Autor: Manuel Waltz
Regie: Frank Merfort
Ton: Hermann Leppich
Redaktion: Constanze Lehmann
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2020
Eine Leipziger Hausgemeinschaft im Lockdown
29:48 Minuten
Ein Gründerzeithaus im Westen von Leipzig. Acht Erwachsene und vier Kinder leben ständig dort. Das Haus gehört ihnen als Kollektiv. Ihr Anspruch: individuell und solidarisch sein. Dann kommt Corona und die Hausgemeinschaft muss sich neu organisieren.
Wir wohnen zusammen in einem Gründerzeithaus im Westen von Leipzig. Meine Kinder und ich. Und unsere Hausgemeinschaft.
Kinder: "Ich mag einfach mein Zimmer. Ich mag’s hier. Und ich mag Fine auch, ‘ne Kumpeline von mir, die hier im Haus wohnt. Ich mag mein Zimmer bei Mama unten, den Dachboden, ich mag einfach insgesamt unser Haus wie es aussieht. Das hier oben gehört uns beiden und auf dem Speicher das mag ich auch sehr gern."
Es geht seinen Gang. Bis Corona kommt.
Ich bin eine unserer größten Schwachstellen, das muss ich leider so sagen. Ich halte unseren Infektionsketten-Plan in der Hand. Auf einem Plenum kurz vor dem Corona-Lockdown haben wir ihn erstellt. Ein DIN A3-Blatt, gestaltet von unserem Comic-Zeichner im Haus, entsprechend schick sieht er aus. Reihum sollte jede Bewohnerin und jeder Bewohner sagen, zu wem wir noch Kontakt außerhalb des Hauses halten müssen oder wollen.
Entstanden ist eine Art Blume: wir als Blütenkorb in der Mitte mit Blütenblättern nach außen. Oder auch eine Sonne, wie Kinder sie malen. Mit Strahlen, die von der Sonne abgehen. Und bei mir und meinen Kindern sind da einige Strahlen. Tatsächlich ist der Plan noch recht wohlwollend für mich gestaltet, meine Kinder und ich sind einzeln eingetragen. Verena hatte die Idee zu diesem Infektionskettenplan.
"Für mich hat es auf jeden Fall Sinn gemacht, dass allen auch klar ist, wo die Ansteckungsketten laufen und wenn wir uns auch hier im Haus zusammen aufhalten und zusammen essen, dass klar ist, wenn man sich dann ansteckt, wo das dann noch weiterführt und dass das dann nicht fertig ist."
Kompliziertes Beziehungsgeflecht
So wie unser Haus funktioniert, lag es nahe, sich Gedanken um das Zusammenleben zu machen. Im Erdgeschoss gibt es zwei Büros, die beiden, die dort eigentlich arbeiten machen jetzt Homeoffice. In den oberen Stockwerken wohnen wir: acht Erwachsene und vier Kinder, die ständig hier leben. Ein weiteres Kind – meine Tochter – ist jeweils eine Woche hier, die andere Woche lebt sie bei ihrer Mutter in einem anderen Hausprojekt ganz in der Nähe.
"Wenn es um diese ganzen Patchwork-Geschichten geht, ist natürlich dein Lebensmodell, oder wie du in dem Ganzen drinsteckst, ja eigentlich noch am interessantesten", sagt Melina, die Mutter meines Sohnes. Sie wohnt auch in unserem Haus. Leo ist immer eine Woche bei mir, dann wieder eine Woche bei ihr.
Meine Freundin lebt nicht im Haus. Sie wohnt mit ihrer besten Freundin zusammen, beide haben in Co-Mutterschaft ein acht Monate altes Baby. Die Co-Mutter hat auch noch einen Freund. Das Ganze ist – zugegeben - eine recht komplizierte Familienkonstellation. Und erfordert eine ganze Menge Koordination, Absprachen und Planung. Aber es funktioniert. Ich würde sagen, allen geht es gut, so wie es ist. Corona hat aber auch diese Situation nicht einfacher gemacht.
Melina stellt lachend fest: "Ja, was so Infektionsketten angeht, da bist du auf jeden Fall vorne mit dabei."
Gerade meine Tochter Maya hat, wenn sie bei ihrer Mutter ist, mit vielen Leuten zu tun. In ihrem Haus ist jedes Stockwerk als Wohngemeinschaft organisiert. Mit einer Küche, einem Bad für alle Bewohner eines Stockwerks. Wie damit umgehen?
