"Wir leben in einer ähnlichen Zeit"
Freier Eintritt mit Hakenkreuzbinde - Serdar Somuncus Inszenierung von Taboris "Mein Kampf" sorgt schon vor der Premiere für Aufregung. Zumal diese auch noch an Hitlers Geburtstag stattfindet. Somuncu findet die Kritik "oberflächlich": Das Stück sollte im Vordergrund stehen.
Das Stück heißt "Mein Kampf", die Premiere ist am 20. April, also dem Geburtstag Adolf Hitlers - und wer eine Hakenkreuzbinde trägt, kommt umsonst rein: Schon vorab sorgt Serdar Somuncus Inszenierung des Tabori-Stücks am Stadttheater Konstanz für öffentliche Aufregung bis hin zu Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft.
Die Zuschauer "müssen die Symbole nicht tragen"
Im Deutschlandfunk Kultur verteidigte Somuncu seine Herangehensweise. "Die Zuschauer können diese Symbole tragen, sie müssen sie nicht tragen", betonte er. Zudem sei diese Kritik doch "sehr oberflächlich" gewesen: "Und deswegen nervt es auch, weil natürlich das Stück im Vordergrund steht, und ich bin sicher, wer das Stück gesehen hat, der wird am Ende wissen, dass das, was jetzt besprochen wird, nur eine Kleinigkeit war."
Der deutsch-türkische Kabarettist, Schauspieler und Regisseur hat Taboris mehr als 30 Jahre altes NS-kritisches Stück an die Situation des Jahres 2018 angepasst. Denn in der Zwischenzeit sei viel geschehen: die Wiedervereinigung etwa, die NSU-Morde und die Flüchtlingskrise, so Somuncu. "Es wäre sträflich dumm, das zu vernachlässigen und nicht zu berücksichtigen." Im Kern habe er sich dennoch nicht sehr weit von der Vorlage entfernt: "Das, was Tabori erzählen will, bleibt natürlich auch das, was ich erzählen muss."
Berlin ist doch Weimar - ein bisschen zumindest
Der deutsch-türkische Regisseur sieht durchaus Parallelen zwischen der Zeit der Weimarer Republik und heute. "Ich bin tatsächlich der Meinung, dass wir in einer ähnlichen Zeit leben", sagt er. Das heiße nicht, dass die Entwicklung zwangsläufig darauf hinauslaufen müsse, dass am Ende wieder ein Hitler an die Macht komme. Aber: "Wir haben einen US-Präsidenten nah an der Grenze zur Pathologie, Europa ist durcheinandergewirbelt von Neonationalisten, die alle für sich eigene Ziele verfolgen." Man stehe am Rande von Kriegen, außerdem sei die Bevölkerung gespalten: Die eine Hälfte besinne sich auf ihr eigenes völkisches Denken, die andere Hälfte propagiere Toleranz.
"Also, da finde ich evident, eine Parallele zu ziehen und zu sagen: Die Situation Hitlers damals Anfang des vorvergangenen Jahrhunderts ist eine ähnliche Situation wie die, in der wir gerade sind. Und dass das immer passieren kann, dass wir jederzeit auch vor die Frage und die Verantwortung gestellt sind, aufmerksam zu bleiben, um eben den Anfängen zu wehren - das ist die Erkenntnis, die nicht nur ich habe mit diesem Stück, sondern die auch Tabori hatte vor mehr als 30 Jahren."
(uko)
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Übermorgen wird das George Tabori-Stück "Mein Kampf" in der neuen Inszenierung von Serdar Somuncu uraufgeführt, am Theater in Konstanz. Und schon dieser Termin hat im Vorfeld für große Kontroversen gesorgt. Denn übermorgen ist der 20. April, der Geburtstag von Adolf Hitler. Noch mehr Kontroversen gab es aber um die ursprüngliche Vorgabe des Theaters, die Zuschauer müssten entweder, wenn sie ihre Eintrittskarten bezahlen, einen Judenstern tragen, oder, wenn sie umsonst ins Theater wollen, ein Hakenkreuz, während der Vorführung. Das hat man inzwischen aufgelockert.
