Sotschi

Ein kurzlebiges Wintermärchen

Das Rosa Khutor Alpine Resort bei Sotschi - vor den Olympischen Spielen 2014
In wenigen Tagen beginnen die Olympischen Spiele in Sotschi. © dpa / picture alliance / Filip Singer
Von Andreas Zecher · 29.01.2014
Vor den Medaillen haben in Sotschi erst einmal die Baukosten, die Sicherheit, die Toleranz und die sozialen Folgen für Gesprächsstoff gesorgt. Ein wenig fühlt sich der Journalist Andreas Zecher an alte Zeiten erinnert, wenn er sieht, was früher Propaganda und heute Marketing genannt wird.
Sie werden wunderschön sein, die Bilder von den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Bilder von spannenden Wettkämpfen im Schnee und auf Eis, aber auch von einem Land, in dem es sich gut leben lässt, mitunter idyllisch, wie im Holzhaus der drei Maskottchen Eisbär, Leopard und Hase. Die Gastgeber werden ein modernes russisches Wintermärchen in Szene setzen.
Wer in der DDR aufwuchs, kennt die Machart zur Genüge. Auf schönen Bildern gepaart mit reichlich Eigenlob stellte sich schon die Sowjetunion gern zur Schau. Und die Ostberliner Propaganda geizte nicht mit Euphorie, wenn es galt, Worte für die Verbundenheit mit dem Brudervolk zu finden. Worte, die die DDR-Bürger zur Freundschaft mit der Sowjetunion verpflichteten.
Russland hat viele schöne Seiten. Und keinem Russen ist zu verdenken, wenn der Zauber des olympischen Wintermärchens ihn zum Schwärmen über seine geliebte Heimat bringt. Filme, Bilder, Bücher und Gedichte preisen ihre Schönheit, erst recht, wenn der Alltag in ihr gänzlich anders ist – nämlich hart und unwirtlich.
Dem wirklichen Leben begegnete der Reisende auch damals nicht. Der Urlauber aus der DDR, dem es vergönnt war, die Sowjetunion zu besuchen, kam in Tourismusgebiete, die gleichermaßen abgegrenzt wie aufgehübscht waren.
Daheim prägte die Rote Armee das Bild vom Sowjetmenschen. Es waren "unsere Freunde", die übermüdet mit dem Lkw gegen die Hauswand fuhren, deren Kettenfahrzeuge die Straßen ruinierten oder deren Panzer auf den Schienen der Fernbahn "parkten". So wurde das offizielle Pathos von Brüderlichkeit und Freundschaft entzaubert.
Sotschi steht nicht für widersprüchliche Wirklichkeit Russlands
Denn Freunde waren sie ja gerade nicht. Sie waren eine bis an die Zähne bewaffnete Besatzungsmacht. Kinder winkten den Soldaten manchmal zu. Erwachsene wussten, dass mit den "Freunden" nicht zu spaßen war. Wer sie an politischen Festtagen besuchen durfte, wurden bewacht dorthin geführt, wo gefeiert werden sollte, zeitlich begrenzt und gewollt unbeschwert.
Dass die Soldaten hinter den nachlässig getünchten Mauern ihrer Kasernen ein bedauernswertes Dasein fristeten, war ein offenes Geheimnis. Im mecklenburgischen Neustrelitz hörten Anwohner nachts die Schreie gequälter Rekruten. Und nicht wenige erfuhren vom schlimmen Schicksal jener Männer, die durch Fahnenflucht versuchten, den Drangsalen zu entkommen.
Nun, da die Rotarmisten schon lange abgezogen sind, wird angstfrei darüber gesprochen. In Moskau prangern Soldatenmütter öffentlich die Quälereien an, die ihre Söhne ertragen müssen. Dieses Aufbegehren gegen die brutale Hackordnung vom General hinab zum Rekruten, die manch jungen Mann in den Selbstmord treibt, reiht sich ein in die Protestaktionen gegen gesellschaftliche Missstände. Mutige Bürgerrechtler, die sie öffentlich machen, beeindrucken durch ihre Zivilcourage.
Heute können wir nach Belieben reisen. Wir sind übers Internet miteinander verbunden. Frei und ungezwungen könnten wir echte russische Freunde finden, wenn wir es denn wünschten. Sie würden uns vom wirklichen Leben in einem Land erzählen, das sie lieben und das sie zugleich enttäuscht, weil es weiterhin nicht den Bildern entspricht, die uns die Propaganda weiß machen will.
Weiß ist oberhalb von Sotschi nur der Schnee. Er bedeckt die Idylle im olympischen Holzhaus, in dem so verschiedenartige Wesen, wie Eisbär, Leopard und Hase harmonisch miteinander leben. Das ist ein zweifellos schönes Werbemotiv. Es steht aber nur für ein kurzlebiges Wintermärchen. Es steht nicht für die äußerst widerspruchsvolle Wirklichkeit Russlands.
Dr. Andreas Zecher, Jahrgang 1953, ist Journalist und Autor. Er lebt in der Nähe von Rostock. Mehr als 20 Jahre berichtete er für den in Neubrandenburg erscheinenden "Nordkurier" aus der nordöstlichen Küstenregion. Zuletzt erschienen: "Heute ein Frosch - morgen ein König: Verrückte Geschichten aus Mecklenburg-Vorpommern" (Magma Verlag).
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Andreas Zecher© privat
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