Punk wurde im London der Siebzigerjahre geboren, House und Techno haben ihre Wurzeln in Detroit, und der wütende Sound des Grunge stammt aus Seattle: Viele Sounds der populären Musik sind untrennbar mit bestimmten Städten verbunden. Andere Orte haben ebenso ihren Beitrag zur Popmusikgeschichte geleistet, ohne dass sie dafür berühmt wurden: Wie klingt die Musik von Antwerpen, wie das popmusikalische Stockholm, was ist der Sound von Köln? Philipp Krohn und Ole Löding portraitieren in unserer Reihe "Sound Of The Cities" zehn bekannte und weniger bekannte Musik-Städte. Sie lassen Musiker, Plattenhändler, Club-Betreiber und Journalisten Musik-Geschichten und Musik-Geschichte erzählen, auf der Suche nach dem Klang der Städte, von Antwerpen bis Austin, von Glasgow bis Wien.
Musikalische Grenzerkundung in Düsseldorf
Düsseldorf ist der Geburtsort der modernen elektronischen Musik, denn von hier aus traten Kraftwerk ihren Siegeszug um die Welt an. Zugleich kam es zu einer fruchtbaren Verbindung zwischen Kunst- und Punkszene, was zu Bands wie DAF oder Fehlfarben führte.
Als die Düsseldorfer Band Kraftwerk mit ihrem Song "Autobahn" 1975 die internationalen Charts erobert, ist nichts mehr wie zuvor: Der experimentelle Krautrock, der vorher aus Deutschland kam, ist am Ende. Der neue deutsche Sound ist elektronisch, melodiös und cool.
Kinderliedhafte Melodien, Maschinenästhetik, Computerstimmen. Kraftwerk inspirieren den modernen Synthesizer-Pop ebenso wie den Techno. Ihre Beats dienen dem Hip-Hop als Vorlage, ihr Minimalismus dem Postrock.
Schon als Ende der 60er-Jahre Florian Schneider und Ralf Hütter von Kraftwerk die Vorgängerband Organisation gründen, ist Düsseldorf ein Ort der Grenzüberschreitungen.
An der Kunstakademie testen Joseph Beuys und seine Schüler die Grenzen der etablierten Bildhauerei aus. Jörg Immendorff und Martin Kippenberger suchen nach alternativen Kunstformen. Das Experiment wird für Künstler unterschiedlicher Genres zum Selbstverständnis.
"Aber das war das Selbstbewusstsein, einfach irgendwas Eigenes machen und dann loslegen. Und nicht diskutieren oder besprechen, sondern Versuch und Irrtum."
Ende der 70er bricht die Punk-Revolution aus
Michael Rother gründet NEU!, beeinflusst von der Musik des indischen Subkontinents, die er in seiner Jugend kennengelernt hat. NEU! werden für ihren hypnotisierenden Sound gefeiert. David Bowie ist einer ihrer größten Fans. Ende der 70er-Jahre aber bricht auch in Düsseldorf die Punkrevolution aus – die hier eine besonders interessante Entwicklung nimmt.
In der Altstadtkneipe "Ratinger Hof" vermischen sich Kunst und Musik. Künstler wie Markus Oehlen arbeiten an der Kunstakademie und spielen gleichzeitig in Punkbands wie Mittagspause. Gabi Delgado, ebenfalls kurzzeitig Mitglied von Mittagspause und später Frontmann der Elektropunkband DAF, erinnert sich:
"Auf der einen Seite gab es den Ratinger Hof und die Punks und auf der anderen Seite gab es den Beuys und die Kunstakademie Düsseldorf. Diese Künstler haben sich interessiert für die Punks, die dachten: Was ist denn das? Das war diese Wechselwirkung."
Dann entdecken die Düsseldorfer Punks den Synthesizer. Der Ratinger Hof wird zum Brennpunkt der deutschen New-Wave-Avantgarde.
"Man wusste, wenn man da auftritt und ein Konzert im 'Hof' hat, dann hat man es irgendwie geschafft. Das ist ja auch so gekommen."
Neid und Missgunst unter den Bands
Bands wie die Fehlfarben erobern die Charts. Sie stoßen dadurch die Neue Deutsche Welle mit an. Doch der Erfolg einzelner Bands führt zu Neid und Missgunst untereinander.
"Die Szene in Düsseldorf, die war schon sandkastenmäßig Ellenbogen. Da ging es wirklich darum, wer ist der Erste, wer hat die erste LP draußen. Das wurde ganz schlimm oder erkennbar, als der Erfolg über Geld kam, eben die Neue Deutsche Welle."
Ralf Dörper ist eine der Zentralfiguren der Düsseldorfer Szene. Als Mitglied der Band Die Krupps ist er einer der Erfinder des Genres Industrial. Seine Band Propaganda wird Mitte der 80er-Jahre zu Deutschlands erfolgreichstem Elektropop-Export.
Dörper orientiert sich, wie viele andere Düsseldorfer Musiker, bald in Richtung Ausland. Ende der 80er-Jahre versinkt Düsseldorf für mehrere Jahre in der musikalischen Bedeutungslosigkeit. Nur wenige Bands halten die Stadt auf der musikalischen Landkarte: Allen voran die Toten Hosen.
Eine wirkliche Szene aus Bands gibt in Düsseldorf heute nicht mehr. Wohl aber die Verbindung von Kunst und Musik. In dem unter der Kunsthalle gelegenen Club "Salon des Amateurs" lässt sie sich erleben. Aus dem Umfeld des Salons stammen die experimentellen Elektroniker Kreidler, die vor allem in England gefeiert werden. Die Pianoavantgardisten Grandbrothers. Und die Band Stabil Elite, die sich in Musik und Stil als Erben Kraftwerks inszeniert.