Zum Glück bin ich aber nicht das einzige Problem. Max bestätigt das. "Ja, die Verbindungen zu so anderen Gruppen, da dachte ich, ah ja, ok, das lässt sich total schwer nur lösen. So was wie Maya. Und Kathrin, die arbeitet als Streetworkerin, da dachte ich, ja, das ist einfach offen."
Ein bisschen Panik kommt auf
Als absehbar war, dass die Schulen in Leipzig schließen, dass es massive Ausgangsbeschränkungen geben wird, in dem Moment, als sich ein wenig Panik breit gemacht hat, weil vielleicht eine Krise ungeahnten Ausmaßes vor uns steht, da haben wir uns im Haus zusammengesetzt und überlegt, was wir jetzt machen sollen und welche Konsequenzen das hat.
Wir als Hausgemeinschaft haben uns dann als ein Haushalt definiert. Das heißt, wir ziehen uns nicht in unsere jeweiligen Wohnungen zurück, sondern treffen uns weiterhin. Wir versuchen untereinander Abstand zu halten, beachten die Hygienevorschriften, schotten uns jedoch gegenseitig nicht ab. Aber wir versuchen, alle Kontakte nach außen so weit wie möglich zurückzufahren.
"Also, dass wir für uns ja auch schon sagen können: Wir als Haus gehen in Quarantäne, wenn es jemand bekommt. Aber gleichzeitig wir als Haus halt nicht abgeschlossen funktionieren, sondern es mehrere Verbindungen nach außen gibt und von außen nach innen. Und die ja auch nach wie vor bestehen, und ich glaube einfach so ein Bewusstsein dafür, dass es die auch gibt und dann auch schon mal überlegen zu können: Ok, was macht man dann, wenn wir als Haus in Quarantäne gehen, was passiert mit diesen Verbindungen. Das fand ich wichtig und darum auch sinnvoll einfach mal aufzuzeichnen."
Nicht nur meine Partnerin wohnt nicht im Haus, sondern beispielsweise auch Melinas Freund.
"Ich meine bisher war es so, dass es erlaubt war, die Partnerinnen und Partner zu sehen und so weiter und so fort. Also auch da hatten wir ja Diskussionen drüber, was passiert, wenn jemand von uns im Haus erkrankt? Machen wir dann komplett zu, Quarantäne, oder wenn jemand jemandem begegnet und eine Quarantäne notwendig wird, dass die Partnerinnen und Partner überlegen müssen, dass sie ins Haus kommen und dann mit uns hier wohnen und diese zwei Wochen mit uns hier durchmachen oder halt draußen bleiben."
Kurze Quarantäne für Max und Susi
Letztendlich haben sich alle soweit es geht eingeschränkt und ihre Verbindungen nach außen gekappt. Unzumutbar war, nicht mehr die Partnerinnen und den Partner zu treffen, genauso die Kinder.
Melina nimmt an: "Wäre das hier jetzt tatsächlich so massiv ausgebrochen wie in so Großstädten Madrid oder New York oder so, dann hätte man dann auch vielleicht nochmal anders drüber nachdenken müssen und so wie das jetzt ist, fand ich das vertretbar. Man muss natürlich schon immer abwägen, wie es ist. Der soziale Aspekt davon, also dass die Kleine jetzt hier nicht herkommen kann oder nur hier ist und ihre Mutter nicht sehen kann, muss man ja auch entscheiden, ob das tragbar ist oder nicht."
Inzwischen sind einige Wochen vergangen. Mittlerweile wurden die Beschränkungen ein Stück zurückgenommen, deshalb gibt es für uns im Moment keinen Anlass, uns weiter einzuschränken. Wie zuvor gilt, dass wir uns so wenig wie möglich mit anderen treffen. Und bisher ist auch niemand bei uns krank geworden.
Es ist Mittag und es gibt Essen im Haus. Im dritten Stock, in meiner Wohnung. Auf dem langen Tisch in der Küche steht schon ein großer Topf mit Nudeln, es gibt eine Soße aus Roter Beete und einen großen Salat. Die Familie, die im zweiten Stock wohnt, kommt heute allerdings nicht, erzähle ich den anderen: "Susi und Max essen jetzt erst einmal unten allein." Und Leo ergänzt: "Verena und Thomas auch nicht."
