Sommer 1989 - Moscow Music Peace Festival

Das russische Woodstock

09:05 Minuten
Die Band "Scorpions" aus Hannover ist auf diesem Schwarzweiß-Foto während ihres Auftritts im Moskauer Luschniki-Stadion zu sehen.
Die "Scorpions" bei ihrem Auftritt im Luschniki Stadion in Moskau 1989. © picture alliance / epa
Olga Hochweis im Gespräch mit Carsten Beyer · 12.08.2019
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Im Sommer 1989 wurde in Moskau ein Festival gefeiert, das niemand für möglich gehalten hatte: Der Klassenfeind rockte im Gorki-Park, Ozzy Osbourne, Bon Jovi und die Scorpions traten vor 260.000 Zuschauern auf. Die Hoffnung auf Aufbruch lag in der Luft.
Carsten Beyer: Allerorten wird in diesen Tagen an ein großes Jubiläum erinnert: 50 Jahre Woodstock – am Donnerstag ist der Stichtag. Jetzt aber der Blick auf ein sehr viel weniger bekanntes Kapitel der Musikgeschichte, das fast auf den Tag genau 20 Jahre nach Woodstock stattfand, am 12. Und 13. August 1989 in Moskau, mit 260.000 Besuchern und rund einer Milliarde Menschen an den Bildschirmen. MTV verkaufte das Event in 53 Länder. Es gilt bis heute als das russische Woodstock. Wie kam es zu diesem Konzert, Olga Hochweis?
Olga Hochweis: Es war Perestroika-Zeit, es wurden Dinge möglich, die vorher undenkbar waren. Im Vordergrund stand zunächst die Idee eines Benefiz-Konzerts und auch noch Reste dieser Hippie-Idee von "Love, Peace and Understanding". Der offizielle Name lautete: Moscow Music Peace Festival – ein US-Amerikaner und ein Russe, beide Musikmanager, stellten das Festival zusammen auf die Beine, tonnenweise wurde Equipment und sogar Essen angekarrt.
Man habe sich vorbereitet wie für ein Konzert auf dem Mond, hieß es von amerikanischer Seite. Das Ganze bezahlt hat eine Stiftung, die damit offiziell ein Zeichen gegen Drogenkonsum setzen wollte. "Making The Difference" hieß die. Das Gerücht war, dass sich der US-amerikanische Manager, Doc McGhee mit diesem Event von seiner eigenen Drogenkriminalität reinwaschen wollte, doch die Bands, die dann kamen, waren dafür auch nicht unbedingt die besten Botschafter.
Beyer: Wer war in diesen beiden Tagen alles dabei?
Hochweis: Das war damals die Top-Liste der Metal- und Hard Rock-Szene, die teilweise eben von diesem Doc McGhee gemanagt wurde, also Motley Crue, Bon Jovi, Ozzy Ozbourne, aber auch die Scorpions - und heute weniger bekannte Bands wie Skid Row oder die russische Band Gorky Park.

Das allererste Mega-Musik-Event Russlands

Beyer: Die geplante Anti-Drogen-Message rückte damit vermutlich in den Hintergrund? Was aber war die Botschaft, oder was machte das Besondere aus an diesem Ereignis, jenseits der schieren Zahlen?
Hochweis: Es war wirklich das allererste Mega-Musik-Event in der Geschichte Russlands, bei dem der Klassenfeind in so illustrer und großer Runde vertreten war. Das erste Mal auch, dass in diesem größten Stadion des Landes, dem Luzhniki, das damals ja noch Leninstadion hieß, überhaupt was anderes als Musik stattfinden konnte. Neun Jahre erst lag der Olympia-Boykott zurück. Und nun wurde über zwei Tage zusammen gefeiert. Das frappiert die Leute bis heute, wie sehr das Konzert Ausdruck wurde für eine neue Freiheit, für eine neue Atmosphäre.
Das zeigt sehr schön ein Film, anderthalb Stunden lang, der zum 30-jährigen Jubiläum des Konzerts erschienen ist. Den hat der russische Blogger und Journalist, Jurij Dud, gedreht. Der Film ist über vier Millionen Mal im Netz geklickt worden. Und darin sagt der russische Musikjournalist Boris Barabanov Folgendes:

Was mich so verblüfft hat, war nicht nur, dass damals all diese Gruppen aufgetreten sind - danach konnte man das ja in unzähligen Video-Mitschnitten noch mal sehen. Umgehauen hat mich damals vor allem, dass die Leute dort im Stadion alle auf dem Boden und auf der Wiese liegen durften. Das war im Sommer 1989 wirklich noch die waschechte Sowjetunion, ich war erster Komsomolze meiner Schule- und da liegen diese Leute auf dem Boden und lauschen dem Konzert von Ozzy Osbourne. Das hat wirklich alle Vorstellungen gesprengt.

