Sonderzahlungen im öffentlichen Dienst

Ungerecht und ungeheuerlich

Ein Kommentar von Wolf Lotter |
Der jüngste Tarifabschluss im öffentlichen Dienst honoriert nicht nur die Corona-Helden im Gesundheitswesen, sondern auch jeden Formularabhefter im Homeoffice. Dem Publizisten Wolf Lotter, Beamtenkind und Freiberufler, will das nicht einleuchten.
"Welches Schweinchen hätten Sie denn gern?" So fragte der Quizmaster Robert Lembke bis 1989 die Mitwirkenden in seinem “Heiteren Beruferaten: Was bin ich”. Hatten die ihr Schweinchen ausgesucht, mussten sie noch ein Kästchen ankreuzen: angestellt oder selbstständig? Dann konnte das Beruferaten schon losgehen.
Heute würde eine solche Show niemanden interessieren, allein die Auswahl! Das wichtigste Kästchen fehlt doch! Wo bitte, ist hier der “Öffentliche Dienst?” Wo steht das Wort “Beamte?” Zu dieser Elite der unselbstständig Erwerbstätigen zu zählen ist in Deutschland immer schon enorm attraktiv gewesen. Am Staate hängt, zum Staate drängt hier alles,
Wir zählen aktuell fünf Millionen "Öffentlich Bedienstete" und nochmals 1,7 Millionen Beamte und Richter, davon fast die Hälfte Lehrerinnen und Lehrer. Das heißt, dass jeder zehnte Berufstätige im Staatsdienst ist. Dabei ist das noch nicht der historische Höchststand. Der lag in den 1980er-Jahren, als auch die Mitarbeiter der Deutschen Bahn und Deutschen Post dazugehörten.

Junge Menschen wollen in den Staatsdienst

Aber die Renaissance der Staatsdiener ist in vollem Gange. Erstens, die Generation Z, die ganz Jungen auf dem Arbeitsmarkt, legen Wert auf sicherste Arbeitsverhältnisse. Der Wunsch nach Verbeamtung und Unkündbarkeit, das zeigen alle Umfragen, ist noch ausgeprägter als der nach Selbstbestimmung und Freiheit.
Der hohen Kosten wegen beschloss der Berliner Senat vor 20 Jahren das Ende Lehrerverbeamtung. Nun hat man das zurückgenommen. Pro Jahr haben durchschnittlich 700 Pädagoginnen und Pädagogen in Bundesländer rübergemacht, die weiterhin Schul- und Staatsdienst als untrennbare Einheit sehen. Bis zu 17.000 neue Beamte kommen nun in Berlin hinzu, einer Stadt, in der bereits 211.000 öffentlich Bedienstete arbeiten.
Ist das überraschend? Nein. Auch in der Corona Krise sind es die Staatsdiener, die meist am glimpflichsten davonkommen.
Angestellte in Kurzarbeit müssen um die Zukunft ihres Jobs bangen. Für die vier Millionen Selbstständigen in Deutschland rührte die Regierung keinen Finger. Der aktuelle Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst aber bringt ab 2022 immerhin 2,8 Prozent mehr Gehalt und eine Corona-Sonderzahlung von 1300 Euro, steuerfrei.

Geld und Corona-Bonus für jeden Bürokraten?

Und klar haben das all die Pflegerinnen, Krankenschwestern, Rettungsfahrer, Polizisten und ja, auch Lehrkräfte verdient, die sich in den schweren Coronatagen abgestrampelt haben, meist bis an die Grenzen ihrer Kraft und oft darüber hinaus. Sie sollten wir mit Lob und Geld überschütten.
Aber der Großteil der Profiteure gehört nicht zu diesen Helden der Pandemie. Die Bürokraten und Verwalter, darunter nicht wenige, die ihren Kollegen in der Krise durch Untätigkeit und Missmanagement das Leben schwer gemacht haben, streifen ebenfalls den Bonus und die Tariferhöhung ein. Und das sind ja schon die Besserverdienenden im öffentlichen Dienst.

Die Jungen zahlen noch lange für die Staatsdiener

Das ist ungerecht, nein, ungeheuerlich. Es ist unfair. Und nicht nachhaltig. Denn die Jungen, die nach Sicherheit streben, haben gute Gründe, das zu tun. Sie ahnen und erkennen, dass hier ihre Zukunft verfrühstückt wird, von Leuten, die sich wegducken, wenn es kritisch wird – und deren Solidarität nur bis zur eigenen Sonderzahlung reicht.
Die Kinder von heute werden Schulden erben, Verpflichtungen. In den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der Versorgungsberechtigten im öffentlichen Dienst verdoppelt. Die neuen Verbeamtungswellen verschärfen das Problem zusehends.
Wer das gut findet, für den müsste man beim heiteren Beruferaten ein weiteres Kästchen einführen. Neben selbstständig und angestellt ein “Mirdochegal” oder ein “NachmirdieSintflut”. Immerhin: Damit wäre auch gleich die Frage nach dem Schweinchen klar beantwortet.

Wolf Lotter ist Autor mit dem Schwerpunkt Transformation und Innovation, Gründungsmitglied und langjähriger Leitessayist des Wirtschaftsmagazins "brand eins" und Autor von Bestsellern, zuletzt "Zusammenhänge. Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen" und "Strengt Euch an". Er stammt aus einer österreichischen Kleinbeamtenfamilie. 

Wolf Lotter: Ein älterer Mann mit Brille und kurzen Haaren schaut in die Kamera.
© Katharina Lotter

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