Aufschwung in Somaliland

Wo Geld die Demokratie gefährdet

22:51 Minuten
Große Kräne überragen die gestapelten blauen Container auf einem Schiff. Unten rechts kommt ein LKW angefahren.
Der ausgebaute Hafen von Berbera ist der Stolz Somalilands. Mehr als 440 Millionen US-Dollar investierte das Emirat Dubai für die Modernisierung. © Deutschlandradio / Florian Guckelsberger
Von Florian Guckelsberger · 06.12.2022
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Seit 1991 sieht sich Somaliland als unabhängiger Staat am Horn von Afrika. Neben Demokratie und Sicherheit überzeugt die USA die strategisch wichtige Lage für eine künftige Militärbasis. Auch Dubai investiert kräftig, doch das Geld bringt Probleme.
Im Hafen von Berbera verlädt ein 50 Meter hoher Schwerlastkran im Minutentakt Container. In wenigen Stunden wird die AS Alva beladen sein und den einzigen Hafen Somalilands Richtung Indien verlassen. Bis vor Kurzem war der Hafen des international nicht anerkannten de facto Staats für solche Schiffe zu klein. Schichtleiter Mohamed Atteye zeigt auf ein Schiff, auf dessen Deck mehrere Kräne sind:
"Damit mussten wir bislang arbeiten. Es ist enorm aufwendig, auf diese Weise Container zu bewegen. Es kostet nicht nur Zeit, sondern ist auch gefährlich. Es gab Knochenbrüche und sogar Todesfälle. Mit dem neuen Kran müssen Menschen die Container nicht mehr anfassen.“
Neben ihm steht der stellvertretende Hafenmeister Mohamad Abdulla, auch er schwärmt:

Alles hat sich verändert. Die Ausrüstung, die Kräne, all das hat uns vorher gefehlt. Sie sehen es doch selbst. Alles ist modernisiert. Ein Schiff mit 700 bis 1000 Containern können wir jetzt in zehn, vielleicht zwölf Stunden entladen. Wenn es am Morgen einläuft, kann es manchmal am Abend schon wieder abfahren.

Mohamad Abdulla

Hinter der Entwicklung am Hafen von Berbera steht DP World. Das Unternehmen aus dem Emirat Dubai hat das Hafenbecken vertieft, den Kai verlängert und modernste Kräne installiert. 442 Millionen US-Dollar investiert das Unternehmen – mehr als der Staatshaushalt Somalilands.
Von Berbera sollen Waren per Lastwagen die 117 Millionen Menschen in Äthiopien beliefern – denn das Nachbarland hat selbst keinen Zugang zum Meer. Und so hoffen die Menschen in einer der ärmsten Regionen der Welt auf ein Wirtschaftswunder.

Somaliland als Ausnahme am Horn von Afrika

In der Altstadt Berberas ist die Betriebsamkeit des neuen Hafens weit weg. Die Straßen sind Sandpisten, die Häuser aus der britischen Kolonialzeit zumeist verfallen. In den Cafés hocken junge Menschen, unterhalten sich bei süßem Tee. Arbeit haben nicht viele, Vergnügungen sind selten. Es ist ein ruhiges Leben.
Eine Ruhe, nach der sich viele Menschen in den Nachbarländern sehnen. Das Horn von Afrika ist von Konflikten geprägt. Krieg in Jemen, Bürgerkrieg in Äthiopien, Staatszerfall in Somalia. Im Kontrast zu seinen Nachbarn scheint die kleine Republik Somaliland mit seinen rund 4,5 Millionen Einwohnern ein seltener Glücksfall.
Wahlen, friedliche Machtwechsel und ein Leben ohne Angst vor Krieg und Terrorismus: Somaliland ist in den letzten 30 Jahren gelungen, woran angrenzende Länder immer wieder gescheitert sind. 1991 erklärt Somaliland seine Unabhängigkeit von Somalia – wenige Monate nach dem Sturz des verhassten Diktators Siad Barre. Hunderttausende waren in dem vorangegangenen Bürgerkrieg gestorben oder mussten fliehen.

