Auf Dürre folgt Hunger
Zum vierten Mal ist die Regenzeit in Somalia ausgeblieben, mit schweren Folgen: Die Tiere verenden und damit haben die Menschen am Horn von Afrika keine Lebensgrundlage mehr. Es sieht nicht danach aus, dass sich die Lage bald bessert.
Ein ausgedorrtes Stück Land außerhalb der Kleinstadt Dilla im Westen Somalilands: Dutzende von toten, zum Teil halb verwesten Ziegen liegen hier herum. Sie gehörten der 45-jährigen Sahra Hawadle Haji, die mit all ihrem Hab und Gut aus einem anderen Teil der unabhängigen Republik Somaliland hierher kam, auf der Suche nach Wasser.
"Ich kam vor fünf Monaten hierher, ich bin mit meiner Familie und meinen Tieren vor der Dürre in der östlichen Region geflohen. Ich hatte 500 Tiere, heute, wenn ich sie zähle, sind es gerade noch 30."
Sahra Hawadle Haji blickt mit ernstem Blick auf das, was ihr geblieben ist, ein paar Ziegen. Neben ihr, eines ihrer Kinder. Haji ist hochgewachsen. Sie wirkt ausgezehrt und müde.
"Nur Allah kann uns helfen. Ich kam hierher, weil ich nicht genug Wasser für meine Familie und Tiere finden konnte. Als ich kam, haben uns die Leute von Dilla willkommen geheißen. Sie haben das Wenige, was sie haben, mit uns geteilt, den Tieren Gras gegeben. Wenn es keinen Regen gibt, werde ich nicht zurück nach Burroe gehen, was soll ich da?"
Kein Ende der Dürre
Somaliland liegt am Horn von Afrika. 1991 erklärte sich die einstige britische Kolonie für unabhängig von Somalia und rief die Republik Somaliland aus. Bis heute hat niemand den Kleinstaat anerkannt, obwohl über die Jahre ein friedliches und demokratisches System eingeführt wurde. Noch immer sind die drei Millionen Bürger abhängig von Geldern aus dem Ausland. Das zeigt sich auch jetzt in der Krise. Bereits zum vierten Mal bleibt die Regenzeit aus. Ernten fallen weg. Tiere verenden. Hilfe ist nötig; darauf machen Hilfsorganisationen wie CARE schon lange aufmerksam, sagt ihr Landesdirektor für Somalia und Somaliland, Raheel Chaudhary.
"Als sich im letzten Jahr das ganze Ausmaß von El Niño am Horn von Afrika, Ostafrika bis hinunter nach Maputo abzeichnete, hat CARE Somalia seine Programme auf diese Situation ausgerichtet. Im September/Oktober 2016 war uns klar, dass die dritte Regenzeit in Folge ausbleiben würde. Für viele von uns ist eine Dürre etwas ganz Normales in Somalia, aber im Januar dieses Jahres wurde ganz deutlich, welche Auswirkung diese drei fehlenden Regenzeiten haben, als jeder zweite Somali eine Hungerkrise erlebte und Unterstützung brauchte."
Hargeisa – die Hauptstadt von Somaliland. Der Umweltwissenschaftler Ahmed Ibrahim Awale ist Professor an der "University of Hargeisa” – eigentlich beschäftigt er sich mit der Flora und Fauna. Eigentlich.
"Es ist eine sehr ernste Situation, das Problem ist zu groß, aber zumindest hilft man sich auf der lokalen Ebene. Jeder hier hat einen ländlichen Hintergrund und jeder hier hilft deshalb Menschen auf dem Land. Auch die Unternehmen und die Diaspora haben Millionen von Dollar gespendet. Das muss so weitergehen. Die Regierung muss das in den Vordergrund der Krise rücken. Denn die Krise ist für Somaliland alleine zu groß. Die Vorhersagen sind, dass der Regen auf alle Fälle 30 Prozent unter normal liegen wird. Und das schon jetzt, Anfang April, wo es bislang nur sehr, sehr vereinzelt geregnet hat. Wenn sich das fortsetzt, werden manche Familien 90 Prozent ihres Viehs verlieren. Menschen werden sterben, an manchen Orten ist es bereits so weit."
Jahrzehntelange Ausbeutung der Natur
Professor Awale sitzt in seinem kargen Büro auf dem Unigelände in Hargeisa. Ein Plakat an der Wand zeigt Dutzende von Eidechsen, die es in Somaliland gibt oder geben sollte. Niemand weiß genau, wie die Dürre den Tieren und Pflanzen in der Wildnis bislang zugesetzt hat. Über die Ursachen spekuliert der Wissenschaftler:
"Es ist eine Kombination aus zwei Dingen: Der allgemeine Klimawandel und die vom Menschen betriebene Umweltzerstörung hier. Das Land wurde über die letzten Jahrzehnte total ausgebeutet. Da ist Entwaldung, Übergrasung, falsche Landnutzung und da ist auch die Umweltzerstörung in Folge von kriegerischen Konflikten. Außerdem erlebt das Horn von Afrika einen Klimawandel, der sich seit Jahrtausenden abzeichnet. Das sehen Sie in den Höhlen von Laas Geel, einer der Touristenattraktionen, sehr alt, sehr historisch, dort gibt es neolithische Höhlenmalereien. Sie sehen dort Reben und Vieh ohne einen Höcker. Diese Art von Vieh lebt eigentlich in einem schwülen und üppigen Klima. Und das war hier wohl so vor 5000 bis 6000 Jahren."
