Die Ausstellung Songlines läuft noch bis zum 30. Oktober 2022.
Die lange Reise der sieben Schwestern
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Die Kunst der Aborigines erzählt von Mythen und Traditionen. Eine Ausstellung im Humboldt Forum zeigt nun die Verbindung von moderner Kunst zu jahrtausendealtem Wissen.
Die Kunstbewegung der Aborigines ist keine 50 Jahre alt. Es war Anfang der 1970er-Jahre, als ein australischer Kunstlehrer seine Schüler und Schülerinnen dazu bewegte, ihre Zeichensprache auf Bildern festzuhalten. Die Ausstellung „Songlines – Sieben Schwestern erschaffen Australien“ im Berliner Humboldt Forum schlägt die Brücke von moderner Kunst zu jahrtausendealtem Wissen.
Geduldig lächelnd vor farbenfrohen Bildern
Mit ausladender Geste lädt Anaswari Inpitti Mitchell als Video-Clip in die Ausstellung. Denn das hier ist keine Ausstellung des National Museums von Australien und auch keine Ausstellung des Humboldt Forums, betont Kuratorin Margo Ngawa Neale. Sie selbst stammt aus einer Aboriginal-Familie. Das hier ist die Ausstellung australischer Ureinwohner wie Anaswari, die mit ihrer Kunst und ihrem Wissen die Ausstellung möglich gemacht haben. Zur Eröffnung lassen sich Anaswari Mitchell und ihre Künstler-KollegInnen geduldig lächelnd vor den farbenfrohen Bildern ablichten.
Punkte, Striche, Schlangenlinien, farbige Flächen: eine abstrakte Landkarte und abstrakte Bilderzählung in einem. Erzählt wird der Mythos von den sieben Schwestern: Die sieben sagenhaften Schwestern kommen überall hin. Die älteste passt auf, dass ihnen nichts passiert, denn der liebestolle Wati Nyuri ist hinter ihnen her.
Gesungen, getanzt, zu Figuren geflochten
Die "Songlines" erzählen ihre Geschichten, gesungen, getanzt, zu Figuren geflochten oder gemalt. Der Mythos umspannt 7000 Kilometer und drei Wüsten. In jeder Gegend wird er in einer anderen Sprache erzählt mit anderen Geschichten. Die Landschaft trägt die Spuren der Reise der Schwestern. Mal sind es Felsen, in die sich die Geschwister verwandelt haben, mal unterirdische Wasseradern.
Eine Geschichte erzählt Anaswari mit Feldern aus Punkten und Linien auf einem großformatigen Bild. In einer Ecke erkennt man eine Schlangenlinie: Das ist Wati Nyuri, der sich den sieben als Schlange nähert. Die Schwestern werfen die Schlange in den Himmel, wo sie als Regenbogen erscheint.
Bis heute dienen die Erzählungen zur Orientierung, wie dieser Ausschnitt deutlich macht: "Vor ein paar Jahren, als ich mit meinem Mann durch die Wüstenregion in West-Australien unterwegs war, sahen wir mit einem Mal eine Gruppe singender Männer am Rand der Piste. Wir hielten an, um besser zu zuhören. 'Da hinter dem Hügel ist eine Wasserstelle', sagte ich nach ein paar Minuten zu ihm. 'Woher willst Du das wissen? Warst Du schon mal hier?' fragte mein Mann ungläubig. 'Nein, das ist das, was die Männer gesungen haben.'"
Spuren in Höhlen, Wüsten, später auf Stoff
Ein Videofilm zeigt eine getanzte Version des Mythos von den sieben Schwestern, mit den Körpern der Tänzer als lebende Leinwand, übersät mit abstrakten Zeichen. Eine Videoinstallation zeigt Höhlen, Gesteinsformationen, Wüsten und Buschland, die die Spuren der Schwestern tragen. Aber nur noch selten werden die alten Geschichten an den heiligen Erinnerungsorten vorgetragen.
Die Ausstellung dokumentiert auch einen Medienwandel: Seit den 70er-Jahren malen mythenkundige Frauen wie Anaswari Mitchell gemeinsam ihre Geschichten mit Acryl-Farben auf Leinwände aus Stoff. "Die Metadaten sind die gleichen. Nur die Daten ändern sich", sagt Kuratorin Margo Neale.
Am Ende der Ausstellung schweben die sieben Schwestern als traditionelle, lebensgroße Bastfiguren Richtung Decke. Der Verfolgungsjagd leid, fliegen sie davon in den Himmel und ziehen bis heute Nacht für Nacht als Plejaden über den Sternenhimmel. Und auf der Erde? Auch da geht die Reise der sieben Schwestern weiter, an neue Orte, wie zum Beispiel dem Berliner Humboldt-Forum.
"Wir freuen uns, in einem anderen Land zu sein", sagt Anaswari Mitchell, bevor sie für das nächste Foto posiert: "So folgen wir den sieben Schwestern und setzten ihre Reise fort, zu neuen Orten mit neuen Geschichten."