Sontheimer: Bundesstaatsanwalt will nur alte Urteile retten
Der Historiker und Publizist Michael Sontheimer wirft der Bundesanwaltschaft vor, im Prozess gegen die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker kein wirkliches Interesse an einer Aufklärung des Mordfalls Buback zu haben.
Katrin Heise: Ich begrüße jetzt Michael Sontheimer, Historiker und Journalist, bei der "Zeit", der "TAZ" und dem "Spiegel". Er hat sich gründlich mit der RAF auseinandergesetzt, über sie geschrieben, und jetzt aktuell zwei Verhandlungstage des Beckerprozesses auch im Gerichtssaal verfolgt. Guten Tag, Herr Sontheimer!
Michael Sontheimer: Ich grüße Sie, hallo!
Heise: Am Anfang sind Sie also auch mal hingegangen, wollten den Prozess beobachten. Hatten Sie irgendwelche Erwartungen, Hoffnungen darin?
Sontheimer: Also, ich bin hingegangen, um noch mal in diesen bizarren Saal in Stammheim zu gelangen. Und es war ja so, dass man anfangs in diesem Prozess seine Halsketten, seine Ringe, alles sowas abgeben musste, wurde dann in so eine kleine Zelle geführt wurde, wo man durchsucht wurde. Das war also sozusagen ein Déjà-vu in die 70er-Jahre, und ich habe allerdings von Anfang an keine großen Hoffnungen in den Prozess gehabt, denn warum sollte es der Bundesanwaltschaft jetzt plötzlich gelingen, diesen Fall aufzuklären? Es ist so, dass einige wenige Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der Roten-Armee-Fraktion wissen, wer Herrn Buback und seine beiden Begleiter erschossen hat, aber die haben bislang nicht gesprochen, und die werden meiner Meinung nach auch nicht sprechen. Und die sind mit Beugehaft bedroht worden und haben nicht gesprochen, und es gehört ja sozusagen zum Ehrenkodex oder zum typischen Verhalten der RAF-Leute, dass sie nicht mit Gerichten und Strafermittlern kooperieren, sondern einfach schweigen.
Heise: Sie haben den Ehrenkodex erwähnt, und wir haben eben in der kurzen Zusammenfassung auch gehört, dass es viele inzwischen gibt, die sagen, so ein Strafprozess bringt überhaupt nichts. Was müsste denn Ihrer Meinung nach getan werden, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, oder was könnte getan werden?
Sontheimer: Es gäbe meiner Meinung nach eine einzige Möglichkeit, und die würde so aussehen – die ist vorgeschlagen worden zum Beispiel auch von Carolin Emcke, das ist die Patentochter von Alfred Herrhausen, dem Bankier, der von der RAF ermordet wurde; übrigens ein Fall, der nicht aufgeklärt wurde. Man muss auch sehen, ...
Heise: ... auch ein Fall ...
Sontheimer: ... es gibt Fälle, die in keiner Weise – bei Buback ist ja so ein bisschen was klar – aber die in keiner Weise aufgeklärt wurden. Im Grunde ist das eine ungeheure Blamage, ein Skandal – eine Blamage für die Bundesanwaltschaft, für die obersten Ermittler dieses Landes, dass sie da so gescheitert sind, und deshalb müssen sie auch diesen Prozess jetzt führen. Deshalb sind sie unter Druck.
Heise: Also eher für sich, sagen Sie. Der Staat tut es eher für sich. Aber welcher Vorschlag leuchtet Ihnen denn ein, wie es besser gehen könnte?