Ungefähr 50 Menschen haben sich übrigens schon angemeldet, dass sie das Hakenkreuz bereit wären zu tragen, wenn sie umsonst reinkommen. Dennoch beschäftigt sich aber jetzt sogar ein Gericht mit der Frage, ob das möglicherweise strafbar ist, was das Theater da vorhat. Ich habe mich mit dem Regisseur, Schauspieler und Kabarettisten Serdar Somuncu vor dieser Sendung unterhalten und ihn unter anderem auch gefragt, ob ihm diese Kontroversen schon im Vorfeld eigentlich gefallen, weil sie mehr Aufmerksamkeit erzeugen, für das Stück, oder ob sie ihn ärgern, weil sie von seinen eigentlichen Ansichten ablenken.
Serdar Somuncu: Beides! Ich muss dazusagen, die Zuschauer können die Symbole tragen, sie müssen sie nicht tragen. Ein Hakenkreuz muss man nur dann tragen, wenn man eben keinen Eintritt zahlt, was ja an sich schon eine Frechheit ist - und oben drauf noch ein Hakenkreuz zu tragen, das muss ich nicht kommentieren. Aber beides nervt mich, weil ich a) natürlich darauf setze, dass Menschen sich mit meinen Stücken kritisch auseinandersetzen – sofern das konstruktiv bleibt, freue ich mich darüber –, aber in diesem Fall ist es ja sehr oberflächlich gewesen.
Und die Aufregung darum, das wir zwei Symbole einsetzen, um die Zuschauer dazu zu zwingen, auch eine klare Position einzunehmen, hat sich ein bisschen verselbstständigt. Und deswegen nervt es auch, weil natürlich das Stück im Vordergrund steht. Und ich bin sicher, wer das Stück gesehen hat, der wird am Ende wissen, dass das, was jetzt besprochen wird, nur eine Kleinigkeit war.
Das transportieren, was Tabori sagen wollte
Kassel: Aber wie viel ist denn in Ihrer Inszenierung, von dem ursprünglichen Tabori-Text, überhaupt noch übrig? Ich habe relativ viel gehört über etwas, was ich mal ganz einfach als Aktualisierung bezeichnen würde, also Zitate, aktuelle Zitate von lebenden Politikern sollen vorkommen. Wie weit entfernen Sie sich tatsächlich von der Vorlage?
Somuncu: Im Kern entferne ich mich nicht sehr weit von der Vorlage. Denn das, was Tabori erzählen will, bleibt natürlich auch das, was ich erzählen muss. Aber das Stück ist jetzt mehr als 30 Jahre alt, wir haben viel erlebt in der Zwischenzeit – die Wiedervereinigung, die NSU-Morde, die Flüchtlingskriese –, und deswegen wäre es, ja, es wäre sträflich dumm, das zu vernachlässigen und nicht zu berücksichtigen. Aber ich bin kein Fan davon, Stücke soweit zu zerschneiden und klein zu machen, bis sie nicht mehr wiedererkennbar sind. Es ist immer noch mein Auftrag, als Regisseur das zu transportieren, was Tabori sagen wollte.
Kassel: Wenn heute, in aktuellen Debatten, unsere jetzige Situation, mit der Weimarer Republik zum Beispiel, gelegentlich verglichen wird, wenn Äußerungen und auch angekündigte Taten, von der AfD in Deutschland, aber auch vielleicht in Ungarn, in Polen, anderswo, verglichen werden mit der Zeit des Faschismus damals, dann – und ich finde das berechtigt – sagen oft auch Leute, das relativiert eigentlich alles viel zu stark, dieser Vergleich ist gar nicht angemessen. Im Grunde genommen vergleichen Sie doch mit dieser Inszenierung, oder habe ich Sie da missverstanden?
