Mary MacLane: "Ich erwarte die Ankunft des Teufels"
Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Ann Cotten
Reclam Verlag, Stuttgart 2020
205 Seiten, 18 Euro
Mit Vergnügen auf die Ankunft des Teufels warten
02:59 Minuten
Mary MacLanes "Ich erwarte die Ankunft des Teufels" ist kein Gruselschocker, sondern ein Manifest weiblicher Selbstermächtigung. Erstmals erschienen vor mehr als 100 Jahren, jetzt wieder aufgelegt. Literaturredakteurin Wiebke Porombka ist begeistert.
Das muss man sich mal vorstellen: Eine junge Frau, gerade einmal 19 Jahre alt, lebt in einer kleinen amerikanischen Bergarbeiterstadt, wo sich absolut nichts Spektakuläres ereignet. Und sie beginnt, ein Tagebuch zu schreiben. Darin stöhnt sie über die Mittelmäßigkeit und Ödnis der Umgebung und der Menschen um sie herum und über die Ereignislosigkeit des Daseins.
Was sie aber vor allem macht: Ihre eigene Großartigkeit und Einzigartigkeit zu preisen. Ihre Schönheit, ihr Genie. Ein Genie, das dann auch mal darin besteht, dass sie besonderes Talent darin besitzt, Oliven zu essen. Was aber nicht darüber hinwegtäuschen soll: "Ich erwarte die Ankunft des Teufels", in der Neuausgabe übersetzt von Ann Cotten, ist ein veritables feministisches Gelübde.
Die Außenwelt beim Lesen Ausblenden
"Ich erwarte die Ankunft des Teufels" kann man natürlich ganz fabelhaft an einem überfüllten Strand lesen, während man sich über die ganzen nervigen Touristen um einen herumärgert. Irgendwie muss man ja ausblenden, dass man selbst zu diesen Touristen gehört. Das funktioniert mit diesem Buch ganz hervorragend.
Oder aber auf einer abgelegenen Berghütte, an Abenden, an denen man sich vielleicht doch ein wenig einsamer fühlt, als man gedacht hätte. Und da sagt einem dieses Buch dann: Es ist alles genau richtig so.
Und dann wird man auch jede Menge zu lachen haben. Ich bin nicht ganz sicher, ob Mary MacLane all das so knallernst meint, wie sie es schreibt, oder ob sie nicht doch auch einen gehörigen Spaß an der Selbstinszenierung hat. Und das könnte man sich doch nun wirklich zum Vorbild nehmen. In diesem Sommer und überhaupt.
Der Sommerurlaub sieht in diesem Jahr oft anders aus als gewohnt. Aber ein gutes Buch gehört für viele dazu. Zur Inspiration präsentieren wir Ihnen seit dem 24. Juni 2020 in unserer Sommerbücher-Serie persönliche Empfehlungen der "Lesart"-Redaktion für diese Zeit, die für viele die schönste des Jahres ist. In zehn Folgen ist vom Thriller bis zum Abenteuerroman alles dabei.
Die bisherigen Empfehlungen:
- Vertrackte Fälle und komplexe Psychologie im Krimi "Grabesgrün von Tana French
- "Whisper Network" von Chandler Baker – ein Thriller mit MeToo-Appell
- Laufen und Lesen mit dem Roman "Die Wahrheit" ist von Eshkol Nevo
- Schwelgen in Dumas "Wörterbuch der Kochkünste"
- Den Geist entrümpeln mit "Vier Räder, Küche, Bad"
- Kluge Gedanken zum entkolonisierten Afrika