Sophie Schönberger über "Was heilt Kunst?"

Plädoyer für klarere Regeln bei der Restitution

14:20 Minuten
Das Cover von Sophie Schönbergers "Was heilt Kunst?", im Hintergrund eine orangene Fläche.
Die Juristin Sophie Schönberger fordert ein Gesetz, das klare Voraussetzungen für Restitutionsansprüche festlegt. © Wallstein Verlag/ Montage: Deutschlandradio
Moderation: Maike Albath |
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Die Juristin Sophie Schönberger kritisiert in "Was heilt Kunst?" den Umgang mit Restitutionsforderungen. NS-Opfer und ihre Erben seien bisher vor allem auf Moral-Entscheidungen angewiesen. Diese seien weniger vorhersehbar als klare rechtliche Regeln.
Maike Albath: Während des Nationalsozialismus wechselten Gemälde häufig ihre Besitzer, und oft passierte dies nicht freiwillig. Jüdische Sammler wurden enteignet oder gezwungen, ihre Bilder zu schlechten Bedingungen zu verkaufen.
Die Juristin Sophie Schönberger, Professorin an der Universität Düsseldorf, hat eine umfangreiche Studie über die Rückgabe von Kunstwerken als Mittel der Vergangenheitspolitik vorgelegt. "Was heilt Kunst?" heißt ihr Buch. Wie ist das bei Bildern? Haben die etwas ganz Besonderes, etwas, das auch aufgeladen werden kann, das auch etwas mit Identität zu tun hat?
Schönberger: Genau so ist es, und auch nur das erklärt, warum wir heute immer noch so intensiv über die Rückgabe von Bildern diskutieren, während niemand mehr danach fragt, wie ist es eigentlich mit den Immobilien, wie ist es mit den Wertpapieren, wie ist es mit den Unternehmen, ist da alles zurückgegeben worden? Bilder stehen ja nie für sich ganz alleine, sondern weisen immer sich hinaus, sie erzählen eine Geschichte, sie eröffnen Assoziationsräume, sie sind Projektionsfläche für ganz verschiedene Formen von Identitätskonstruktion.
Das können individuelle Identitätskonstruktionen sein, eigene Erlebnisse, Familiengeschichten, die ich mit diesen Bildern assoziiere, das können kollektive Identitätsgeschichten sein, diese ganze Debatte um national wertvolles Kulturgut, die in den letzten Jahren noch mal verstärkt geführt worden ist, verweist darauf. Deswegen sind Bilder immer sehr viel mehr als nur das, was sie oberflächlich darstellen, und das ist genau das, was sie so besonders macht für diesen Restitutionsprozess, gerade als umfassende Form der Wiedergutmachung.

Restitution wird noch sehr formal begründet

Albath: Das heißt, sie haben auch eine ganz bestimmte Rolle in der Auseinandersetzung, und Sie nennen es ja dann ein Mittel der Vergangenheitspolitik. Welchen Effekt kann das denn haben sowohl für die Geschädigten oder deren Erben als auch für diejenigen, die es dann zurückgeben? Ist das ein positiver Effekt?
Schönberger: Das kommt tatsächlich sehr drauf an, wie man diesen Rückgabeprozess gestaltet. Das ist etwas, was meiner Meinung nach im Moment noch nicht hinreichend passiert. Im Moment wird teilweise sehr formal argumentiert mit einem vermeintlich formal weiterexistierenden Eigentum, das so formal gar nicht juristisch weiter existiert, und es wird so getan, als würde man einfach nur dem Eigentümer das zurückgeben, was ihm gehört.
Das ist in Wirklichkeit nicht so, weil die Eigentümer in aller Regel gar nicht mehr da sind, weil sie nicht mehr leben, entweder weil sie schon die Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr überlebt haben oder aber mittlerweile einfach verstorben sind durch den langen Zeitablauf, und darüber hinaus ist durch den Zeitablauf so viel mit den Bildern passiert, dass häufig auch jemand anderes tatsächlich formaljuristisch das Eigentum erworben hat.
Das heißt, es geht nicht darum, einen Zustand wiederherzustellen, der eigentlich natürlicherweise da sein müsste, sondern wenn heute Bilder zurückgegeben werden, dann kann ich das im Grunde nur erklären als einen bewussten Akt, als eine bewusste Entscheidung, dass ich durch diese Rückgabe das begangene Unrecht wiedergutmachen möchte und dass ich es nach so langer Zeit noch wiedergutmachen möchte, weil es so unvorstellbar groß war. Das kann aber nur funktionieren, wenn ich das Bild nicht einfach zurückgebe und sage, so, hier, nimm es, dann bin ich das Problem los, also so wie eine heiße Kartoffel, die ich loswerden möchte.
Das ist dann keine Maßnahme der Wiedergutmachungspolitik, sondern das ist dann nur ein Sich-frei-Zeichnen. Das heißt, als Wiedergutmachungspolitik kann es nur funktionieren, wenn ich mich bewusst entscheide zu sagen, es gibt zwar im Moment keine entsprechende Verpflichtung, das zu tun, ich entscheide mich aber dazu, diese Bilder zurückzugeben, weil ich der Meinung bin, dass das die gerechtere Lösung ist, und weil ich es als Akt der Wiedergutmachung in die Hände heute vor allen Dingen der Erben wieder zurückgeben möchte.