Solange wir nicht wissen, was mit Max ist. Max ist einer derjenigen bei uns, der am wenigsten Kontakt nach außen hat. Ausgerechnet er hatte aber nun Kontakt zu einer infizierten Person. Kurz vor dem Shutdown war er noch in seinem Büro, eine Bürogemeinschaft von selbständigen Künstlerinnen und Künstlern. Und eine von ihnen wurde positiv auf Corona getestet. Das hat er gestern Abend erfahren. Jetzt bleiben er, seine Freundin und ihr Sohn erst einmal in ihrer Wohnung.
Manuel: "Aber die Susi war gerade kurz da und hat nochmal gesagt, dass der Max schon sehr lange keinen Kontakt mehr zu ihr hatte. Er meinte mindestens zehn Tage eher zwei Wochen." Melina: "Und das ist schon fast die Quarantänezeit." Leo mag nur Nudeln haben. Manuel: "Das ist super lecker, das essen alle. Doch!"
Die Kollegin von Max hat sich wohl in einem Fitnessstudio angesteckt. Jetzt ist sie mit ihrer Freundin in Berlin in Quarantäne. Allen, mit denen sie in der Zeit, in der sie vermutlich das Virus in sich getragen hat, in Kontakt gekommen ist, hat sie dann einen Fragebogen des Gesundheitsamtes geschickt. Auch Max.
"Das Formular habe ich ausgefüllt. Und man ist aufgefordert, das an das Gesundheitsamt, das eigene Gesundheitsamt hier in Leipzig in meinem Fall, zu schicken. Das habe ich gemacht, die haben mich dann relativ schnell angerufen, also ein paar Stunden später, wollten da nochmal drauf eingehen, weil es da so ein paar relativ vage Angaben nur drauf möglich sind auf dem Formular. Haben dann nochmal nachgefragt, welche Beziehung hatte man da jetzt miteinander und wie hat man sich da jetzt gesehen und wie viel hatte man zu tun und wann war wirklich das letzte Mal, dass man sich gesehen hatte. Und dann war denen klar, naja, das ist jetzt zwei Wochen her, keine Symptome und dann hat sie gesagt, dann lassen Sie es jetzt einfach so, wie es ist."
Die Krise und der solidarische Anspruch
Susi, Max und ihr Sohn Juri können also am nächsten Tag wieder ihre Wohnung verlassen und beim Mittagessen dabei sein. Dieses regelmäßige Mittagessen haben wir erst mit der Coronakrise eingeführt. Immer mal wieder gab es zuvor schon gemeinsame Essen. Wir kaufen auch gemeinsam ein und haben zusammen eine Speisekammer. Wir wollen einmal im Jahr einen Ausflug für ein Wochenende machen, schaffen es aber nicht immer. In unserem Haus haben wir unsere eigenen Wohnungen, die Türen sind aber offen. Wir verstehen uns als eine Hausgemeinschaft, oder wie Kathrin es ausdrückt: "Wir sind so gemeinschaftlich individuell. Der Fokus liegt schon sehr darauf, dass jede Person erst einmal ihre eigene Person ist und sich dann mit ihren Anliegen innerhalb der Gruppe verortet und dann das einbringt, was sie kann oder was sie möchte."
Im Jahr 2012 haben wir einen Verein gegründet und mit diesem Verein das Haus gekauft. So gehört es uns nicht persönlich, sondern als Kollektiv. 1905 wurde es gebaut, nach der Wende stand es zwölf Jahre lang leer, Schwamm war im Dach und in einigen Deckenbalken. Das Dach haben wir komplett neu gemacht, wir haben saniert, haben Tonnen von Müll aus den Wohnungen geschafft, alle Leitungen – Wasser, Abwasser und Strom mussten wir neu legen. Wir haben Wohnungen zusammengelegt, 600 Quadratmeter Böden abgeschliffen, eine Heizung eingebaut, die Fenster erneuert.
Das meiste davon haben wir selbst gemacht. Zwei Jahre lang haben wir daran gearbeitet, neben unserem eigentlichen Leben. Seit knapp sieben Jahren leben wir jetzt hier zusammen. Wie stark wir uns als Gruppe verstehen, das ist immer mal Thema bei unseren zweiwöchigen Plena. Eine genaue Definition haben wir bisher nicht gefunden - auch Susi nicht:
"Was es nicht ist: Also es ist nicht einfach nur so eine Zweckgemeinschaft, wie vielleicht bei manchen Baugruppen oder so. Dass jeder dann am Ende - oder bei so Eigentümergruppen oder so, jeder dann so seines hat, sondern schon so eine gemeinsame Idee dahintersteht, von Zusammenleben, die sich vielleicht nochmal von anderen Hausprojekten unterscheidet, dass es bei uns noch mehr Bedürfnis nach Rückzug gibt."
