Sonja Eismann über #MeToo in der Popmusik

"Wer es wissen will, kann schon immer hinhören"

Lady Gaga (l), Rozonda "Chilli" Thomas und Tionne "T-Boz" Watkins und Tori Amos
Die US-amerikanischen Musikerinnen Lady Gaga (l), Rozonda "Chilli" Thomas und Tionne "T-Boz" Watkins von der Band "TLC" und Tori Amos. © picture allaince/dpa/Foto: Hubert Boesl, Britta Pedersen
Sonja Eismann im Gespräch mit Carsten Beyer |
Die Veröffentlichungen über sexuelle Gewalt in der US-amerikanischen Filmindustrie reißen nicht ab, aus der Musikbranche hört man dagegen erstaunlich wenig. Dabei gibt es seit Jahren Berichte von Musikerinnen, so Sonja Eismann vom "Missy Magazin". Es würde sich nur kaum einer dafür interessieren.
Die Veröffentlichungen über sexuelle Gewalt in der amerikanischen Filmindustrie hat die Debatte #MeToo ins Laufen gebracht, und sie hält seit Wochen an. Doch obwohl die Abhängigkeitsstrukturen in der Musikbranche ähnlich wie in der männlich dominierten Filmindustrie sind, blieben Meldungen aus dem Musikbusiness im großen Umfang bisher aus. Sonja Eismann, Mitherausgeberin und Redakteurin des "Missy Magazin", sieht darin mehrere Gründe: So sei die Story, die sich um Harvey Weinstein herum entfaltet hätte, etwas, was die Öffentlichkeit allgemein lieben würde, sagte Eismann im Deutschlandfunk Kultur.

"Übergriffe im ganz banalen, grauen Alltag"

"Der extrem mächtige Mann, über 50 Frauen, die auch zu den Schönsten der Schönen gehören, die ihn anklagen. Dass es so etwas Vergleichbares eben nicht in der Musikindustrie geben kann und zum Glück auch nicht gibt – das ist ja klar! Und deswegen ist da alle Aufmerksamkeit erst einmal auf diese ganz großen Namen gerichtet. In Wirklichkeit ist es ja auch so, dass diese Übergriffe im ganz banalen, grauen Alltag genauso, wahrscheinlich noch mehr, passieren."
So gebe es in der Musikindustrie auch die Vermutung, dass alles locker, groovy und libertär sei und eine gewisse Freiwilligkeit vorauszusetzen sei. Aus Sicht von Eismann "natürlich" Unsinn. Auch hätten Musikerinnen schon lange über Missbrauch gesprochen.
"Nur, hören wir eben nicht so genau hin!"

So hat die US-amerikanische Musikerin Sheryl Crow unter dem Hashtag #Metoo als Betroffene von sexueller Gewalt getwittert. Und auch Alice Glass von der kanadischen Elektroband Chrystal Castles und Hannah Reid von London Grammar haben in der Vergangenheit von ihren Erfahrungen berichtet, so Eismann.
"Es wird immer wieder darauf verwiesen, dass in der Branche eigentlich die Verhältnisse ganz genau so sind. Zum Beispiel dieser ganz schlimme Rechtsstreit von der Musikerin Kesha, den sie mit ihrem mächtigen Produzenten Dr. Luke seit Jahren ausficht, wo sie ihm vorwürft, er habe sie unter Drogen gesetzt und vergewaltigt und seine Machtposition ausgenutzt."

"Diese Äußerungen sind alle schon da"

Auch Künstlerinnen wie Taylor Swift, die einen Journalisten wegen Grapenschens an ihren nackten Po verklagt hat, oder Grimes, die ein wütendes Manifest veröffentlicht hat, haben sich bereits zu Wort gemeldet.
"Diese Äußerungen sind alle schon da, und die waren eben auch schon vorher da und deswegen macht da niemand die ganz große Welle, weil das eigentlich schon immer präsent war und jetzt sozusagen nicht auf eine Spitze zuläuft."
Es sei sicher auch ein strukturelles Problem, dennoch möchte Sonja Eismann auch auf etwas Positives verweisen. So hätten Musikerinnen heute auch die Möglichkeit, im Gegensatz zu Schauspielerinnen, in ihren Werken ganz von sich selbst zu sprechen - und könnten darin auch von ihren persönlichen Erfahrungen berichten. Was die Musikerinnen auch schon immer tun würden. Für Eismann einer der Gründe, warum die Öffentlichkeit im Moment nicht so große Notiz davon nehmen würde.

Eine Liste mit 20 #MeToo-Liedern

"Aber wer es wissen will, kann eigentlich schon immer genau hinhören und wird auch einiges erfahren. Es gab auch jetzt im Zuge dieser #MeToo-Debatten von der tollen amerikanischen Rockjournalistin Ann Powers eine Liste, in der sie einfach 20 Lieder gepostet hat und geschrieben hat, hört zu, diese Lieder sagen eigentlich auch: Me Too. Da kommt eben auch dieses bekannte Lied von Tori Amos vor 'Me and a Gun' , wo sie über ihre eigene Vergewaltigung singt oder auch TLC 'His Story', wo es darum geht, wer hat die Macht, die Geschichten zu erzählen, Lady Gagas 'Til It Happens To You' über Vergewaltigungen im Collegemilieu. Das gibt es alles schon! Aber es ist eben nicht mit so einem Paukenschlag jetzt an die Öffentlichkeit getreten."
Ziel müsse sein, dass sexualisierte Gewalt kein Thema mehr ist, so Eismann. Aber leider ist es eben noch sehr präsent. Sie würde sich jetzt wünschen, dass auch männliche Musiker sich öffentlich dagegen aussprechen.
"Auch wenn es wichtig ist, dass Musikerinnen auch anderen Personen, denen Ähnliches wiederfahren ist, Mut machen können damit, ist es doch wichtig, die Perspektive auch ein bisschen zu verschieben: Und zwar darauf zu drängen, dass sozusagen alle anderen Akteure dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr vorkommt und nicht die Beweislast bei den Opfern liegt und die dauernd ihr Trauma wiederholen müssen und darüber sprechen müssen. Ich fände es zum Beispiel schön, wenn jetzt männliche Musiker auch ihren anderen männlichen Fans oder Musiker darauf hinweisen würden, welches Verhalten vielleicht nicht so okay ist."
(jde)
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