Auf Dürre folgt Hunger
Jetzt herrscht am Golf von Aden Trockenheit. Die Folgen spüren vor allem die Schwächeren – also Ältere und Kinder. Ihnen hilft Dr. Shukri Ahmed. Sie ist die medizinische Leiterin im italienischen Krankenhaus in Hargeisa, dem einzigen Kinderkrankenhaus in Somaliland. Ein Neubau in bunten Farben gehalten, finanziert mit Spenden aus Italien.
"Aufgrund der Dürre gibt es viele Fälle von Unterernährung, Kinder werden auch mit Dehydrierung eingeliefert. Die Unterernährung hat in den letzten sechs, sieben Monaten zugenommen. Jeden Tag sehen wir etwa drei bis fünf Patienten mit Unterernährung. Wegen der Dürre. Und dann gibt es die Folgen des Wassermangels: Die Hygiene wird schlechter, dazu ein totes Tier und schon breiten sich Krankheiten aus. Man kann keiner Mutter vorwerfen, unhygienisch zu sein, wenn ihr das Wasser fehlt. Wir behandeln das Kind, bis es sich stabilisiert hat. Danach gehen sie wieder nach Hause."
Ortswechsel – ein paar Hundert Kilometer weiter östlich liegt Garowe - die Hauptstadt von Puntland, dem nordöstlichen Teil Somalias. Hier ist die Dürre am schlimmsten. Der Blick aus dem Flugzeug zeigt nur verbrannte braune Erde, die an eine karge Mondlandschaft erinnert. Ausgetrocknete Flussbetten, kein Wald, nur vereinzelt abgelegene Ansiedlungen im Nichts. Raheel Chaudhary von der Hilfsorganisation CARE berichtet von seinen Eindrücken.
"Ich war vor zwei Tagen in Bosaso, einer Küstenstadt Puntlands. Dort habe ich den medizinischen Leiter der nördlichen Region getroffen. Seit Jahren arbeitet der schon im dortigen Krankenhaus. Und als ich ihn gefragt habe, ob es so schlimm sei, wie die Dürre 2011, meinte er: Nein, nein, nein. Das hier ist viel, viel komplizierter als 2011. Damals war die Hungerkatastrophe nur in einigen Regionen, aber diesmal ist sie überall. Für mich heißt das, auch wenn wir uns in die richtige Richtung bewegen, die Aufgabe ist zu groß, denn die Mittel und die Zeit, die uns zur Verfügung stehen, sind beschränkt. Wenn wir nicht schnell die Mittel der internationalen Gemeinschaft bekommen, ist die Krise nicht mehr aufzuhalten."
Familien im Elend
Etwa zwei Autostunden nordöstlich von Garowe liegt Dangorayo, eine Kleinstadt an der einzigen Landstraße Richtung Norden. Hunderte von toten Tieren liegen links und rechts des Weges bis der Jeep im Dorf Uskure anhält. Hier haben sich 200 nomadische Familien niedergelassen, die ihr ganzes Vieh verloren haben. Nun leben sie in Hütten aus Ästen, Planen und Decken. Ohne Strom und fließend Wasser. Der Vorsitzende der Dorfgemeinschaft - Abdi Hassi – berichtet, warum sie hier in das abgelegene Dorf gekommen sind.
"Die Leute sind hier, um Unterstützung zu finden. Ganz praktisch: Sie nehmen, was sie bekommen können. Aber vor allem wollen sie ihre Lebensumstände zeigen. Dass sie als Nomaden nichts mehr haben. Kein Vieh. Ihre Not ist groß – bei uns im Dorf aber auch. Nur einmal im Monat kommen Hilfsorganisationen. Sie bringen einen Scheck oder eine andere Hilfe. Auch die Tanklaster mit Wasser kommen nur einmal im Monat, aber die Speicherung des Wassers ist ein Problem. Ich sehe keine Hoffnung, es sei denn, es beginnt zu regnen."
Medina Ahmed sitzt in ihrer Hütte und flechtet einen Korb. Neben ihr stehen vier Kinder und schauen interessiert auf den weißen Besucher mit dem Mikrofon in der Hand. Medina Ahmed schildert, dass es nicht genug zum Essen gibt. Man teile all das, was man hat mit den Nachbarn, aber es reiche hinten und vorne nicht. Der Regen müsse kommen, sagt sie.
Die Menschen hier in diesem abgelegenen Dorf machen die ganze Problematik der Krise offensichtlich. Ein Großteil der somalischen Bevölkerung lebt als Nomaden. Normalerweise ziehen sie mit ihren Tieren umher, von Weideland zu Weideland. Doch nun sitzen sie fest, irgendwo im Nirgendwo, darauf angewiesen, Hilfe von außen zu erhalten.