Zusammenrücken, ist das sinnvoll?
Was immer klar ist, dass wir untereinander solidarisch sind. Das heißt, dass wir grundlegende Probleme von Einzelnen, wenn gewollt, gemeinsam lösen, dass wir uns gegenseitig unterstützen, wo immer es geht. Im Moment des Lockdowns war daher auch klar, dass wir das irgendwie zusammen durchmachen, auch wenn wir eigentlich immer Wert darauf legen, dass jeder sein eigenes Leben hat.
Susi: "Und genauso ist das jetzt im Prinzip auch, nämlich dass man natürlich jetzt ein Stück weit näher zusammengerückt ist und sich zusammen organisiert, aber gleichzeitig eben trotzdem jeder da für sich sozusagen ein bisschen die Räume nimmt, wie die Person das jeweils braucht."
Kathrin arbeitet weiterhin als Streetworkerin außerhalb des Hauses. Alle anderen sind jetzt den ganzen Tag zu Hause. Homeoffice - oder keine Aufträge mehr. Daher war eine Idee, dass wir gemeinsam zu Mittag essen. Uns Eltern war außerdem relativ schnell klar, dass wir gerade für die Kinder eine gewisse Struktur brauchen, damit nicht alle durchdrehen, wenn wir die ganze Zeit hier sind. Das Essen sollte ein Teil dieser Struktur sein.
"Nachvollziehbar, aber nicht sinnvoll." Findet Verena. "Dass wir, wenn eigentlich mehr Abstand geboten wäre, dann gerade zusammenrücken. Rein ansteckungstechnisch fand ich das nicht sinnvoll. Insbesondere dass wir dann angefangen haben, gemeinsam zu essen, was wir vorher nicht gemacht haben und wir auch einfach hätten uns das aufteilen können, dass immer jemand kocht jeden Tag, das finde ich total sinnvoll, wenn wir eh alle zu Hause sind, was ja vorher nicht der Fall war. Aber es wäre ja dann genauso gut möglich gewesen in den jeweiligen Küchen zu essen, was ich sinnvoller gefunden hätte."
Bei aller Kritik trägt sie die Idee aber mit.
"Ja, weil man in der Krise natürlich Nähe sucht und durch die anderen, durch den Zusammenhalt sicherer und geborgener fühlt."
Wenn das Wetter mitspielt, essen wir draußen im Hof, dann sind auch Verena, ihr Freund und ihre zweijährige Tochter dabei. Bei schlechtem Wetter essen sie in ihrer Küche. Ein anderer Teil unserer Organisation ist eine gemeinsame Kinderbetreuung. Zwei Kinder, mein Sohn Leo und Fine, sind elf. Meine Tochter ist sieben. Die Schule ist zu und wir müssen jetzt Homeschooling machen.
"Probier´s mal mit Gemütlichkeit, mit Ruhe und Gemütlichkeit." Gerade sind die Hausaufgaben erledigt. Die Kinder freuen sich, dass die Schule für heute vorbei ist. Sie singen: "Wirf die Sorgen über Bord. Und wenn du stets gemütlich bist und etwas appetitlich ist, dann nimm' es dir egal von welchem Ort. Was soll ich woanders, wo es mir nicht gefällt. Ich geh nicht fort hier auch für Geld."
Heute hat Nelly die Betreuung der Kinder übernommen. "Leute! Das habt ihr super gemacht!"
Wechselnde Betreuung bei den Schulaufgaben
Jeden Vormittag machen die Kinder die Aufgaben, die sie von der Schule bekommen. Und ein Elternteil hilft ihnen dabei.