Ex-Außenministerin ist stolz auf Sicherheit

Konflikte, die bereits kurz nach der Kolonialzeit entstanden, erinnert sich eine Zeitzeugin:
„Die Vereinigung von 1960 zwischen dem ehemaligen Britisch-Somalia und Italienisch-Somalia geschah in guter Absicht. Aber es hat niemals funktioniert. Und als es schiefging, nutzte der mächtigere der beiden Partner alle Mittel – militärisch, wirtschaftlich, politisch – den anderen zu vernichten.“
Edna Adan sitzt in einer Bibliothek vor Bücherwänden in der Hauptstadt Hargeisa. Sie trägt ein leuchtend blaues Gewand.
Edna Adan war Somalilands erste weibliche Außenministerin: "Niemand muss Angst haben, entführt, ermordet oder in die Luft gesprengt zu werden. Das ist das Somaliland, auf das wir stolz sind."© Deutschlandradio / Florian Guckelsberger
Edna Adan sitzt in einer Bibliothek in der Hauptstadt Hargeisa. Die befindet sich in einem Krankenhaus, was nach ihr benannt ist. Die 85-Jährige war Hebamme, Krankenschwester, Aktivistin und Politikerin. Von 2003 bis 2006 hat sie Somaliland als erste weibliche Außenministerin vertreten.
„Somaliland hat viele Opfer gebracht. Es ist wie heute in der Ukraine, wir haben gekämpft, um unser Land zu verteidigen. Wir haben dieses Land aufgebaut mit den Mitteln, die wir haben. Und heute, 30 Jahre später, gibt es Frieden und Sicherheit. Niemand muss Angst haben, entführt, ermordet oder in die Luft gesprengt zu werden. Das ist das Somaliland, auf das wir stolz sind.“
Der Ausbau im Hafen von Berbera ist für Edna Adan die direkte Folge großer Opfer und kluger Politik, die Somaliland heute zu einem der sichersten Länder in der Region machen.
„Investitionen aus den Emiraten oder Großbritannien sind die Bestätigung unseres Erfolgs. Ich hoffe, andere Länder werden von ihnen lernen und auch in Häfen oder andere Projekte in Somaliland investieren. Das war unser Lackmustest.“

Risse in der jungen Demokratie

Doch die Erzählung von der zwar jungen, aber eben gefestigten Demokratie bekommt Risse. Die für den 13. November angesetzten Präsidentschaftswahlen ließ Amtsinhaber Präsident Muse Bihi Abdi verschieben, vorerst um zwei Jahre.
Die Opposition hält den Präsidenten nun für unrechtmäßig im Amt. Bislang sind alle Vermittlungsversuche gescheitert. Mittlerweile ist selbst unklar, welche Parteien bei der Wahl überhaupt antreten dürften.
Hassan Suudi forscht am Institut for Strategic Insights and Research, einem Thinktank in Somalilands Hauptstadt Hargeisa und ist besorgt:

Wir erleben Dinge, die wir seit 1988 und dem Kollaps Somalias nicht mehr gesehen haben. Etwa einen im geheimen agierenden Sicherheitsdienst, der im Auftrag des Präsidentenbüros Kritiker ruhigstellt. Ich glaube, diese Entwicklung hat auf die eine oder andere Weise auch mit den Investitionen in Somaliland zu tun.

Hassan Suudi

Der Analyst fragt sich, was die turbulenten Ereignisse allein in diesem Jahr für Somalilands Demokratie bedeuten.
Im Mai wurden zehn Journalisten vorübergehend festgenommen und ein TV-Sender von Sicherheitskräften gestürmt. Im Juli entzog die Regierung der britischen BBC die Arbeitslizenz. Bei Protesten im August gegen die drohende Wahlverschiebung erschossen Polizisten mindestens fünf Menschen, Hunderte wurden in dem Getümmel verletzt. Die Beamten sprechen von Notwehr, sie seien aus der Menge heraus angegriffen worden.
„Die Investitionen aus dem Ausland und der jetzige politische Stillstand hängen zusammen. Früher waren die Ressourcen im Land sehr begrenzt, der Haushalt betrug weniger als 200 Millionen US-Dollar. Politische Akteure hatten weniger Gründe, sich an die Macht zu klammern. Jetzt geht es auf einmal um viel Geld. Etwa beim Hafenausbau in Berbera oder den potenziellen Einnahmen, sollten die Amerikaner wirklich eine Militärbasis im Land bauen. Auf einmal geht es um viel, alle konkurrieren miteinander.“

US-Militärbasis als Grund für Wahlverschiebung?

