Unsere Reihe "Sound Of The Cities": Punk wurde im London der Siebzigerjahre geboren, House und Techno haben ihre Wurzeln in Detroit, und der wütende Sound des Grunge stammt aus Seattle: Viele Sounds der populären Musik sind untrennbar mit bestimmten Städten verbunden. Andere Orte haben ebenso ihren Beitrag zur Popmusikgeschichte geleistet, ohne dass sie dafür berühmt wurden: Wie klingt die Musik von Antwerpen, wie das popmusikalische Stockholm, was ist der Sound von Köln? Philipp Krohn und Ole Löding portraitieren in unserer Reihe "Sound Of The Cities" zehn bekannte und weniger bekannte Musik-Städte. Sie lassen Musiker, Plattenhändler, Club-Betreiber und Journalisten Musik-Geschichten und Musik-Geschichte erzählen, auf der Suche nach dem Klang der Städte, von Antwerpen bis Austin, von Glasgow bis Wien.
Wien - schnapsgetränkt, sexy und voller Schmäh
Falco, die Downbeatszene der 90er-Jahre oder die jüngste Welle von Indiepopbands: Wien ist eine faszinierende Quelle der Popmusik. Derzeit ist die dortige Musikszene mit politischem Elektro bis hin zu Mundartliedern so vielfältig wie nie zuvor.
"Wir müssen beginnen, nur damit es erwähnt ist, dass wir auf einem musikalisch geilen Erbe sitzen. Vor allem mit Figuren aus der Wiener Klassik, diesen unglaublich exzentrischen, rebellischen, jungen Typen wie Schubert und Mozart."
Marco Michael Wanda, Sänger der gefeierten Wiener Rock-and-Roll-Band Wanda sitzt ketterauchend in einem Wiener Caféhaus.
"Dass es solche Typen gegeben hat, glaube ich, ermöglicht als ganz spätes und ewig fortzuführendes Echo unsere freie Arbeitsweise."
Wandas Debütalbum "Amore" ist die Verkörperung des heutigen Wien. Es ist schnapsgetränkt, sexy und voller Schmäh. Wandas Erfolg hat sichtbar gemacht: Es kommt wieder aufregende Popmusik aus Wien.
Austro-Weltstars sind selten
Österreich ist im Vergleich zu seinem Nachbarn Deutschland nur ein kleines Musikland. Es ist schwierig, als österreichischer Musiker internationale Aufmerksamkeit zu erlangen. Nur wenigen Künstlern ist dies in den letzten Jahren gelungen. Dabei hatte es so gut angefangen.
Als Udo Jürgens 1966 den Grand Prix Eurovision de la Chanson gewinnt, blickt die Welt auf Österreich. Dann aber kommen die Beatles und die Rolling Stones. Wien verliert den Anschluss. Erst Falco küsst die Stadt Mitte der 80er-Jahre wieder popmusikalisch wach.
Falcos Extravaganz und seine provokante Texte machen ihn zu einem Weltstar. "Rock me Amadeus" ist 1985 der erste deutschsprachige Song, der Platz 1 in den amerikanischen Charts erreicht. In seinem Windschatten werden andere Musiker aus Österreich bekannt, wie die Band Erste Allgemeine Verunsicherung oder Rainhard Fendrich.
Der Erfolg des Austropop ist groß. Zu groß. Junge Musiker wie Peter Kruder und Richard Dorfmeister suchen Ende der 80er-Jahre nach einem eigenen Stil. Sie sind fasziniert von der elektronischen Musik, die sich Ende der 80er-Jahre in Chicago, Bristol und Antwerpen entwickelt hat.
Ausverkauf nach Welthit von Kruder und Dorfmeister
Der neue Wiener Sound ist gefühlvoll, jazzig, gelassen. Und erfolgreich. Kruder & Dorfmeisters Album "The K&D Sessions" wird 1998 zu einem so großen Welthit, dass ein Ausverkauf beginnt. Andreas Voller vom Wiener Plattenladen "Recordbag" erinnert sich:
"Es war dann halt auch so, dass extrem viele Touristen gekommen sind. Und die sind dann hingegangen und haben alles genommen, was irgendwie gegangen ist. Und das ist dann aber international extremst vermarktet worden. Es hat dann jeder innerhalb von kurzer Zeit fünf verschiedene Künstler gehabt, die genau das Gleiche gemacht haben."
Die Szene läuft sich tot. Es kommt wieder einmal zu einem Bruch.
Eigenwilligkeit als Markenzeichen
Erst seit wenigen Jahren treten wieder junge Bands aus Wien ins Rampenlicht. Maurice Ernst, Sänger der gefeierten Band Bilderbuch, erklärt, was für ihn das Besondere an der heutigen Wiener Musik ist:
"Als Österreicher hast du kein aktuelles Beispiel, an dem du dich eigentlich messen könntest. Kein Freund von uns hat von der Musik gelebt, gescheit. Deswegen ist es nur kreativ. Es gibt nur Idealisten."
Perspektivlosigkeit ist ein entscheidendes Wort für aktuelle Bands aus Wien. Aus dem Gefühl der Chancenlosigkeit heraus, ziehen sie den Mut, besonders eigenwillig zu sein. Franz Adrian Wenzl von der Indierockband Kreisky:
"Also ich glaube, das ist wirklich die Absenz von einem kommerziellen Ziel, die sehr viel ermöglicht. Man hat das auch schon so drinnen, genauso wie man weiß: Wenn man Fußballer ist in Österreich, dann wird man nicht Weltmeister werden. Und genauso wenn man Popmusiker ist in Österreich, dann wird man kein Weltstar werden. Das ist irgendwie schon mal klar."
Die Wiener Musikszene ist vielfältig wie nie zuvor. Politischer Elektro von der Sängerin Gustav. Verquere Mundartlieder von Der Nino aus Wien. Akustischer Techno von Elektro Guzzi. Musikalisch verbindet sie nicht viel. Sehr wohl aber der Wille, eigen und ungewöhnlich zu sein.