Sorge in den Pariser Banlieues

Französische Muslime unter Generalverdacht

Von Margit Hillmann |
Seit den Attentaten in Paris gucken die Franzosen noch misstrauischer auf die Jugendlichen der Banlieues. Die Vororte gelten als Nährboden des radikalen Islam. Junge Menschen in Drancy, wo einer der Attentäter gelebt hat, reagieren empört.
Sandfarbene Gebäude, nur fünf Stockwerke hoch, die kleinen Grünanlagen sind gepflegt.
Auf einer fensterlosen Außenmauer prangt die überdimensionale Kopie eines berühmten Gemäldes von Eugène Delacroix von 1830: Eine blasse, barbusige Marianne schwenkt heroisch die blau-weiß-rote Trikolore auf dem Schlachtfeld der französischen Revolution.
Auf dem kleinen Spielplatz davor sitzt eine junge Mutter auf der Bank. Sie sieht ihren beiden Kindern zu, die eine gelbe Blechrutsche hochklettern. Fatima wohnt in einem der hinteren Gebäude. Sie kann nicht begreifen, sagt sie, warum junge Muslime wie Samy Amimour sich dem IS anschließen, sich gegen ihre eigenen Leute richten, das eigene Land bekämpfen:
"Ich bin auch Muslimin, aber in Frankreich geboren. Wie viele der Terroristen: Franzosen, muslimischer Herkunft. Sie sind doch hier aufgewachsen, nicht in einem verlorenen Dorf im Maghreb! Für mich gibt es da ein echtes Problem, das ist doch nicht normal?!"
Die französisch-algerische Familie des Attentäters - seine Eltern und zwei Schwestern - wurden nach dem Attentat verhaftet, ihre Wohnung im dritten Stock versiegelt. Ganz normale Leute, keine radikalen Muslime, hat Fatima von ihren Nachbarn gehört. Und dass Samy Amimour, der im Bataclan seinen Sprengstoffgürtel gezündet hat, ein unauffälliger und netter Typ gewesen sei - immer höflich.
Glaubt sie, dass es in der Banlieue so etwas wie Sympathie für die Dschihadisten gibt?
"Nein, Sympathie für die Dschihadisten, das glaube ich nicht. Die meisten Muslime sind gegen sie! Aber es gibt wohl auch Muslime, die das Gegenteil denken. Aber die sagen das natürlich nicht. Solche Leute gibt es, aber nicht viele."
"Wir sind dagegen. Das ist nicht gut."
Von einem der Wohnblöcke dringen Stimmen herüber. Ein junger Schwarzer lehnt sich aus einem Fenster im vierten Stock. Er unterhält sich mit ein paar Teenagern, die an einem offenen Erdgeschossfenster im gegenüberliegenden Gebäude stehen. Sie sind sechzehn, siebzehn Jahre alt. Ich frage sie, ob sie mit mir sprechen wollen...
"Das kostet!", antwortet einer von ihnen - weißes T-shirt mit der Aufschrift "Qatar Air". Aber sein großer schlaksiger Freund fährt dazwischen: Kein Problem, sagt er. Youssef ist sein Vorname. Er befreit seinen Kopf aus der großen Sweatshirt-Kapuze, wartet auf meine Frage. Ich stelle sie direkt: Sind sie für die Dschihadisten und ihre Attentate? "Non, mais non!" Er sieht seine Kumpel fragend an. Sie schütteln die Köpfe.
"Wir sind dagegen. Das ist nicht gut. Und die meisten Leute hier sind auch intelligent genug. Sie wissen, dass die Attentäter keine Muslime sind. Dass die Attentate nichts mit Glauben zu tun haben."
Aber wahrscheinlich werden die Franzosen jetzt wieder alles vermischen, beschwert sich der 17-Jährige, dessen Eltern aus Marokko stammen. Wenn in den Medien vom " ennemie d'interieur " - vom inneren Feind - die Rede ist, denken sie sofort an junge Muslime aus den Banlieues, glaubt Youssef. Bei der Jobsuche werde ihm das aktuelle Klima im Land ganz sicher nicht helfen.
"Wenn Sie einen Job suchen und der Chef hat die Wahl zwischen Jean-Luc und den Araber Mohamed - dann nimmt er eher Jean-Luc. Das wird jetzt noch öfter so sein."
Auf einer Querstraße kommen mir drei junge Frauen entgegen. Sie tragen lange Kleider. Ihre streng gebundenen Kopftücher reichen bis über die Schultern. Nur ein kleines Oval ihrer gutgelaunten Gesichter ist sichtbar.
Der Rechtfertigungsdruck auf Muslime wächst wieder
Als ich sie nach dem Attentäter aus ihrem Viertel frage, verschwindet schlagartig das freundliche Lächeln aus ihren Gesichtern, der Ton ist schneidend.
"Die muslimische Religion ist für Frieden. Deswegen sind wir gegen so etwas. Und deswegen gehen wir jetzt auch weiter."
Schließlich lassen sie sich doch auf ein kurzes Gespräch ein.
"Uns nervt, dass man sich rechtfertigen muss. Wir sind entsetzt über die Attentate. Aber wenn uns Leute danach fragen oder darüber gesprochen wird, sind wir gezwungen, entsetzter zu sein als alle anderen. Verstehen Sie? Weil wir Musliminnen sind, müssen wir immer wieder sagen, wie abscheulich wir das alles finden."
Aber die Attentate vom 13. November haben auch wachgerüttelt, sagt eine der Frauen. Junge Muslime, die noch nicht begriffen hatten, wer die IS-Dschihadisten wirklich sind: Gewissenlose Verbrecher, die kein Recht haben, sich auf den Islam zu berufen. Ihre Freundinnen nicken. Dann wünschen sie mit ernsten Gesichtern noch einen schönen Nachmittag, verschwinden in einem Hauseingang der ruhigen Siedlung.
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