Sontheimer: Ja, folgender Vorschlag: Man müsste den ehemaligen RAF-Leuten eine Amnestie geben, man müsste ihnen sagen: Ihr seid alle, oder Sie sind alle verurteilt worden zu lebenslang, haben irgendwie um die 20 Jahre abgesessen, damit reicht es auch, sozusagen die Sühne ist getan, und jetzt machen wir mal so nach dem Vorbild Südafrika so eine Wahrheitskommission, wo alle vorgeladen werden, wo aber auch Horst Herold, der ehemalige Chef des Bundeskriminalamtes, der die RAF bekämpft hat, vorgeladen wird oder eingeladen wird, und dann wird mal drüber gesprochen, was ist denn da wirklich passiert?
Heise: Warum glauben Sie, dass sich da Menschen wie Wisniewski oder Sonnenberg, Frau Mohnhaupt, Knut Folkerts, Christian Klar und Irmgard Möller, warum sollten die da ihr Gewissen erleichtern wollen?
Sontheimer: Ja, das ist ganz einfach, weil wenn jetzt einer von denen sagt, der hat geschossen, dann liefert er den sozusagen der Strafverfolgung, der erneuten aus, möglicherweise, und das ist sowas wie seine Freunde ... das ist ja bei allen Ganoven so, oder wenn gemeinsame Straftaten begangen werden: Man verpfeift nicht seine Freunde. Man verrät die nicht. Das ist auch noch so eine Art Restmoral, die es da gibt. Und deshalb wird nicht ausgesagt, oder die Leute müssten sich selbst belasten. Und das ist ja nun, wenn man 20 Jahre im Gefängnis gesessen hat, dann zu erwarten, dass man für die Wahrheitsfindung und für Neugierige aller Sorten hier sagt, ich war es, und dann wieder ins Gefängnis geht, ist unwahrscheinlich.
Heise: Angestrengt oder sehr interessiert natürlich an diesem Prozess sind die Angehörigen. Glauben Sie, dass es nicht eine ungeheure Ohrfeige wäre, eine Amnestie und dann so eine Art Wahrheitskommission einzurichten?
Sontheimer: Ach, der Michael Buback, mit dem ich große Sympathie habe, weil ich absolut nachvollziehen kann, dass er sagt, ich will wissen, wer meinen Vater ermordet hat, Michael Buback findet das mittlerweile auch gar nicht so unvernünftig. Der ist sehr frustriert, dass bei dem Prozess nicht das rauskommt, was er möchte, dass rauskommt. Er glaubt ja, dass Verena Becker die Mörderin war, oder ist davon überzeugt. Aber es gibt dafür keine wirklichen, stichhaltigen Beweise und Zeugen, die eine Frau gesehen haben oder eine kleine Person. Ja, Gott, es gab Brigitte Mohnhaupt, damals quasi die Chefin der RAF, die ist auch sehr klein und ist auch eine Frau, und es gibt noch andere Frauen, also das reicht alles nicht. Und das sind die Angehörigen – ja, es ist ungeheuer frustrierend, und sie sind eigentlich im Grunde die Leidtragenden. Denn die Bundesanwaltschaft, die will eigentlich nur ihre alten Urteile retten. Sie hat ja schon Leute verurteilt, und es darf nicht rauskommen, dass es andere waren. Von daher gibt es da auch eine Übereinkunft zwischen der Anklage – Bundesanwälte, die sagen, Frau Becker war da nur so am Rande beteiligt – und ihren Verteidigern, die sagen: Die Frau Becker war noch viel weniger beteiligt! Und dazwischen steht der Buback und verzweifelt.
Heise: Eindrücke aus dem Prozess in Stuttgart gegen Verena Becker, ich spreche mit Michael Sontheimer. Herr Sontheimer, eine andere Interpretation ist ja, dass die Wahrheit von staatlichen Organen unter Verschluss gehalten wird, weil Verena Becker eben eventuell schon zum Zeitpunkt der Buback-Ermordung mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet habe. Da ist der Prozess aber bisher auch nicht weitergekommen. Wird da was rauskommen?