"Und in der Woche als es losging, war Leo bei mir und da hatten wir das alles ja noch nicht organisiert." Erinnert sich Melina. "Und das war schon irgendwie erst einmal heftig. Also allein das Kind da irgendwie satt zu kriegen drei Mal am Tag und dann irgendwie noch beschäftigen und dann kamen die ersten Schulaufgaben und das war wahnsinnig viel. Die haben sich total vertan. Es war also viel zu viel von der Menge her in der ersten Woche und das war schon heftig. Und da dachte ich: Prost Mahlzeit, das werden ein paar feine Wochen und insofern war ich total froh drum. Also dass wir überhaupt als Hausgemeinschaft die Möglichkeit haben, das anders zu organisieren."
Wir haben zum einen den Hof, den wir nutzen können. Gerade bei dem schönen Wetter in den vergangenen Wochen war das ein großes Glück. Und wir haben eine Wohnung im Erdgeschoss als Veranstaltungsraum ausgebaut. Wir nutzen ihn für Feiern, Kino, Lesungen, es gibt eine Bar und eine Dartscheibe. Veranstaltungen gibt es aber gerade nicht. Dafür können wir ihn für das Homeschooling oder für eine Fitnessstunde nutzen. Wir Eltern teilen uns die Woche immer ein: eine Schicht vormittags, eine nachmittags. Auch Melinas Freund und meine Freundin helfen und übernehmen Schichten.
Für die Kinder gibt es dadurch einen klaren Tagesablauf. Leo gefällt es so: "Also ich finde es ganz gut, weil wir halt ein bisschen weniger Schule machen und ich halt sehr gut vorankomme auch."
Manuel: "Erkläre doch mal, wie das läuft." Leo: "Also wir gehen morgens um halb neun... Manuel: "Halb zehn." Leo: "Halb zehn gehen wir zu einem Erwachsenen, mit dem wir dann Schule machen. Meistens gehen wir in den Veranstaltungsraum. Und dann machen wir zwei Stunden Schule, also meistens nur eineinhalb." Manuel: "Nein, zweieinhalb eigentlich."
Leo: "Eigentlich zweieinhalb. Aber meistens machen wir zwei Stunden. Wenn wir halt keine Pause machen. Und danach gibt es Mittagessen fürs ganze Haus. Einer kocht dann. Dann ist Mittagspause und danach gibt es ein Angebot und das finde ich sehr gut und für mich kann es noch lange so bleiben. Für die Kinder, die allein sind, ist es halt blöd."
Tatsächlich geht es uns besser als wir es zu Anfang befürchtet haben. Durch diese Struktur haben wir Erwachsenen auch immer Zeit zum Arbeiten. Und wenn wir dann mit den Kindern etwas machen, kann man sich auch besser darauf einlassen. Für die Kinder ist das etwas Besonderes.
Melina meint: "Klar, wir haben ein geringeres Lernpensum, als sie es in der Schule haben, aber sie lernen andere Dinge. Und sie lernen sehr viele Dinge, die nicht rein kognitiv sind, also wir bauen mit denen, wir machen Sport mit denen, wir turnen, wir zeichnen, wir basteln, wir nähen, und so weiter. Je nachdem, wer da welche Stärken und welches Können und welche Interessen auch so mit reinbringt."
Die Kinder vermissen die Großeltern
Im Treppenhaus liegen immer noch getöpferte kleine Coronaviren aus der ersten Woche. Im Hof haben wir an der Wand Klettergriffe angebracht, die seit Jahren im Keller lagen, es wird viel Tischtennis gespielt. Uns allen ist bewusst, dass es uns damit wirklich gut geht. Leos bester Freund ist zum Beispiel allein, wenn seine Mutter arbeiten geht, sogar ganz allein. Trotzdem fehlen auch unseren Kindern die Freundinnen und Freunde.
Maya: "Das mag ich nicht so, weil alles, was ich meiner Freundin sagen will, muss ich halt mit der Post schicken und das gefällt mir halt nicht so, weil ich einfach nicht neben ihr stehen kann und ihr es persönlich sagen kann."
Und ganz besonders fehlen Maya und Leo die Großeltern. "Die wohnen ja noch in Deutschland und deswegen möchte ich gerne zu Oma und Opa."
"Das können wir nicht, weil, Oma und Opa sind beide über 70 und die sind stark gefährdet und deshalb können die auch nicht zu uns fahren und wir nicht zu ihnen. Weil, wenn einer von uns halt Corona hat, dann sterben sie vielleicht halt davon."
Dass wir Ostern nicht zu den Großeltern gefahren sind, das war für die Kinder ziemlich einschneidend. Das hat die Freude über die geschlossene Schule getrübt. Sie hoffen jetzt, dass wir uns im Sommer treffen können.