Somuncu: Naja, das, was die Leute sagen, könnte mich den ganzen Tag so sehr beschäftigen, dass ich dann am Ende des Tages gar nichts mehr machen kann. Deswegen versuche ich mich zunächst mal unabhängig davon zu machen und meine eigene Meinung zu erforschen. Und ich bin tatsächlich der Meinung, dass wir in einer ähnlichen Zeit leben, nicht in einer identischen Zeit, und, dass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen, die wir daraus ziehen, anders sein können und nicht zwangsläufig darauf hinauslaufen müssen, dass am Ende wieder ein Hitler an der Macht dieser Republik steht.
Wir leben in sehr unterschiedlichen Einflüssen. Wir haben einen US-Präsidenten nah an der Grenze zur Pathologie, Europa ist durcheinandergewirbelt von Neo-Nationalisten, die, alle für sich, eigene Ziele verfolgen, die Bevölkerung ist gespalten. Die eine Hälfte besinnt sich auf ihr eigenes, völkisches Denken, die andere Hälfte propagiert Toleranz. Wir stehen am Rande von Kriegen, manche Kriege sind schon, brennen auf dem Höhepunkt.
Also, da finde ich evident Parallele zu ziehen und zu sagen, die Situation Hitlers, damals, Anfang des vorvergangenen Jahrhunderts, ist eine ähnliche Situation, wie die, in der wir gerade sind. Und dass das immer passieren kann, dass wir jederzeit auch vor die Frage oder die Verantwortung gestellt werden, aufmerksam zu bleiben, um eben den Anfängen zu wehren, das ist die Erkenntnis, die nicht nur ich habe mit diesem Stück, sondern die auch Tabori hatte, vor mehr als 30 Jahren.
"Meine Art Kunst ist oft kontrovers"
Kassel: Ihnen persönlich stehen ja inzwischen ganz viele öffentliche Foren zur Verfügung, um Menschen Dinge etwas zu zeigen, etwas zu sagen, was vorzuführen – die Kabarettbühne, natürlich das Fernsehen, Sie haben eine wöchentliche, zweistündige Radiosendung. Was glauben Sie an einem Theater, mit so einem Stück, machen zu können, dass Sie bei Ihren anderen Darstellungsformen nicht können?
Somuncu: Ich glaube, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich in einer Radiosendung zwei Stunden spreche oder in einem Theater, wie in Konstanz, arbeite, sechs Wochen lang, um ein Thema zu transportieren, in einer ganz anderen künstlerischen Sprache. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass die Arbeit, die man macht, entscheidend ist, und nicht der Ort, an dem man diese Arbeit macht. Und so ist es tatsächlich, wie Sie sagen, ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass der ganze Tross der Berichterstattung mir nach Konstanz folgt und mir ein paar schöne Wochen versprochen. Und jetzt ist es nun mal soweit, dass alle wieder darüber sprechen.
Das liegt vielleicht auch daran, dass meine Art zu arbeiten und zu denken, dass meine Art Kunst zu machen oft kontrovers ist und dann auch, berechtigterweise, kontrovers besprochen wird. Aber in der Art und Weise, wie es jetzt gerade passiert, eben auch in der oberflächlichen Art und Weise, in der manchmal berechtigterweise empfindsamen Art und Weise, ist es für mich, als Künstler, ja, eine Herausforderung, das ist ambivalent.
Und trotzdem, das Theater ist für mich die Heimat, und leider hat das Theater heutiger Tage oft vergessen, welche Kraft es hat, und es geht an den Menschen vorbei und reproduziert schon Gesagtes oder das, was man schon weiß. Da sehe ich eine Verantwortung, und das ist vielleicht etwas, was ich besonders gut kann, weil ich in diesen unterschiedlichen Bereichen arbeite – wieder Verknüpfungen herzustellen.