Sontheimer: Ich glaube, da wird nichts rauskommen, weil da nichts dran ist. Aber ich betone: Ich glaube! Also, wir bewegen uns hier nicht auf dem Gebiet abgesicherter Wahrheiten. Ich glaube, dass Verena Becker nicht schon lange mit dem Verfassungsschutz kooperiert hat, und weil der Verfassungsschutz meiner Meinung nach mit einer aktiven Terroristin das nicht machen würde. Aber sie hat ja dann, als sie im Gefängnis war, kooperiert, dann sind ihre Aussagen ja nach Karlsruhe zur Bundesanwaltschaft, und sie hat konkrete Leute belastet, nämlich Herrn Wisniewski und Herrn Sonnenberg, und daraufhin wurde nicht ermittelt. Das ist der eigentliche Skandal, dass der damalige Bundesanwalt Kurt Rebmann, dass der entschieden hat: Nein, wir wollen diese ganzen Sachen lieber in Ruhe lassen und da nicht mehr ran gehen. Und nur durch den Druck jetzt – es gab eine Veröffentlichung im "Spiegel", dann kam Michael Buback – sah sich die Bundesanwaltschaft gezwungen, da noch mal mit den Ermittlungen anzufangen.
Heise: Sie haben schon erwähnt, dass für Sie auch die eigentlich Leidtragenden die Angehörigen sind, die diesen frustrierenden Prozess miterleben müssen; Berichterstatter sprechen ja im Zuge dieser ganzen Sache auch, von diesen Zeugenvernehmungen vor allem, von einer bizarren Polonaise, man bietet den Ex-Terroristen ja eigentlich tatsächlich ein Podium, ihre Standfestigkeit, den Ehrenkodex, ihr Schweigen noch mal unter Beweis zu stellen. Ist das nicht auch kontraproduktiv?
Sontheimer: Diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, empfinden es nicht als eine besondere Freude oder Ehre, jetzt in Karlsruhe noch mal öffentlich auftreten zu müssen, die setzen sich große Sonnenbrillen auf und bringen das hinter sich. Das würde ich nicht so sehen. Und ich denke, das ist nur einfach konsequent, was die machen. Und es gibt natürlich junge Leute, die so eine Art von Konsequenz – man setzt sein Leben aufs Spiel für eine höhere Sache (wie immer idiotisch die sein mag) –, das finden die nach wie vor, junge Leute, vor allen Dingen bei den ersten Andreas-Baader, Gudrun Ensslin durchaus faszinierend. Aber da kommen doch Rentner! Das hat der eine von denen gesagt, Frau Silke Maier-Witt. Die sagte auch, jetzt könnte man mal eigentlich über diese Dinge reden. Das sind ja alles Leute, die sind um die 60 inzwischen, die haben, viele von ihnen, gesundheitliche Probleme, die haben harte Zeiten im Gefängnis hinter sich, also dass die jetzt wie strahlende Helden da wirken, ist nicht der Fall.
Heise: Zeigt dieses Verfahren die Grenzen des Rechtsstaates?
Sontheimer: Ja, wobei die Grenzen des Rechtstaates bekommt man ja ständig aufgezeigt. Wenn es Leute gibt, die über ihre Taten nicht sprechen wollen, dann haben sie auch das Recht dazu; das ist ja in der Verfassung abgesichert, dieses Recht. Man kann ja niemanden unter der Folter zwingen, wie vor Fritz dem Großen, jetzt da Aussagen zu machen. Von daher kommt es immer wieder vor, dass Einzelheiten von Taten nicht aufgeklärt werden, weil da Angeklagte sagen oder Zeugen sagen, sie äußern sich nicht.
Heise: Michael Sontheimer, Historiker und Journalist. Er hat das Buch geschrieben "Natürlich kann geschossen werden – eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion". Herr Sontheimer, vielen Dank für das Gespräch!