Kathrin:" Was baut ihr, ein Insektenhotel?" Fine: "Nein, einen Regenwurmkasten." Kathrin: "So was meine ich in der Art." Melina: "Ja, ein Insektenhotel." Kathrin: "Regenwurmhotel." Melina: "Genau."
Gerade ist wieder ein "Nachmittagsangebot". Die Kinder bauen einen Regenwurmkasten. Im Keller gab es noch ein Stück Plexiglas. Das haben sie in zwei Teile gesägt, mit ein paar Brettern bauen sie daraus den Kasten. Wenn er fertig ist, kann man durch das Glas die Regenwürmer beobachten, wie sie durch die Erde ziehen.
Leo: "Wir könnten daraus auch eigentlich ein Insektenhotel machen." Kathrin: "Die brauchen verschiedenes." Melina: "Und ich glaube, die mögen es auch nicht mit Glas. Weil, das ist ja viel zu hell." Leo: "Man kann doch Stroh und so rein machen. Halt so ganz viele verschiedene Sachen." Fine: "Aber bei einem Insektenhotel ist es ja auch offen vorne." Melina: "So dann würde ich vorschlagen, machen wir das schon mal fest, damit das nicht so verrutscht, wenn ihr die nächsten Löcher bohrt."
Homeoffice oder keine Arbeit
Während die Kinder vor- und nachmittags betreut sind, arbeiten wir. Soweit wir das können. Für die meisten hat sich mit dem Lockdown beruflich viel geändert. Max zum Beispiel zeichnet Comics. Zur Leipziger Buchmesse im März kam sein neues Buch raus. Die Buchmesse wurde aber abgesagt.
Max: "Das ist da zu dem Zeitpunkt erschienen und wäre jetzt im Laufe dieser Monate auf verschiedenen Messen vorgestellt worden und ich hätte Lesungen gemacht, ich hätte zwei Workshops gemacht und auch einen Vortrag und das ist alles weggefallen. Auf jeden Fall. Und die ganzen Honorare sind futsch. Und dann gibt es sowas wie das Literaturhaus Hamburg, hat sogar ein Ausgleichshonorar von 50 Prozent gegeben, was ziemlich generös war, aber sonst ist das weg. Und gerade diese Comic-Festivals, auf denen ich normalerweise meinen Stand habe und Bücher verkaufe, das wird ja dann nicht besser. Mit der Veröffentlichung ist ja der Nachteil, dass die Verkäufe am Anfang so hoch sind und dann flacht das so ab und bildet dann da so eine flache Linie."
Er hatte schon vor Corona einen Online-Shop, den pflegt er jetzt besser als vorher. Er verkauft dort auch mehr als zuvor. Ausgleichen kann er die Verluste aber nicht. Allerdings hatte er vor der Krise einen Preis gewonnen, einen Förderpreis, der ähnlich wie ein Stipendium funktioniert. Der sollte eigentlich erst später ausbezahlt werden und die Arbeit an einem neuen Buch unterstützen. Max konnte mit der Stiftung vereinbaren, dass die Ausschüttung vorgezogen wird. Davon kann er jetzt leben.
"Ich habe richtig, richtig Glück gehabt. Also ohne wäre es richtig hart. Ich dachte ja auch zuerst, Mist, bis zum Mai wird es finanziell richtig schwierig, also so im März dachte ich das. Aber dadurch, dass die relativ großzügig mit sich haben reden lassen, ja, ich habe richtig Schwein gehabt."
Kind und Homeoffice – das ist Stress
Für alle, die arbeiten ist es nicht einfacher geworden. Gerade weil die Kinder nicht mehr in der Schule oder bei der Tagesmutter sind. Max und Susi haben zusammen einen zweijährigen Sohn. Verena und Thomas, die ganz oben im Dach wohnen, haben eine zweijährige Tochter. Auch diese Eltern haben sich, nachdem die Kinder nicht mehr zur Tagesmutter dürfen, zusammengetan.
Ein Glücksfall für Susi, die an der Uni Leipzig arbeitet. "Mir erleichtert es sehr viel, auf der einen Seite natürlich die Kinderbetreuung, dass wir mit den Leuten aus dem Haus uns die Vormittage aufteilen und ich zum Beispiel vier Vormittage in der Woche so wirklich zweieinhalb Stunden Zeit zum Arbeiten habe, weil dann jemand anderes mit den Kindern im Wald ist."