Es ist eine These, die in Hargeisa dieser Tage oft zu hören ist: Will der Präsident unbedingt so lange im Amt bleiben, bis eine Einigung mit den USA über eine Militärbasis getroffen ist und viel Geld fließt?
Klar ist: Die geografische Lage von Somaliland und seinen Nachbarn an einer für den Welthandel zentralen Meerenge ist für Großmächte interessant.
China und die USA betreiben jeweils Militärbasen im benachbarten Dschibouti und konkurrieren um die Gunst der dortigen Regierung. Sollten die USA den Kürzeren ziehen, wäre Somaliland eine reizvolle Alternative.
Kritiker befürchten nun, dass die Verträge in diesem Fall ähnlich intransparent verhandelt werden, wie es aus ihrer Sicht bereits beim Hafendeal der Fall war. So auch Suudis Kollege Mohamed Abdirahman.
„Wir haben viele Fragen. Wie werden die Einnahmen aus dem Hafengeschäft im neuen Haushalt der Regierung berücksichtigt? Wo ist der Vertrag? Diese Fragen sind unbeantwortet. Als die Abgeordneten die Unterlagen sehen wollten, wurde ihnen nur eine Zusammenfassung gezeigt, über die sie dann abstimmen mussten.“

Schäden durch Korruption und Klimakrise

Intransparenz begünstigt Korruption. Je mehr Geld auf dem Spiel steht, desto größer die Versuchung, in die eigene Taschen zu wirtschaften. Der Schaden für die Gesellschaft ist enorm. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um das Vertrauen in den demokratischen Prozess. Und im Fall von Somaliland hat der lähmende Showdown zwischen Regierung und Opposition noch ganz andere Folgen, so Abdirahman:
„Selbst der Finanzminister musste eingestehen, dass der politische Stillstand das Land viel Geld kostet. Gleichzeitig erleben wir so harsches Wetter wie noch nie. Früher gab es Dürren alle zehn Jahre, dann alle fünf Jahre und jetzt bleibt es jedes zweite Jahr trocken. Vieh findet keine Nahrung mehr, Menschen sind unterernährt und wir sind gelähmt und können uns nicht auf das Problem konzentrieren.“

Durch Dürren sterben Schafe, Ziegen, Kühe

Der weiße Geländewagen schwimmt mehr durch den Sand, als dass die Reifen echten Halt finden. Geschickt umkurvt der Fahrer vereinzelte Akazien, immer wieder auch Termitenhügel, manche von ihnen höher als das Auto.
Im Herzen Somalilands liegt Burao, nach Hargeisa die zweitgrößte Stadt. Um die Stadt erstreckt sich Halbwüste.
Abdirashid Yasin hock auf der Erde und blickt zu den grasenden Kamelen: „Vor der Dürre hatten wir viele Tiere, jetzt sind fast alle tot. Es gibt einen großen Unterschied zu früher. Ich habe fast 500 Tiere verloren, Schafe und Ziegen. Jahr für Jahr sind sie gestorben und mit jedem Jahr wird es schwieriger für uns.“
Der 25-jährige Abdirashid Yasin trägt helles Hemd und helle Hose. Neben ihm stehen abgemagerte Kühe. Der Boden ist trocken, vereinzelt gibt es grüne Büsche.
Viehalter Abdirashid Yasin hat durch die Dürren in den vergangenen Jahren viele Tiere verloren. Aber er will nicht in die Stadt.© Deutschlandradio / Florian Guckelsberger
Die neben ihm grasenden Kamele gehören nicht dem 25-Jährigen, sondern einer anderen Familie. Ihm sind nur zehn Schafe und zehn Kühe geblieben. Zu viel, um zu sterben. Zu wenig, um Hoffnung zu haben.
„Ich will nicht in die Stadt gehen, sondern bei den Tieren bleiben, die mir geblieben sind. Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. In zehn Jahren leben hier weder Tiere noch Menschen, wenn es weitergeht wie bisher.“
Fünf Regenzeiten fehlen den Menschen und ihren Tieren. Auch die grasenden Kamele wirken mager. Wie die meisten Menschen auf dem Land lebt auch Abdirashid Yasin von seiner Herde, ihrer Milch und ihrem Fleisch, dem Tierhandel. Was also für Optionen bleiben Hirten wie ihm?

