tochter Naomi auf dem Schoß. Aida Schreiber stammt aus einer Königsfamilie der Fulbe, eines westafrikanischen Hirtenvolkes. Sie wirkt sehr ernst und diszipliniert auf mich, strahlt eine natürliche Autorität aus. Ihren Mann hat sie bei einem Verwandtenbesuch in Deutschland kennengelernt und ist geblieben.
Torsten Schreiber war damals ein erfolgreicher Modedesigner. In Mali aktiv zu werden – das war die Idee seiner Frau. 2014 gründete das Ehepaar das Sozialunternehmen mit heute 20 Mitarbeitern in Deutschland und über 100 in Mali. Zwei, dreimal pro Jahr sind die Schreibers unterwegs in Afrika. Zeit, in denen die Kinder oft zu kurz kommen. Findet jedenfalls Naomi, klappt das Tagebuch auf, das sie für ihre Schulklasse schreibt, und liest mir daraus vor.
"Heute sind meine Eltern, so wie gestern, immer im Stress. Ich hoffe, dass es nicht wegen mir ist. Ich sag euch erst mal, was passiert ist. Also: Wir wollten heute auf Mission gehen. Also wollten wir los und waren plötzlich sieben in einem Fünfsitzer. Wo wir mit der Kolonne zur Tankstelle gefahren sind, war der Zehnsitzer nicht mehr hinter uns. Also war mein Papa wieder im Stress."
Aida Schreiber drückt ihre Tochter fest an sich.
"Es ist einfach so, dass wir durch unser vieles Arbeiten wenig Zeit für unsere Kinder haben. Aber dadurch haben wir Tausende anderer Kinder, denen wir hier vor Ort helfen, dass sie eine Chance haben, ihre Zukunft selbst zu gestalten. Und deswegen haben wir dieses Mal auch die Kinder mitgenommen. Damit sie mal sehen, wie viele Tausende von Kindern durch unseren Strom in die Schule gehen können, lesen können, lernen können."
Die malisch-deutsche Unternehmerin führt mich zu der geduckten Lehmhütte Marian Djallas, einer 24-jährigen Mutter von drei Kindern, die noch keinen Stromanschluss besitzt. Drei Stunden lang hat Marian heute Brennholz gesammelt und Wasser geholt. Aus dem öffentlichen Wasserhahn an der Straße kommt kein Tropfen, weil die Pumpe des Wasserturms von Kai seit Wochen kaputt ist. Jetzt kocht die junge Frau – auf offenem Feuer in einer kleinen, fensterlosen Küche. Ein Baby schläft auf ihrem Rücken; ihre Augen sind entzündet, Tränen laufen ihr die Wangen herunter.
Nachts keine Angst – dank einer LED-Lampe
"Der Qualm brennt furchtbar in den Augen. Und wenn ich huste, ist der Schleim oft pechschwarz. Manchmal bekomme ich auch kaum noch Luft. Ach, wäre das schön, wenn ich Strom und Gas hätte – wie der Wachmann des Solartainers, der nebenan wohnt. Seine LED-Lampe leuchtet jetzt auch in unseren Hof; und ich habe keine Angst mehr, wenn ich nachts zur Toilette gehe."
Aida Schreiber nimmt die junge Bauersfrau in den Arm – fast so wie ihre Tochter.
"Teilweise siehst du Frauen mit 40, die sterben einfach an irgendwelchen Lungenkrankheiten. Sie haben Rückenschmerzen, weil sie fünf Kilometer laufen und dabei das Brennholz tragen. Aber jetzt gibt es eine Alternative, nämlich Biogassysteme. Und auf deren Verbreitung werde ich mich jetzt fokussieren."
Solarstrom, sagt Aida Schreiber, sei vorläufig noch zu teuer zum Kochen – selbst mit modernsten Induktionsherden. Deshalb hat Africa Greentec begonnen, zusätzlich zu Solartainern kleine Biogasanlagen zu bauen, die vor allem den reichlich vorhandenen Dung des malischen Viehs verwerten. Eine Anlage für 1000 Euro füllt pro Tag vier große Plastikrucksäcke mit Biogas. Das ersetzt 28 Kilo Holz und ist zudem billiger. Die Schreibers verkaufen ihre leicht zu wartenden Biogasanlagen lokalen Betreibern. Die zahlen sie zwei, drei Jahre lang ab, haben ein dauerhaft solides Einkommen, helfen den Frauen im Dorf und dem Klimaschutz.
Aida Schreiber trägt Khakihosen, das khakifarbene Firmenpolo und keine Kopfbedeckung – ein ungewohnter Anblick für die meisten der Dorfbewohner. Denn nach wie vor geben erzkonservative religiöse Autoritäten in Mali den Ton an, Frauen haben oft keinerlei Zugang zu Entscheidungsgremien. Da müsse sie durch, sagt die Unternehmerin und lächelt zum ersten Mal heute.
"Manche Dörfer darf ich als Frau gar nicht betreten, weil Frauen bei den Dorfältesten nicht gut angesehen sind und nicht mitreden dürfen. Aber dadurch, dass mein Mann auch immer dabei ist und wir ihnen erklären, dass wir nur zu zweit diese Sachen machen, ändert sich das gerade."