Die Situation ist ähnlich im Dorf Timcaro, unweit der Stadt Qardho in Puntland.
"Wir wissen nicht, wohin wir sollen. Wir haben keine andere Wahl. Wir haben fast all unsere Tiere verloren. Wenn der Regen kommt, dann wird alles besser. Dann hoffen wir, dass wir neues Vieh bekommen, damit wir wieder leben können."
Aufbaumittel für Kinder
Abdi Hassan ist der Dorfälteste. Auch hier stehen Dutzende von nomadischen Unterkünften. Das Bild ähnelt sich überall in Puntland und Somaliland. Die Nomaden sind gestrandet, der Großteil ihrer Tiere verendet.
Um die Kinder hier in Timcaro und anderen umliegenden Gemeinden kümmert sich Maryan Mahamed Nuur. Sie ist Krankenschwester und arbeitet für eine lokale Nichtregierungsorganisation. Regelmäßig werden die Kinder gewogen und gemessen und mit dem Aufbaumittel "Plumpy-Nut” versorgt.
"Die Situation ist sehr kritisch. Die Menschen haben nichts. Die nächste Stadt ist weit weg. Hier gibt es keine Versorgung, kein Bus. 300 Kinder betreuen wir insgesamt – allein hier im Dorf 30. Es gibt Krankheiten und jedes Kind ist unterernährt. Einige haben Durchfall, einige Fieber, einige Masern, einige Infektionen. Und das alles in unterschiedlichen Graden."
Timcaro liegt im Bezirk von Qardho, einer Stadt, die bislang 420.000 Einwohner hatte. Doch die Bevölkerung ist mittlerweile auf mehr als das Doppelte angestiegen. Die Menschen suchen hier nach Wasser und Nahrung. Qardho allein kann die Not nicht bewältigen, ist auf die Unterstützung der Regierung und vor allem von internationalen Hilfsorganisationen angewiesen. Abdi Said Osman ist der Bürgermeister von Qardho:
"Ich will dir eine Nachricht mitgeben, so eine Dürre haben wir noch nie gesehen. Diese Dürre ist etwas ganz Neues für uns. Sie hat tausende Familien getroffen. Sie haben ihr Vieh verloren, sind in ganz Puntland verstreut und das ohne Hilfe. Hoffnung haben wir nicht mehr. Hoffnung ist nur noch der Regen, aber wir wissen, dass er ausbleiben wird. Und wenn der Regen nicht kommt, werden die Menschen sterben. Es gibt schon Krankheiten, Durchfall vom verunreinigten Wasser. Selbst die noch lebenden Tiere sind davon erkrankt. Die Lage verschlimmert sich noch in den kommenden Monaten."
Keine Hoffnung ohne Regen
Diese Voraussage des Bürgermeisters von Qardho bestätigt Ahmed Abdullahi Abdirahman. Er ist der Direktor der staatlichen Behörde für das Katastrophen-Management in Puntland mit Sitz in Garowe.
"Das hier ist das Schlimmste. Wir haben eine Studie erstellt und dafür die Alten mit ihrem Wissen über Klima und Wetter befragt. Sie sagten uns, dass diese Dürre die schlimmste in 50 Jahren ist. Seit 1964 hat es so etwas nicht mehr gegeben, denn es gibt kein Weideland mehr für das Vieh. Die, die es sich leisten können, kaufen Mais für ihre Tiere, für ihre Kamele. Das kriegt man hier noch um Garowe herum. Aber damit ging auch der Preis für Mais nach oben. Arme Leute, die bislang von Mais lebten, die sich Reis und Spaghetti nicht leisten konnten, sind nun auch davon betroffen, da der Mais für das Vieh aufgekauft wird."
Die Katastrophen-Spirale dreht sich so immer weiter. Dazu trägt auch bei, dass Somalia und die anderen von der Dürre betroffenen Länder wie Nigeria, Südsudan, Jemen, Äthiopien, Dschibuti und Kenia wenig internationale Aufmerksamkeit erhalten. Es gibt andere Krisenherde im Nahen Osten. Und der größte Spender der Welt – die USA – wollen unter dem Präsidenten Trump die Gelder für Entwicklungshilfe und die Vereinten Nationen um mehr als 30 Prozent kürzen. Eine fatale Entscheidung für die Menschen am Horn von Afrika, ist sich der somalische Krisenmanager Ahmed Abdullahi Abdirahman bewusst.
"Ich bin davon nicht überrascht, denn die internationale Gemeinschaft hat Somalia seit 25 Jahren unterstützt. Es gibt da eine Spendenmüdigkeit. Es gibt zahlreiche Probleme und Notlagen in der Welt, wie Syrien, der Irak und vielleicht erhalten die mehr Aufmerksamkeit, das zumindest denke ich mir. Aber, das, was wir hier erleben, hat es bislang noch nie im ganzen Land gegeben. Die internationalen Organisationen und die Regierung versuchen ihr Bestes, aber es scheint wie der berühmte Tropfen Wasser im Ozean zu sein, man kann ihn nicht ausmachen."