Solidarprinzip

Her mit der Rente nach Kinderzahl!

Von Annette Rollmann |
Früher garantierte eine große Kinderzahl ein sorgloses Alter. Heute ist der Lebensabend auch ohne eigene Kinder gesichert. Während Familien mit Kindern nunmehr unter einem Armutsrisiko leben. Die Verhältnisse haben sich umgekehrt, bemängelt die Journalistin Annette Rollmann - und fordert einen "Kinderfaktor" bei der Rente.
Altersarmut ist schlimm – heute schon. Aber die von morgen wird weitaus schlimmer werden. Das Rentenniveau sinkt und zwar immer schneller. In Zukunft gehen immer mehr Menschen in den Ruhestand, die eine Erwerbsbiografie voller Lücken haben, denen zudem der Rückhalt einer großen und intakten Familie fehlt. Entsprechend gering fällt ihre Altersvorsorge aus. Nur die Lebenserwartung steigt.
Die wenig erfreuliche Prognose trifft besonders eine Gruppe hart: Frauen und Männer, die Kinder haben. Und das, obwohl sie und ihre Kinder die Sozialversicherungen in Schwung halten – nämlich auch für die, die keine Kinder haben. Immer weniger Einzahler müssen für immer mehr Anspruchsberechtigte aufkommen. Dem Sozialstaat geht der Nachwuchs aus.
Mehrfach haben schon Gerichte einfordert, den Nachteil auszugleichen, dass Familien mehr für die Gemeinschaft leisten, als sie von ihr zurückerhalten, dass Kinder, die üppigen Altersbezüge der Kinderlosen finanzieren, während die eigenen Eltern von ihrer Rente nicht leben können. Nur gelöst ist das Problem immer noch nicht.
Da ist es gesellschaftspolitisch schon fast widersinnig, was die große Koalition für Wohltaten verteilt: Dazu gehört die abschlagsfreie Rente mit 63, die die SPD für ihre Facharbeiter durchsetzen will, genauso wie die Mütterrente, die die CSU favorisiert. Zahlen muss das die junge Generation.
Man reibt sich die Augen: Vieles wurde unternommen, um die gesetzliche Rente in einer alternden Gesellschaft langfristig zu sichern. Mühselig wurde vom Sozialdemokraten und früheren Arbeitsminister Franz Müntefering 2006 die Rente mit 67 durchgesetzt. Gerade hat er sich noch einmal zu Wort gemeldet: die Pläne der Koalition hat er kurzerhand als Schwachpunkt bezeichnet. Man solle bitte noch mal nachdenken.
In der Tat. Ist plötzlich alles passé? Spielt der demografische Faktor keine Rolle mehr, als wäre das Problem gelöst, dass immer weniger Erwerbstätige die Rente von immer mehr Ruheständlern garantieren sollen? Mitnichten.
Solidarprinzip hat lange funktioniert
Wahr ist vielmehr, dass die schwarz-roten Groß-Koalitionäre Klientelpolitik betreiben. Sie denken zu allererst an ihre Wähler und Parteimitglieder, deren Durchschnittsalter um die 59 Jahre liegt.
Nun gab es stets Vorschläge, die Elternarbeit auch bei der Rente anzuerkennen oder Beitragszahler ohne Kinder stärker in die solidarische Pflicht zu nehmen, zuletzt beispielsweise in der Pflegeversicherung. Diesem Gedanken folgte jüngst auch Hans-Werner Sinn, der Chef des Ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts in München. Er will den gesetzlichen Rentenspruch nicht allein von der Höhe der Einzahlungen abhängig machen, sondern zusätzlich an der Anzahl der Kinder bemessen.
Die Idee des streitbaren Professors unterscheidet sich wohltuend vom Koalitionspapier. Denn die kinderlosen Erwerbstätigen, auch unter Selbstständigen und Beamten, würden für die Eltern künftiger Beitragszahler eine Zusatzrente aufbauen. Kinder groß zu ziehen, kommt nämlich der gesamten Gesellschaft zugute. Deshalb möge auch die gesamte Gesellschaft dafür zahlen.
Dieses Solidarprinzip hat lange funktioniert. Früher garantierte die große Kinderzahl ein sorgloses Alter. Heute ist der Lebensabend auch ohne eigene Kinder gesichert. Während Familien mit Kindern nunmehr unter einem Armutsrisiko leben. Die Verhältnisse haben sich mittlerweile umgekehrt – da muss sich die Solidarität ebenfalls umkehren!
Die Journalistin Annette Rollmann
Die Journalistin Annette Rollmann© privat
Annette Rollmann, Journalistin, wurde 1965 in Hamburg geboren. Sie war Redakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und Korrespondentin im Hauptstadtbüro des "Rheinischen Merkurs". Die Politologin lebt als freie Autorin in Berlin.