"Ich habe grundsätzlich keine Angst"
Kassel: Sie haben schon oft Regie geführt, inszeniert, auf der Bühne gestanden – und zwar nicht der Kabarettbühne –, aber es gibt heute Menschen, die Sie kennen und die das gar nicht wissen. Ich habe auch in irgendeinem Artikel, so sinngemäß, gelesen, jetzt macht er auch noch Theater. Das ist Quatsch, wenn man Ihren Lebenslauf anguckt. Aber Ihnen begegnet das ja sicherlich immer mal wieder, diese Idee, der ist doch eigentlich "nur" Kabarettist.
Und wir haben ja jetzt schon viel darüber geredet, wie Sie diese Oberflächlichkeit stört, an den Diskussionen, die es im Vorfeld des Stückes schon gegeben hat. Es werden, glaube ich, viele Leute dann im Theater sitzen, Zuschauer – normale – und Kritiker, Journalisten, die nur darauf warten, dass da auch wieder Provokationen drin sind, über die man dann wieder ganz laut berichten kann. Freuen Sie sich schon darauf, oder haben Sie umgekehrt vielleicht sogar Angst davor, diese Erwartungen zu enttäuschen?
Somuncu: Nein! Ich habe grundsätzlich keine Angst. Und ich habe auch keine Angst davor, meine eigenen Erwartungen zu enttäuschen. Aber ich kann es nicht vermeiden, dass, gerade jetzt, in dieser Zeit, in der es sehr viele Möglichkeiten gibt, sich öffentlich auszudrücken, jeder meint, sich eine Meinung dazu bilden zu können, ohne, dass er weiß, worüber er eigentlich spricht. Das habe ich schon längst akzeptiert. Ich wünsche mir trotzdem, dass die Menschen sehen, dass nicht nur ich, sondern auch das gesamte Ensemble, das ganze Theater, dass wir uns da sehr ernsthaft mit einer unglaublich wichtigen Sache auseinandergesetzt haben.
Und jeder, der das missversteht oder der uns absichtlich versucht, in eine, in seine Ecke zu drängen, der hat es letztendlich auch nicht verdient, dieses Theaterstück so zu sehen, wie wir es meinen. Der kann es dann interpretieren, der kann es gerne auch misshandeln, aber das hat dann nichts mehr mit uns zu tun, und dann verselbstständigt sich letztendlich die Absicht des Künstlers und die Reflexion des Sehenden. Und das ist ja nicht Sinn von Kunst. Kunst ist Austausch. Kunst ist auch die Bereitschaft des Zuschauers, sich auf etwas einzulassen und sich seinen eigenen Ängsten und Vorbehalten zu stellen. Und das wäre das Mindeste, was ich von den Zuschauern, und nicht nur von denen, erwarte.
Bei oberflächlicher Betrachtung meiner Arbeit entstehen Missverständnisse
Kassel: Sie wollen jetzt nicht eine Drohung gerade aussprechen?
Somuncu: Nein! Nein! Nein! Ich kenne das ja. Ich habe ja bei allen meinen Projekten immer diese Widerstände. Damals, als ich "Mein Kampf" gelesen habe – den Text von Hitler – ging es ja genauso los. Ich habe gelernt damit zu leben. Dass, gerade in dieser oberflächlichen Betrachtung meiner Arbeit, oft Missverständnisse entstehen, die ich nicht aufklären kann aber auch nicht aufklären will.
Kassel: Damals, bei den Lesungen aus "Mein Kampf", endete das dann am Ende mit Preisen. Mal gucken, wie das diesmal, bei dieser Inszenierung, ausgeht – das können wir beide noch nicht wissen. Aber, falls man das heutzutage noch sagt – ich bin mir nicht ganz sicher –, wünsche ich Ihnen für Freitag toi, toi, toi!
Somuncu: Ja, ich darf nicht danke sagen, aber ich darf mich darüber freuen.
Kassel: Das Gespräch mit Serdar Somuncu habe ich vor der Sendung aufgezeichnet. Seine Inszenierung von Taboris "Mein Kampf" hat am Freitag Premiere am Theater Konstanz und wird dort dann noch weitere 14 Mal aufgeführt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.