Immer häufiger erlebe sie inzwischen, sagt Aida Schreiber, dass bei Versammlungen auch lokale Frauen das Wort ergreifen; dass sie Wünsche und Sorgen artikulieren.
Eigenes Vermögen eingesetzt
Abenddämmerung in Kai. Die Dorfbewohner sind heimgegangen. Rauch von Dutzenden Kochstellen zieht durchs Dorf. LED-Leuchten flammen auf. Auf Baumstämmen sitzend lassen die Schreibers und ihre Mitarbeiter ihren Tag Revue passieren. Manche in Deutschland sähen in ihm einen Guru, sagt der Mann mit dem Rauschebart und lächelt verschmitzt und ein wenig selbstgefällig.
Und tatsächlich verfolgen seine Frau und er eine quasi religiöse Mission. Sie wollen einen positiven Fußabdruck hinterlassen – in Form von Solartainern und Biogasanlagen für, wenn möglich, Millionen Menschen. Mit Crowdfunding, Schwarmfinanzierung übers Internet, haben sie begonnen, haben eigenes Vermögen eingesetzt und schließlich eine Anleihe über zehn Millionen Euro aufgelegt. Die Bank, die den Kredit gegeben hat, aber will 6,5 Prozent Zinsen angesichts des hohen Risikos in Mali. Die Schreibers stehen also unter stetem finanziellem Druck.
Und sie müssen nicht nur alltäglich technische Herausforderungen bewältigen, die den Bau so manches Solartainers wochenlang verzögern. Sie kämpfen in Mali auch mit Korruption und politischer Willkür, mit sozialen und kulturellen Empfindlichkeiten. Das Konzept des Sozialunternehmertums sei den meisten Afrikanern fremd, sagt Torsten Schreiber.
"Die Afrikaner kennen entweder nur: Sie kriegen was geschenkt oder sie müssen horrende Wucherzinsen bezahlen. Wenn man hier als Unternehmer auftritt, dann ist man gleich irgendwie verschrien als jemand, der eben entweder das Land ausbeutet oder die Rohstoffe klauen möchte oder so. Wir müssen also wirklich immer aufpassen, dass die Menschen verstehen, dass wir wirklich als Sozialunternehmen es anders angehen, als das, was sie kennen."
Immerhin: Aida Schreiber ist aufgewachsen in dieser Welt; ihre Geschäftsführer Mamadou Sal und Oumar Maiga bewegen sich wie Fische im Wasser darin. Und morgen in Bamako werde ich erleben, wie der Chef der Energiebehörde drei Stunden lang mit einer Africa Greentec-Delegation verhandelt, während fünf, sechs wichtig wirkende Aktenkofferträger im Vorzimmer warten. Das junge Sozialunternehmen erfüllt, so scheint es, ein Grundbedürfnis in Mali. Und das, sagt Torsten Schreiber nachdenklich, merkten auch die Dorfbewohner sehr schnell.
Die ersten Rückkehrer
"Was man letztendlich hier bewirkt an Empowerment, wie die Menschen sich engagieren, wie Menschen sich verändern, wie Leute zurückkommen, wie Leute, die ins Ausland geflüchtet sind, plötzlich investieren in ihr altes Dorf oder sogar überlegen, wieder zurückzukommen – das kann man nur sehen, wenn man eben hier vor Ort mit den Menschen spricht und mit ihnen so eng arbeitet, wie wir das tun."
Auch Naomi Schreiber will ihren Beitrag leisten. Bei ihrem letzten Besuch war sie entsetzt, wie viele Kinder in Mali abgerissen herumlaufen und betteln. Deshalb hat die Neunjährige an ihrer Schule in Deutschland eine Sammlung nicht mehr benutzter Spielsachen organisiert. Mit einem der nächsten Solartainer werden diese nach Mali gebracht und verteilt – im Beisein von Naomi.
"Ich will studieren und dann Papas Arbeit übernehmen. Ich will das Gleiche wie Papa einfach übernehmen und weitermachen, groß werden lassen. Weil, so vielen Kindern Strom zu bringen, da ist man einfach cool; und ich finde das schön, dass man Kindern helfen kann, was ich früher eigentlich gar nicht wusste, dass es hier so arme Kinder gibt. Und ich merke es jetzt einfach und will einfach die Arbeit von meinem Papa übernehmen. Ich bin sehr stolz auf das, was Papa tut."
Beim Abschied blickt Bürgermeister Drissa Dembela in die Zukunft. Eine Zukunft, die er sich ohne Strom gar nicht mehr vorstellen kann.
"Die Entwicklung des Dorfes Kai in den nächsten fünf Jahren wird phantastisch sein. Das werden weder Gewitter noch Stürme verhindern – und auch keine Diebe und Terroristen. Viele neue Betriebe werden eröffnen; Betriebe, die auch unsere landwirtschaftlichen Produkte wie Mangos, Shea- und Cashewnüsse weiterverarbeiten. Schon jetzt kehren junge Leute, die in die Stadt gegangen sind, zurück, um hier in Kai Geld zu verdienen – viel Geld, mithilfe von Solarstrom."