"Moral ist in erster Linie etwas Individuelles"

Albath: Da kommt es zu einem sehr interessante Zusammenspiel auch von moralischen Verpflichtungen, denn so wie Sie es jetzt geschildert haben, könnte es ja auch so sein, dass es nur entlastend ist für denjenigen, der es zurückgibt. Sie haben sich ja auch mit dieser gesetzlichen Lage beschäftigt. Können Sie uns noch mal ein bisschen erklären, wie da das Zusammenspiel ist zwischen Moral und Gesetz? So lautet ja auch eine Kapitelüberschrift.
Schönberger: Genau, also im Moment ist es so, dass die rechtlichen Vorschriften für diese Rückgabe nicht mehr greifen, und wenn heute Rückgaben erfolgen, man sich im Wesentlichen auf moralische Maßstäbe beruft. Das kann man sehr gut sehen an der Limbach-Kommission, der Institution des Bundes, die geschaffen wurde, um entsprechende Streitigkeiten zu schlichten, die explizit sagt, sie fällen keine juristischen Entscheidungen, sondern sie geben ethisch-moralische Empfehlungen.
Aber so schlecht der Ruf des Rechts manchmal ist und so hell und strahlend die Moral im Vergleich dazu manchmal aussieht, Dinge, die man nur aufgrund moralischer Prinzipien entscheidet, haben einen großen Nachteil, weil moralische Prinzipien deutlich weniger klar, deutlich individueller und deutlich weniger vorhersehbar und auch deutlich weicher sind als klare rechtliche Maßstäbe.
Moral ist, auch wenn man manchmal einen anderen Eindruck haben möchte, nichts Universelles, sondern ist in erster Linie mal etwas Individuelles, und deswegen führt es zu großen Unsicherheiten, wenn ich mich immer nur auf die Moral berufe. Das führt zum Beispiel dazu, dass in den letzten Jahren gerade zum Beispiel diese Empfehlungen der Limbach-Kommission, also dieses ethisch-moralischen Gremiums, zunehmend von den heutigen Erben und Anspruchstellern nicht mehr akzeptiert werden, sondern gerade die Auseinandersetzung auf rechtlicher Ebene gesucht wird und dann so, dass die Erben jetzt zunehmend Klagen in den USA erheben, wo es den Rechtsweg gibt.

Bundestag sollte klare Regeln schaffen

Albath: Was sollte der Bundestag tun?
Schönberger: Meiner Meinung nach wäre es die beste Möglichkeit, wenn der Bundestag sich mit dem Thema auseinandersetzt und eine entsprechende gesetzliche Regelung schaffen würde, in der er zum einen für die heutigen Erben und die Anspruchsstelle ganz klare Regeln schafft und ihnen klarmacht, unter welchen Voraussetzungen Ansprüche bestehen und wann Ansprüche nicht bestehen, in denen er zum anderen auch klare Verfahren schafft, in denen die heutigen Erben nicht als Bittsteller auftauchen müssen, sondern wirklich als Anspruchsteller und sagen, wir haben einen Anspruch, wir müssen das nicht erbitten, sondern der Gesetzgeber hat uns das Recht dazu gegeben, diese Dinge zurückzufordern.
Zum Dritten würde ein entsprechendes Gesetz im Bundestag auch tatsächlich ein großer symbolischer Akt sein, um das Unrecht noch einmal anzuerkennen, um diese Wiedergutmachung bewusst als Maßnahme des demokratischen Gesetzgebers auszugestalten, denn ironischerweise hat der bundesrepublikanische Gesetzgeber bis heute nie eine entsprechende Wiedergutmachungsentscheidung getroffen. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren lag die Entscheidung bei den Alliierten, weil die deutschen Autoritäten da sehr skeptisch waren, und für die Phase der Wiedervereinigung wurde die entsprechende gesetzliche Entscheidung noch von der Volkskammer der DDR getroffen.
(Bei der Abschrift handelt es sich um eine gekürzte Sendefassung.)
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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