Sontheimer: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links bei dradio.de
Todesschützin, Mittäterin oder Unschuldige? - Der Prozess gegen die Ex-RAF-Terroristin Verena Becker in Stuttgart
Buchbesprechungen: Wolfgang Kraushaar: "Verena Becker und der Verfassungsschutz" und Udo Schulze: "RAF"
Prozess gegen Verena Becker - Kommentar
Stoff für einen Polit-Thriller - Wolfgang Kraushaar glaubt im Fall Verena Becker an eine Geheimdienstaffäre
Michael Sontheimer: Ich grüße Sie, hallo!
Heise: Am Anfang sind Sie also auch mal hingegangen, wollten den Prozess beobachten. Hatten Sie irgendwelche Erwartungen, Hoffnungen darin?
Sontheimer: Also, ich bin hingegangen, um noch mal in diesen bizarren Saal in Stammheim zu gelangen. Und es war ja so, dass man anfangs in diesem Prozess seine Halsketten, seine Ringe, alles sowas abgeben musste, wurde dann in so eine kleine Zelle geführt wurde, wo man durchsucht wurde. Das war also sozusagen ein Déjà-vu in die 70er-Jahre, und ich habe allerdings von Anfang an keine großen Hoffnungen in den Prozess gehabt, denn warum sollte es der Bundesanwaltschaft jetzt plötzlich gelingen, diesen Fall aufzuklären? Es ist so, dass einige wenige Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der Roten-Armee-Fraktion wissen, wer Herrn Buback und seine beiden Begleiter erschossen hat, aber die haben bislang nicht gesprochen, und die werden meiner Meinung nach auch nicht sprechen. Und die sind mit Beugehaft bedroht worden und haben nicht gesprochen, und es gehört ja sozusagen zum Ehrenkodex oder zum typischen Verhalten der RAF-Leute, dass sie nicht mit Gerichten und Strafermittlern kooperieren, sondern einfach schweigen.
Heise: Sie haben den Ehrenkodex erwähnt, und wir haben eben in der kurzen Zusammenfassung auch gehört, dass es viele inzwischen gibt, die sagen, so ein Strafprozess bringt überhaupt nichts. Was müsste denn Ihrer Meinung nach getan werden, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, oder was könnte getan werden?
Sontheimer: Es gäbe meiner Meinung nach eine einzige Möglichkeit, und die würde so aussehen – die ist vorgeschlagen worden zum Beispiel auch von Carolin Emcke, das ist die Patentochter von Alfred Herrhausen, dem Bankier, der von der RAF ermordet wurde; übrigens ein Fall, der nicht aufgeklärt wurde. Man muss auch sehen, ...
Heise: ... auch ein Fall ...
Sontheimer: ... es gibt Fälle, die in keiner Weise – bei Buback ist ja so ein bisschen was klar – aber die in keiner Weise aufgeklärt wurden. Im Grunde ist das eine ungeheure Blamage, ein Skandal – eine Blamage für die Bundesanwaltschaft, für die obersten Ermittler dieses Landes, dass sie da so gescheitert sind, und deshalb müssen sie auch diesen Prozess jetzt führen. Deshalb sind sie unter Druck.
Heise: Also eher für sich, sagen Sie. Der Staat tut es eher für sich. Aber welcher Vorschlag leuchtet Ihnen denn ein, wie es besser gehen könnte?
Sontheimer: Ja, folgender Vorschlag: Man müsste den ehemaligen RAF-Leuten eine Amnestie geben, man müsste ihnen sagen: Ihr seid alle, oder Sie sind alle verurteilt worden zu lebenslang, haben irgendwie um die 20 Jahre abgesessen, damit reicht es auch, sozusagen die Sühne ist getan, und jetzt machen wir mal so nach dem Vorbild Südafrika so eine Wahrheitskommission, wo alle vorgeladen werden, wo aber auch Horst Herold, der ehemalige Chef des Bundeskriminalamtes, der die RAF bekämpft hat, vorgeladen wird oder eingeladen wird, und dann wird mal drüber gesprochen, was ist denn da wirklich passiert?