Beyer: Das "echte Woodstock" bekam später seine eigene Hymne, ausgerechnet von der Musikerin, die damals selbst nicht dabei sein konnte, Joni Mitchell. Gab es auch so was wie eine Hymne über die russische Woodstock-Variante?
Hochweis: Ja, gibt es. Zwar nicht mit ganz so direktem Bezug, aber doch inspiriert von diesem Event. Die angereisten Musiker bekamen vorab eine Art Ausflugsprogramm, das ist auch Thema im Film, alle zusammen wurden dann z.B. per Schiff über den Fluss Moskwa geschippert, zum Gorki Park und zurück.
Kurz danach ging es dann ins Stadion und das hat selbst die Musiker umgehauen, wie plötzlich selbst die Sicherheitsleute, Angehörige der Roten Armee in Uniform, anfingen zu tanzen und ihre Jacken und Mützen in die Luft zu werfen, als die Bands dann so richtig loslegten. Das hat einen Musiker inspiriert zum Song, den wir alle kennen, er schrieb ihn zu Hause in Deutschland, einen Monat später. Und kam damit natürlich in Russland besonders gut an. Wir können ja mal kurz reinhören.
Beyer: Das war "Wind of Change" mit den Scorpions, entstanden als Reaktion auf das russische Woodstock vor genau 30 Jahren. Über die russischen Bands dort haben wir noch gar nicht geredet. Welche Rolle haben die gespielt?

Die russischen Bands spielten nur eine Nebenrolle

Hochweis: Ganz sicher eine Nebenrolle. Die russische Musikszene, die damals von Relevanz war, Kino oder Akvarium, die waren nicht eingeladen, vielleicht auch weil sie eben nicht dem Genre Hard 'n' Heavy, Metal und Hardrock entsprachen. Und auch nicht die guten Kontakte hatten, wie etwa die russische Glam Metal Band Gorky Park, die damals schon in den USA lebte. Einer der Musiker dieser Band, Alexander Minkov, genannt Marshal, erinnert sich auch in dieser erwähnten Doku. Er macht deutlich, wieviel Hoffnung und Aufbruch damals in der Luft lagen, dabei hält er übrigens die Lederjacke von damals in die Kamera und liest vor, was hinten draufsteht.

"England, Deutschland, Amerika und Sowjetunion", das steht hier auf dieser Lederjacke von damals- dazu das MTV Logo und der Satz: East meets West. Bis dahin ein wirklich nicht für möglich gehaltener Moment in der Geschichte der Menschheit. Weil endlich die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA in eine Phase des Wohlwollens und Glücks traten. Man durfte sich plötzlich umarmen, ja man dufte sich sogar küssen.

Beyer: Apropos Küssen. Vor wenigen Tagen haben zwei Rammstein-Musiker für Aufsehen gesorgt, bei ihren Konzerten in Moskau und St. Petersburg wurden innigst Zungenküsse auf der Bühne ausgetauscht - ein deutliches Signal an die Homophobie in Russland. Abschließend gefragt: Wie viel ist denn heute noch geblieben vom Aufbruch und den Hoffnungen, auch mit Blick auf die Musikszene?

Weit entfernt von "Love, Peace and Understanding"

Hochweis: Sehr wenig, muss man sagen. Der Aufbruch war ein kurzer. Und ein anderes Jubiläum, nämlich zwanzig Jahre Putin, das steht auch für Rückschritte und sehr viel weniger Freiheit als damals. Und viele nehmen das hin, der eben gehörte Marshal z.B. hat als Solo-Musiker in den letzten Jahren auch schon mal auf dem Roten Platz Konzerte für Putin gemacht.
Es gibt die Tendenz, dass Musik instrumentalisiert wird. Bei den großen Protesten vor gut zehn Tagen hat man ja in Moskau versucht, die Leute von der Demo fernzuhalten, in dem man eiligst ein Rockfestival namens "Schaschlik live" organisiert hatte, in der Hoffnung, die Leute gehen lieber zum Musikhören als zum Demonstrieren. Aber viele Bands haben ihre Teilnahme abgelehnt. Aber von "Love, Peace and Understanding" ist man weit entfernt.
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