Sonia Combe: „Loyal um jeden Preis. 'Linientreue Dissidenten' im Sozialismus“

Opportun aus Überzeugung

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Cover des Buchs „Loyal um jeden Preis. 'Linientreue Dissidenten' im Sozialismus“ von Sonia Combe.
© Ch. Links Verlag

Sonia Combe

Aus dem Französischen von Dorothee Röseberg

Loyal um jeden Preis. 'Linientreue Dissidenten' im SozialismusCh. Links, Berlin 2022

268 Seiten

25,00 Euro

Von Marko Martin · 13.06.2022
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Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen einige jüdische Exil-Intellektuelle zurück nach Deutschland, in die DDR. Die Historikerin Sonia Combe beschreibt, wie viele von ihnen dem Regime bedingungslos die Treue hielten.
Die französische Historikerin Sonia Combe forscht seit Langem zur Geschichte Ostmitteleuropas; nun liegt ihr 2019 erschienenes Buch zu DDR-Intellektuellen jüdischer Herkunft auch in deutscher Übersetzung vor. „Loyal um jeden Preis“ erzählt hochkomplexe Biografien von Anna Seghers bis Arnold Zweig, von Stephan Hermlin und Stefan Heym bis Jürgen Kuczynski. Letzterer, ein renommierter marxistischer Wirtschaftshistoriker von geradezu atemberaubender Produktivität (er starb 1997 im Alter von 93 Jahren), bezeichnete sich einmal launig als „linientreuen Dissidenten“. Das Oxymoron gab Sonia Combes Buch den Untertitel: „'Linientreue Dissidenten' im Sozialismus“.

Furcht vor der Verführbarkeit der Massen

Geschrieben in einer wohltuend transparenten Sprache, wird in dem Werk noch einmal in kompakter und gleichzeitig reflektierter Weise versammelt, was bislang eher in verstreuten Publikationen vorlag. Von der Hoffnung der nach Weltkriegsende vor allem aus dem amerikanischen, mexikanischen und französischen Exil in die DDR Übergesiedelten erzählt das Buch ebenso detailreich wie von deren Desillusionierung angesichts der dortigen Realität.
Wobei die porträtierten Intellektuellen nicht unbedingt in der diktatorisch regierenden SED das Hauptproblem sahen, sondern in einer Volks-Mentalität, die weiterhin „faschistisch“ verführbar sein könnte. So etwa im Falle des Lyrikers und späteren in Ost und West prominenten Kongress-Intellektuellen Stephan Hermlin: Anders nämlich lassen sich dessen Unterstützungs-Statements zum niedergeschlagenen Aufstand vom 17. Juni 1953 oder zum Berliner Mauerbau 1961 nicht erklären. Er und Autoren wie die Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbandes Anna Seghers enthielten sich denn auch jeglicher öffentlicher Kritik – wenn, dann wurde lediglich innerhalb der Staats- und Parteiorganisationen vorsichtig gemahnt oder raunend Dissens angedeutet.

Die Funktionäre misstrauten den jüdischen Intellektuellen

Sonia Combe beschreibt hier geradezu entwürdigende Formen des Kotaus und legt plausibel dar, dass diese mit Feigheit oder Opportunismus nicht hinreichend erklärt werden können. Die „Westemigranten“ waren nämlich tatsächlich davon überzeugt, dass die DDR der bessere deutsche Staat war – auch wenn dessen höchste Funktionäre, die nach 1945 vor allem aus der stalinistischen Sowjetunion zurückgekehrt waren, jenen säkularen Juden überaus skeptisch gegenüberstanden.
Auch Stasi-Akten, welche die Autorin auswertet, sprechen eine schreckliche Sprache: „Er ist Jude und von Natur aus misstrauisch“, heißt es etwa über den Genossen Hermlin, der sich doch als selbsterklärter Freund Erich Honeckers so viel auf seine Rolle als quasi sozialistischer „Fürstenerzieher“ zugutegehalten hatte. Und auch der in der DDR hochdekorierte Romancier Arnold Zweig stand intern unter Verdacht: Hatte er die Kriegszeit nicht im damaligen Palästina zugebracht und war womöglich noch immer Zionist?
Besonders deprimierend dann das Geschehen im Juni 1967: Während des Sechs-Tage-Krieges, als von Moskau über Warschau bis Ostberlin die kommunistischen Staatsmedien zu antisemitischer Hochform aufliefen, sollten diese Intellektuellen im SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ eine Erklärung unterschreiben, in der das tödlich bedrohte Israel als Aggressor gebrandmarkt wurde. Stephan Hermlin erbat Bedenkzeit, die weltberühmte Anna Seghers ging nicht ans Telefon, und Stefan Heym redete sich mit einem Arzttermin in der Berliner Charité heraus.

Manche Bewertung der Autorin ist fragwürdig

Schade, dass die vor allem an den ideologisch-politischen Implikationen interessierte Verfasserin dieser Studie Heyms darauffolgende große Romane nicht thematisiert: Dabei berichten diese doch, am stärksten „Der König David Bericht“, auf eindrucksvolle Weise von der Malaise der Intellektuellen an den geschichtlich wechselnden Höfen der Macht.
Indes fanden nicht alle der bei Combe Vorgestellten dann zumindest in ihren Büchern zu größerer Deutlichkeit. Der von den Nazis einst als „Halbjude“ verfolgte und von der SED argwöhnisch beäugte Philosoph Wolfgang Heise (er starb 1987 mit nur 61 Jahren) hatte bereits seit Langem nichts mehr publiziert, jedoch als „DDR-Voltaire“ (Wolf Biermann) immerhin seine Studenten zu eigenständigerem Denken animieren können. Jürgen Kuczynski blieb zeitlebens der Faschismus-These treu, beschrieb den Nationalsozialismus als reines Produkt des Kapitalismus – und Adolf Eichmann als „Manager des deutschen Monopolkapitals“.

Überschaubare Denkaktivitäten

Gemessen daran, was zur gleichen Zeit Remigranten in der Bundesrepublik publizierten – von Adorno und Horkheimer bis zu Richard Löwenthal oder Hans Sahl – erscheinen die meisten dieser ostdeutschen Denk-Aktivitäten eher überschaubar und ideologisch limitiert.
Ausgerechnet diese als „die letzten Tage der deutsch-jüdischen Symbiose“ zu bezeichnen, wie es Sonia Combe tut, ist deshalb fast schon Geschichtsklitterung. Offenbar hat das allzu oft vertrackte Hin und Her der Protagonisten auf die ansonsten äußerst kundige Autorin abgefärbt.

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