Ich werde gemeinsam mit meinen Tieren sterben. Wenn sie sterben, werde auch ich sterben. Wie es meinen Kindern ergehen wird, weiß ich nicht. Gott wird sie füttern, so wie er sich um alle Menschen sorgt.

Abdirashid Yasin

Armut und das Ende einer semi-nomadischen Lebensweise, die diesen Teil der Welt lange geprägt hat – ein Schicksal, dass Hunderttausenden in Somaliland droht. Und ein besonders ungerechtes. Nur vier Prozent der weltweiten Emissionen werden auf dem afrikanischen Kontinent verursacht. Die Folgen der Erderwärmung hingegen lastet überproportional stark auf den Schultern von Hirten wie Abdirashid Yasin.

Junger Rückkehrer mit Träumen

Unterwegs mit Guuled Ahmad auf dem Highway 1. Das Autoradio ist voll aufgedreht. Die Straße – eine der wenigen durchgehend asphaltierten im Land – führt vom Hafen in Berbera nach Hargeisa. Von dort geht es weiter bis zur Grenze nach Äthiopien.
Ahmad steuert den Wagen durch die Hauptstadt zu seiner Firma. In Somaliland geboren, in Deutschland aufgewaschen, in Großbritannien studiert: Der Unternehmer hat sich erst spät für ein neues Leben in der Heimat seiner Eltern entschieden. Einer der vielen Rückkehrer.
„Als ich hergekommen bin, vor fünf Jahren, da war ich noch Europäer. Ich habe das Heimatland verlassen, da war ich vier Jahre alt. Ich konnte keine Somalisch und musste alles noch mal lernen – und natürlich auch einen Job finden.“

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Auf dem Hof von Guuleds Büro stehen mehrere Autos, er lebt vom Importgeschäft. Doch sein Traum, sagt er, ist etwas anderes: Prosopis. Ein Baum, der nach Somaliland eingeschleppt wurde und heute in fast allen Teilen des Landes verbreitet ist. Sein Holz ist zu hart für Handsägen, seine Wurzeln so tief, dass er in trockenen Gegenden wertvolles Grundwasser verbraucht. Was die einen für eine ökologische Katastrophe halten, ist für Guuled ein potenziell lukratives Geschäft.
„Unser größtes Problem ist, wir haben kein Tierfutter, das hier erzeugt wird. Alles Tierfutter kommt aus Äthiopien. Und wir haben jetzt eine lokale Produktion aufgebaut. Denn aus dieser invasiven Pflanze kann man gutes Tierfutter machen.“

Aus dem Prosoposis-Baum: Tierfutter und Holzkohle

Tierfutter aus Prosopis-Samen, geeignet für Kamele und Ziegen. Eine lokale Lösung für ein lokales Problem. Denn ausbleibender Regen und zunehmende Dürren lassen die wertvollen Tiere der Hirten schon heute zehntausendfach verenden. Aus dem Holz der Pflanze produziert Guuled noch Kohle für Restaurants und die vielen Familien, die nicht ans Stromnetz angeschlossen sind.
Während Guuled von seinen Plänen erzählt, scheppern hinter ihm die großen Lkw den Highway 1 hinab. Ladung für Ladung versorgen sie Äthiopien mit Waren aus Berbera. Was hält der junge Unternehmer von dem Investment in den Hafen?
„Dieses Geld wurde doch längst aus dem Land gebracht. In Dubai hat sich die alte Regierung schicke Villen gekauft mit ihrem Anteil. Das ist pure Korruption. Die Investition hat DP World doch jetzt schon durch den Betrieb eingespielt. Wir Somaliländer sind faul, wir hätten das selber bauen können. Doch jeder sucht nur das schnelle Geld, den dicken Wagen und will wie ein König leben. Und die Frauen und Kinder, die bleiben durstig.“
Guuled lacht und süßt seine bitteren Worte mit Humor. Auch er erwartet eine Lieferung am Hafen. Ein neuer Dichtring aus China soll ankommen. Der Unternehmer benötigt das Ersatzteil, um den Prosopis-Ofen zu befeuern. Guuled muss Kohle machen.

Die Recherche des Autoren wurde im Rahmen einer Reise des gemeinnützigen Vereins „journalists.network“ realisiert.

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