Wenn ihr Sohn zu Hause ist, dann fällt es ihr extrem schwer zu arbeiten, auch wenn ihr Freund gerade auf den Kleinen aufpasst. "Ich muss eigentlich auch Homeoffice machen, oder sollte es, es wird empfohlen und die Uni, wo ich arbeite ist eigentlich zu und nur unter der Erlaubnis sozusagen der Vorgesetzten darf man ins Büro, das muss dann abgesprochen werden. Ich mache das jetzt heimlich. Und die Pförtner geben mir ja auch den Schlüssel. Das ist schon so halb ok. Aber weil ich eben zu Hause nicht arbeiten kann. Also gerade die ersten zwei, drei Wochen fand ich das extrem schwierig, weil gerade die Uni Leipzig den Semesterbeginn halt auch beim 6.4. belassen hat, während sämtliche andere Unis den auf den 20.4. verschoben haben. Das hätte mir auch mehr Zeit eingeräumt und dann hätte ich auch weniger Stress gehabt. Aber so mit Kind zu Hause..."
In kürzester Zeit musste sie ihre Lehrveranstaltungen auf Online-Formate umstellen. Und Lösungen für eine völlig neue Form der Seminare finden.
"Das war so, dass mich das auch erst mal so ein bisschen überfordert hat, weil ich auch gar nicht wusste, wie das jetzt gehen soll. Erstens. Und zweitens es ja auch immer hieß, am 4. Mai geht es dann los in der Präsenz. Und deshalb war auch die Idee, dass man das erst einmal so ein bisschen, so eine Überbrückungsvariante, so ein paar Texte und ein paar Fragen dazu hat man dann fertig gemacht. Das hat sich aber nicht gut angefühlt, weil es vielleicht nicht meine Vorstellung von guter Lehre ist, wo man auch eben viel in Interaktion steht. Genau. Und das war dann eben der wenigen Zeit geschuldet, dass man dann so pragmatische Lösungen gefunden hat. Und jetzt aber, wo klar ist, dass das bis zum Semesterende so geht, habe ich mich da eben wieder in mein Büro begeben und habe da mehr Zeit zum Vorbereiten oder weniger Ablenkung."
Fermentiertes Gemüse als Einnahmequelle
Und auch Nelly hat die Krise getroffen. Zusammen mit ihrem Freund kocht sie auf Festivals, Veranstaltungen, für Seminare. Nach dem Winter sollte es eigentlich wieder losgehen. Und sie waren gerade dabei, eine mobile Küche aufzubauen. Dann kam Corona. Wir sitzen wieder einmal beim Mittagessen. Heute ist schönes Wetter und wir sind im Hof. Wir essen, lachen, es wird über die Experimente der "Fermentiergruppe" geredet.
"Gestern im Keller habe ich etwas gesucht und war etwas irritiert..." "Über den Geruch?" "Muss man vielleicht auch im Voraus rumschreiben." "Ich habe mir ein kleines bisschen rausgemopst vom Kimchi. Der Knoblauch ist jetzt nicht mehr so dominant."
Alle Veranstaltungen, wo Nelly kochen wollte, sind abgesagt. Sie hat überhaupt keine Arbeit mehr. Jetzt experimentiert sie mit fermentierten Lebensmitteln, Kimchi beispielsweise. Vielleicht kann sie davon etwas in den Bioläden in der Gegend oder online verkaufen. Die Gläser lagern ein paar Wochen im Keller. Dabei entstehen Gase, die durch die nicht ganz fest verschlossenen Deckel entweichen.
Susi: "Echt. Ich habe das ehrlich gesagt nicht als etwas Organisches abgespeichert, ich habe eher an so ein abgefahrenes Putzmittel oder so gedacht." Nelly: "Nee, aber eigentlich bin ich mit einer kleinen Tupperdose in den Keller gegangen, habe ein bisschen reingemacht, habe den Deckel drauf gemacht." Verena: "Sogar mit Deckel!" Nelly: "Habe es zu Melina in die Küche, dann haben wir den Deckel aufgemacht und dann haben wir ihn schnell wieder zu gemacht."
Ob sich damit irgendwie Geld verdienen lässt, wissen wir nicht. Die beiden haben auch andere Gemüse fermentiert, die nicht so stinken wie das Kimchi. Rote Beete zum Beispiel und Blumenkohl. Wir freuen uns jedenfalls über die leckeren Experimente.
