Sommerurlaub 2016

Reisen ist Sache für Politstrategen

Ein historischer Wegweiser von 1912 zeigt im südthüringischen Berkach in der Rhön Richtung und Entfernung nach Nordheim, Meiningen, Behrungen und Römhild an, aufgenommen am 10.06.2009.
Lieber Wandern in der Rhön als ein Strandurlaub in der Türkei oder in Griechenland? Ein historischer Wegweiser im südthüringischen Berkach in der Rhön © picture-alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Reinhard Mohr · 20.07.2016
Aus Urlaubsplanung sei eine Risikoabwägung mit eingebauter Terrorwarnung geworden, beschwert sich Reinhard Mohr. Kriege, Krisen, Anschläge, Flüchtlinge und Grenzkontrollen würden die Vorfreude auf einst beliebte Reiseziele verderben.
Früher war alles einfacher. Auch das Ferien-Machen. Noch im tiefsten Winter blätterte man auf dem Sofa die Kataloge für den Sommer durch, ging ins Reisebüro oder ließ einfach Papa entscheiden, wohin es geht. Meistens nach Südfrankreich. Das war einmal.
Heute ist die Urlaubsplanung eine Herausforderung an Fähigkeiten, wie sie eigentlich nur im Auswärtigen Amt zu finden sind. Fortgeschrittene Risikoabwägung mit eingebauter Terrorwarnstufe ist gefragt.

Naher Osten und Nordafrika nur für Kriegsreporter geeignet

Ob Türkei, Griechenland, Tunesien oder Ägypten – an allen Ecken lauern Gefahren. Selbst wer keineswegs ängstlich ist, überlegt sich, ob er die Holidays in der Nähe von brodelnden Krisenherden verbringen will. Der gesamte Nahe und Mittlere Osten – von Marokko über Libyen und Syrien bis Irak – kommt weithin nur noch für Abenteuerlustige und Kriegsreporter in Frage.
Sicher, in den geschützten Ferienanlagen Tunesiens und Ägyptens lässt sich immer noch unbeschwert Strandurlaub machen. Doch sensiblere Gemüter beeinträchtigt das unschöne Gefühl, in einer irrealen Komfortzone Entspannung zu suchen, während draußen die Selbstmordattentäter ihre Sprengstoffgürtel festzurren.
In Europa ist es ebenfalls deutlich schwieriger geworden, den idealen Erholungsort zu finden. Da Staatspräsident Erdogan offenbar entschlossen ist, die Türkei zu einem Ein-Mann-Kalifat umzubauen, sind die Reiseanmeldungen der sonst so treuen Deutschen massiv zurückgegangen. Islamismus, Terror und Diktatur – das ist zu viel auf einmal.

Mittelmeerregion schreckt mit Flüchtlingselend ab

Also auf nach Griechenland, Sirtaki und Souvlaki? Ja und nein. Die Buchungen sind offenbar gestiegen, doch früher beliebte Inseln wie Chios und Lesbos werden gemieden. Zu stark der Eindruck der Fernsehbilder von gestrandeten und ertrunkenen Flüchtlingen, zerfetzten Schlauchbooten und im Meer schwimmenden Rettungswesten.
Was zynisch klingen mag, bleibt dennoch wahr: Im Urlaub wird die heile Welt gesucht. Also auf in die Schweiz. Von wegen. Wunderschön wie eh und je, jetzt auch noch mit neuem Gotthard-Tunnel. Aber unbezahlbar.
Dann doch lieber ins benachbarte Österreich, ins Land der Kraxler und Knödelesser? Aber was, wenn die Ösis, bevor man von einem Kurztrip nach Südtirol zurückkehrt, wegen neuer Flüchtlingsströme den Brenner dichtmachen? Außerdem ist da noch die rechtspopulistische FPÖ, die manchem die Lust auf den Kaiserschmarrn verdirbt.
Okay, dann – Berlusconi ist ja weg – nach Bella Italia, vielleicht an die Amalfi-Küste oder ins Cilento? Que bello, aber an vielen Stränden werden Touristen im Minutentakt von fliegenden Händlern in aller Länder Farben bedrängt, was deutsche Ruhe und Behaglichkeit im Sinne von Wilhelm Busch empfindlich stört. Ansonsten gilt, was für Österreich zutrifft: Auf der Rückfahrt droht der Mega-Stau am Brenner.

Frankreich und Polen haben die falsche Regierung

Dann vielleicht etwas ganz anderes: Nach Polen, Masuren, Krakau. Die alte Heimat besichtigen. Und garantiert keine Flüchtlinge. Doch auch hier regiert eine Rechtspartei, die verstörende Schlagzeilen macht. Gut, also doch wieder nach Frankreich. Da regiert immerhin die Linke.
Mon Dieu! Aber was für eine Linke?! Monsieur Hollande ist der unbeliebteste Präsident aller Zeiten. Die Wirtschaft lahmt, das Volk rebelliert, Terror droht, und Marine Le Pen steht vor der Tür des Elysée-Palasts. Will man da wirklich hin?
Was aber dann? Ins ferne Venezuela, wo der gescheiterte Chavez-Sozialismus gewalttätig implodiert? Auf die Malediven, wo die Regierung den radikalen Islam durchsetzt – mit Folter und Gefängnis?
Ganz einfach: Wir bleiben zu Hause und wandern durch die Rhön. Nichts für Sie? Dann fahren Sie doch, wohin Sie wollen! Aber bitteschön auf eigenes Risiko.
Reinhard Mohr, geboren 1955, ist freier Journalist. Zuvor schrieb er für "Spiegel Online" und war langjähriger Kulturredakteur des "Spiegel". Weitere journalistische Stationen waren der "Stern", "Pflasterstrand", die "tageszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Buchveröffentlichungen u. a.: "Bin ich jetzt reaktionär? Bekenntnisse eines Altlinken", "Das Deutschlandgefühl", "Generation Z", "Der diskrete Charme der Rebellion. Ein Leben mit den 68ern" und "Meide deinen Nächsten. Beobachtungen eines Stadtneurotikers".
Reinhard Mohr
Reinhard Mohr© dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler
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