Heise: Warum glauben Sie, dass sich da Menschen wie Wisniewski oder Sonnenberg, Frau Mohnhaupt, Knut Folkerts, Christian Klar und Irmgard Möller, warum sollten die da ihr Gewissen erleichtern wollen?
Sontheimer: Ja, das ist ganz einfach, weil wenn jetzt einer von denen sagt, der hat geschossen, dann liefert er den sozusagen der Strafverfolgung, der erneuten aus, möglicherweise, und das ist sowas wie seine Freunde ... das ist ja bei allen Ganoven so, oder wenn gemeinsame Straftaten begangen werden: Man verpfeift nicht seine Freunde. Man verrät die nicht. Das ist auch noch so eine Art Restmoral, die es da gibt. Und deshalb wird nicht ausgesagt, oder die Leute müssten sich selbst belasten. Und das ist ja nun, wenn man 20 Jahre im Gefängnis gesessen hat, dann zu erwarten, dass man für die Wahrheitsfindung und für Neugierige aller Sorten hier sagt, ich war es, und dann wieder ins Gefängnis geht, ist unwahrscheinlich.
Heise: Angestrengt oder sehr interessiert natürlich an diesem Prozess sind die Angehörigen. Glauben Sie, dass es nicht eine ungeheure Ohrfeige wäre, eine Amnestie und dann so eine Art Wahrheitskommission einzurichten?
Sontheimer: Ach, der Michael Buback, mit dem ich große Sympathie habe, weil ich absolut nachvollziehen kann, dass er sagt, ich will wissen, wer meinen Vater ermordet hat, Michael Buback findet das mittlerweile auch gar nicht so unvernünftig. Der ist sehr frustriert, dass bei dem Prozess nicht das rauskommt, was er möchte, dass rauskommt. Er glaubt ja, dass Verena Becker die Mörderin war, oder ist davon überzeugt. Aber es gibt dafür keine wirklichen, stichhaltigen Beweise und Zeugen, die eine Frau gesehen haben oder eine kleine Person. Ja, Gott, es gab Brigitte Mohnhaupt, damals quasi die Chefin der RAF, die ist auch sehr klein und ist auch eine Frau, und es gibt noch andere Frauen, also das reicht alles nicht. Und das sind die Angehörigen – ja, es ist ungeheuer frustrierend, und sie sind eigentlich im Grunde die Leidtragenden. Denn die Bundesanwaltschaft, die will eigentlich nur ihre alten Urteile retten. Sie hat ja schon Leute verurteilt, und es darf nicht rauskommen, dass es andere waren. Von daher gibt es da auch eine Übereinkunft zwischen der Anklage – Bundesanwälte, die sagen, Frau Becker war da nur so am Rande beteiligt – und ihren Verteidigern, die sagen: Die Frau Becker war noch viel weniger beteiligt! Und dazwischen steht der Buback und verzweifelt.
Heise: Eindrücke aus dem Prozess in Stuttgart gegen Verena Becker, ich spreche mit Michael Sontheimer. Herr Sontheimer, eine andere Interpretation ist ja, dass die Wahrheit von staatlichen Organen unter Verschluss gehalten wird, weil Verena Becker eben eventuell schon zum Zeitpunkt der Buback-Ermordung mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet habe. Da ist der Prozess aber bisher auch nicht weitergekommen. Wird da was rauskommen?