Hoffnung auf konstruktive Veränderung der Gesellschaft
Wie es genau weitergeht, auch das wissen wir alle nicht. Und das ist eigentlich mit das Schwierigste. Auch für Thomas, der mit Verena und ihrem Kind zusammen im Dachgeschoss wohnt.
"Ich finde es einerseits schön, dass die Menschen merken, wie sehr ihnen das fehlt, die anderen Menschen und dass vielleicht den Menschen das auch im Großhirn ankommt. Okay, der Mensch, meiner Meinung nach gehört das grundsätzlich zum Menschsein, dass man nicht ohne die anderen Menschen kann und vielleicht kommt das auch bei anderen an. Aber es ist tatsächlich hart."
Im Moment klart die Stimmung im Haus auf. Nach der ersten Panik muss etwas Neues kommen. Es war ein harter Einschnitt, daraus kann jetzt aber etwas Konstruktives entstehen.
"Ja, ich meine ein positiver Aspekt ist auf jeden Fall, dass in so einer vermeintlichen Alternativlosigkeit auf einmal ganz viele Alternativen möglich wurden", stellt Verena fest und: "Dass sehr viel mehr möglich ist an Veränderungen als immer gesagt wurde, hat diese Krisenzeit jetzt schon gezeigt. Dass wenn es notwendig ist und diese Notwendigkeit von vielen gesehen und geteilt wird, viel Veränderung gesellschaftlich angegangen werden kann."
Melina ist skeptisch: "Es ist ja gar nicht möglich, auf die Straße zu gehen. Aber ich glaube, diesen Druck braucht es schon. Ich glaube nicht, dass auch wenn jetzt auch einiges klar ist oder deutlicher geworden ist, wo Schwierigkeiten und Probleme liegen, so grundlegende, politische Maßnahmen getroffen werden, die Gesellschaft anders zu gestalten. Ich glaube, das funktioniert nicht ohne Druck der Bevölkerung."
Politische Plakate an der Hausfassade
Auch wir - wie viele andere in unserem Stadtteil in Leipzig - haben bei uns Plakate ans Haus gehängt, um auf Probleme hinzuweisen. Auf einem steht #keine weniger, auf dem anderen #leavenoonebehind. Das erste weist auf einen Femizid in Leipzig hin, eine Frau, die von ihrem Exfreund umgebracht wurde. Es soll aber auch allgemein auf sexualisierte Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen. Und das andere erinnert an die katastrophale Lage in den Flüchtlingslagern am Mittelmeer.
"Ich denke, das ist eher noch eine Bestärkung gegenseitig, aber bringen tut es dann aber doch herzlich wenig. Wir haben es trotzdem gemacht, ich finde es auch trotzdem sinnvoll. Als wir das da aufgehängt haben, ich stand dann zwischendurch auf der Straße und dann hat mich ein Nachbar angesprochen, was dieses 'Keine Weniger' zu bedeuten hat und dann kamen wir ins Gespräch und ich habe es ihm so ein wenig erklärt. Und als wir dieses "Leavenoonebehind" dann auch noch mit aufgehängt haben, hat eine andere Nachbarin ihr Fenster geöffnet und hat applaudiert und hat dann angefangen Musik zu machen für uns, während wir das aufgehängt haben. Letztendlich war das eine nette Situation. Ob das wirklich dann auch dazu führt, ein politisches Bewusstsein zu fördern, das ist eine ganz andere Frage, da braucht es mehr."
Wir freuen wir uns über die zurückkehrenden Freiheiten. Die Kinder dürfen wieder ohne uns das Haus verlassen und ein Eis essen gehen, es kommen langsam wieder Gäste zu uns, das gewohnte Leben kehrt zurück. Auch um uns herum, in unserem Stadtteil.
Thomas: "Ich bin jetzt gespannt, wie es nicht nur im Haus ist, sondern auch in der weiteren Gesellschaft. Ob das einfach dann zum Laissez-faire, also einfach alles fallen lässt, also die Hemmungen und wieder sich nackt in den Armen liegt, quasi und Orgien feiert. ich meine ich habe keine Ahnung von Virus, aber ich höre, das könnte auch wieder losgehen. Von dem her finde ich, irgendwie, man sollte schon noch ein bisschen vorsichtig sein."