Sophie Sumburane: "Tote Winkel"

Verbrechen im Verborgenen

03:38 Minuten
Das Cover von Sophie Sumburane, "Tote Winkel". Es zeigt den Kopf eines Menschen von hinten, der seine langen Haare zu einem Zopf gebunden hat.
© Edition Nautilius

Sophie Sumburane

Tote Winkel Edition Nautilius, Hamburg 2022

198 Seiten

18,00 Euro

Von Sonja Hartl |
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Ich bin alles, was der Fall ist: Sophie Sumburane hat mit „Tote Winkel“ einen fein gesponnenen Kriminalroman über Trauma, Traumatisierung und sexuelle Gewalt geschrieben.
Ein Anruf bringt Valentina Zinnows sorgsam aufgeräumte Welt völlig durcheinander: Ihr Ehemann wurde festgenommen, weil er eine andere Frau vergewaltigt haben soll. Auf dem Polizeirevier stellt Valentina fest, dass diese andere Frau eine frappierende Ähnlichkeit mit ihr hat – „was sie mir da zeigten, schien ein Foto von mir selbst zu sein. Mit blauem Auge und Blut an der Lippe“.
Allein aufgrund dieser Ausgangssituation glaubt man zu wissen, was in Sophie Sumburanes komplexen psychologischen Vexierspiel „Tote Winkel“ passieren wird. Aber genau das passiert nicht. Vielmehr spielt Sumburane geschickt mit Wahrnehmungen und Erwartungen, mit Lesegewohnheiten und bekannten Erzählmustern des Thrillers.

Eine Vergewaltigung reißt Lebenslügen ein

Das gelingt ihr vor allem, indem Valentina nur eine der Perspektiven in diesem Roman gehört. Die zweite gehört Katja Sziboula, der Frau, die von Valentinas Ehemann vergewaltigt wurde, und die durch diese Tat schwer traumatisiert ist. Sie ist mit Kay Sziboula verheiratet, einer Linguistikkoryphäe mit Professur in Potsdam, geboren im Kongo, aufgewachsen in Südafrika. Kay hat die dritte Erzählperspektive. Es geht daher in „Tote Winkel“ viel weniger um die Tat als vielmehr ihre Folgen auf die sorgsam errichteten Leben. Sie reißt Lebenslügen ein und bringt neue Blickwinkel ins Bewusstsein.

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Schuld und Unschuld sind in diesem fein und säuberlich gespannten Handlungsnetz zu einfache Kategorien – ohnehin kommt man mit den gängigen Dichotomien vieler Kriminalromane nicht sehr weit. Sophie Sumburane arbeitet mit Symbolen und Assoziationen. Oftmals beginnen die Erzählungen der drei Figuren mit demselben Halbsatz – „und wenn ich nicht allein war“ oder im besten Kapitel des gesamten Romans „Wenn du dich traust, zu vertrauen“ – und danach entfalten sich ganz verschiedene Kindheiten, Bedürfnisse, Erfahrungen und Erlebnisse.

Verzicht auf die Täterspektive

„Tote Winkel“ ist ein eindrucksvolles Buch über Trauma und Traumatisierung, über Sexualität und Gewalt, in dem die beiden Perspektiven fehlen, die insbesondere in der Kriminalliteratur oft zu finden sind: die des Täters und der Polizisten. Nicht um sie geht es – wir wissen doch eh, was in ihnen vorgeht – sondern um diejenigen, die von ihren Taten betroffen sind und mit ihnen leben müssen.
Der Fall ist glasklar in diesem Roman: die Vergewaltigung, und über die Identität des Täters gibt es keine Zweifel. Es geht auch nicht um das oft bemühte Warum oder Wie. Stattdessen ist diese Vergewaltigung nur die eine Tat, die am Anfang steht. Aber es gibt so viele andere Verbrechen, die im Verborgenen geschehen und niemals geahndet werden. In „Tote Winkel“ entdeckt man sie.
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