Sontheimer: Ich glaube, da wird nichts rauskommen, weil da nichts dran ist. Aber ich betone: Ich glaube! Also, wir bewegen uns hier nicht auf dem Gebiet abgesicherter Wahrheiten. Ich glaube, dass Verena Becker nicht schon lange mit dem Verfassungsschutz kooperiert hat, und weil der Verfassungsschutz meiner Meinung nach mit einer aktiven Terroristin das nicht machen würde. Aber sie hat ja dann, als sie im Gefängnis war, kooperiert, dann sind ihre Aussagen ja nach Karlsruhe zur Bundesanwaltschaft, und sie hat konkrete Leute belastet, nämlich Herrn Wisniewski und Herrn Sonnenberg, und daraufhin wurde nicht ermittelt. Das ist der eigentliche Skandal, dass der damalige Bundesanwalt Kurt Rebmann, dass der entschieden hat: Nein, wir wollen diese ganzen Sachen lieber in Ruhe lassen und da nicht mehr ran gehen. Und nur durch den Druck jetzt – es gab eine Veröffentlichung im "Spiegel", dann kam Michael Buback – sah sich die Bundesanwaltschaft gezwungen, da noch mal mit den Ermittlungen anzufangen.
Heise: Sie haben schon erwähnt, dass für Sie auch die eigentlich Leidtragenden die Angehörigen sind, die diesen frustrierenden Prozess miterleben müssen; Berichterstatter sprechen ja im Zuge dieser ganzen Sache auch, von diesen Zeugenvernehmungen vor allem, von einer bizarren Polonaise, man bietet den Ex-Terroristen ja eigentlich tatsächlich ein Podium, ihre Standfestigkeit, den Ehrenkodex, ihr Schweigen noch mal unter Beweis zu stellen. Ist das nicht auch kontraproduktiv?
Sontheimer: Diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, empfinden es nicht als eine besondere Freude oder Ehre, jetzt in Karlsruhe noch mal öffentlich auftreten zu müssen, die setzen sich große Sonnenbrillen auf und bringen das hinter sich. Das würde ich nicht so sehen. Und ich denke, das ist nur einfach konsequent, was die machen. Und es gibt natürlich junge Leute, die so eine Art von Konsequenz – man setzt sein Leben aufs Spiel für eine höhere Sache (wie immer idiotisch die sein mag) –, das finden die nach wie vor, junge Leute, vor allen Dingen bei den ersten Andreas-Baader, Gudrun Ensslin durchaus faszinierend. Aber da kommen doch Rentner! Das hat der eine von denen gesagt, Frau Silke Maier-Witt. Die sagte auch, jetzt könnte man mal eigentlich über diese Dinge reden. Das sind ja alles Leute, die sind um die 60 inzwischen, die haben, viele von ihnen, gesundheitliche Probleme, die haben harte Zeiten im Gefängnis hinter sich, also dass die jetzt wie strahlende Helden da wirken, ist nicht der Fall.
Heise: Zeigt dieses Verfahren die Grenzen des Rechtsstaates?
Sontheimer: Ja, wobei die Grenzen des Rechtstaates bekommt man ja ständig aufgezeigt. Wenn es Leute gibt, die über ihre Taten nicht sprechen wollen, dann haben sie auch das Recht dazu; das ist ja in der Verfassung abgesichert, dieses Recht. Man kann ja niemanden unter der Folter zwingen, wie vor Fritz dem Großen, jetzt da Aussagen zu machen. Von daher kommt es immer wieder vor, dass Einzelheiten von Taten nicht aufgeklärt werden, weil da Angeklagte sagen oder Zeugen sagen, sie äußern sich nicht.
Heise: Michael Sontheimer, Historiker und Journalist. Er hat das Buch geschrieben "Natürlich kann geschossen werden – eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion". Herr Sontheimer, vielen Dank für das Gespräch!
Sontheimer: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links bei dradio.de
Todesschützin, Mittäterin oder Unschuldige? - Der Prozess gegen die Ex-RAF-Terroristin Verena Becker in Stuttgart
Buchbesprechungen: Wolfgang Kraushaar: "Verena Becker und der Verfassungsschutz" und Udo Schulze: "RAF"
Prozess gegen Verena Becker - Kommentar
Stoff für einen Polit-Thriller - Wolfgang Kraushaar glaubt im Fall Verena Becker an eine Geheimdienstaffäre