Das Blinkgeräusch, das aus dem Computer kam
Wie ein Autoblinker klingt oder ein auffahrender Motor ist bekannt. Doch sind solche typischen Autofahrgeräusche immer seltener mechanischen Ursprungs. Kommt bald das völlig individuell klingende Auto? Wir haben bei einem Sounddesigner nachgefragt.
Marietta Schwarz: In dieser "Echtzeit"-Ausgabe geht es um Sounds, um Töne, um Geräusche, und klar, es gibt Menschen, die nichts anderes machen, als über das perfekte Geräusch nachzudenken und es zu designen. Und wir reden jetzt nicht über Special Effects bei Filmen, sondern über Special Effects beim Auto, also den Sound beim Zuschlagen der Tür oder wie die Einparkhilfe sich anhört.
Jeder Klang wird gestaltet
Thomas Küppers entwickelt solche Geräusche für Daimler. Herr Küppers, neben der Tür und der Einparkhilfe, was sind denn so die Sounds, an denen Sie arbeiten?
Küppers: Es gibt sowohl mechanische Geräusche, die im Fahrzeug vorhanden sind und optimiert werden, das sind zum Beispiel der Fensterheber oder das Schiebedach oder sogar das Handschuhfach, das Zuklacken des Schlosses. Alles wird gestaltet oder zumindest einer technischen Optimierung unterzogen, damit es akustisch gut klingt und eine gute Wertanmutung ausstrahlt.
Es gibt aber auch das neue Feld des Sounddesigns, das sind Rückmeldungstöne, die digital eingespielt werden, wenn ich zum Beispiel mein Navigationssystem bediene. Auch der Blinker ist mittlerweile ein vollkommen synthetisches Geräusch, während früher ein Relais dieses Geräusch erzeugt hat.
Zwischen 50 und 100 gestaltete Klänge pro Auto
Schwarz: Können Sie mal eine Zahl nennen, mit wie viel Geräuschen wir es in einem modernen Auto zu tun haben? Sind es eher 50 oder sind es eher 200?
Küppers: Ich würde sagen, in der akustischen Optimierung so in der Größenordnung 50 bis 100 Stück. Das Rollgeräusch, Windgeräusch und Fahrgeräusch ist natürlich transient immer vorhanden und steht vor allen Dingen auch im Vordergrund.
Schwarz: Wie viele Menschen bei Daimler kümmern sich darum?
Küppers: Wir haben 250 Leute, die sich darum kümmern, das Fahrzeug leiser und komfortabler zu machen. Beim eigentlichen Sounddesign sind wir ungefähr fünf bis zehn Leute, die sich intensiver mit den Klängen beschäftigen, die ich wieder hinzufüge.
Ein Klang nach unseren Vorstellungen
Schwarz: Die Marke mit dem Stern gehört eher zum hochpreisigen Segment, so soll es ja dann auch klingen. Aber wie klingt Wertigkeit, wie klingt ein wertiger Blinker oder eine ordentliche Zentralverriegelung?
Küppers: Diese Frage zu beantworten ist sehr schwer. Das ist so ähnlich wie mit abstrakter Kunst: Dem einen gefällt's, dem anderen nicht. Man kann vielleicht noch die Komplexität bewerten, man kann die Ausstrahlungskraft bewerten, aber es ist letztendlich immer ein vollumfassender Sinneseindruck dieses Geräusches.
Schwarz: Den wir ja auch alle kennen. Also, wir alle können beurteilen, ob eine Tür billig klingt, wenn man sie zuschlägt, oder nach Masse.
Küppers: Genau. Es ist archetypisch schon ausgeprägt, dass tieffrequente Geräusche einfach von großen Gegenständen und kraftvollen Gegenständen erzeugt werden. Ein großer Bär kann tieffrequenter und lauter brummen als ein kleiner Waschbär, das ist einfach Physik. Und das Grundprinzip ist in uns allen verwurzelt, weshalb wir sagen würden, dass tieffrequentere Geräusche wertiger sind oder kraftvoller. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass man sehr viel mit Geräuschen assoziiert, und genau diese Assoziation im Kopf treffen möchte.
Wenn man an ein Schloss denkt, wie ein perfektes Schloss klingen soll, dann gibt es dort dieses spezielle hochfrequente Geräusch, das an einen Tresor erinnert, wie es immer so schön heißt, an ein Tresorklicken. Obwohl wahrscheinlich niemand weiß, wie ein Tresor wirklich klickt, hat man trotzdem aus Filmen diese Vorstellung, wie genau dieses Klicken ist, und hat eine gewisse Nachhallzeit, hat eine gewisse Stärke, eine gewisse Schärfe, eine gewisse Dumpfheit. Und das perfekt zu treffen, versuchen wir auch in unseren Autos hinzukriegen.
Der Blinker aus dem Lautsprecher
Schwarz: Wir hören uns mal ein Beispiel an. Das erkennt jeder sofort: Das ist ein Blinker. Ich würde laienhaft sagen: Der hört sich ganz normal an.
Küppers: Genau, ganz normal trifft's in dem Fall, weil wir seit Jahrzehnten ein Blinkergeräusch gewöhnt sind, das früher eben mechanisch durch ein Relais erzeugt wurde. Mittlerweile sind wir im Fahrzeug so weit, dass dieses Geräusch über einen Lautsprecher abgespielt wird. Bei Mercedes sind wir eher traditionell unterwegs und möchten in dem Fall kein spaciges Blinkergeräusch bieten, sondern einfach genau das Gewohnte, weil das dem Kunden sehr intuitiv Rückmeldung gibt.
Schwarz: Interessant: Sie könnten eigentlich jedes x-beliebige Geräusch ausstrahlen, wenn wir den Blinker bedienen. Aber der Mercedes-Kunde will das nicht?
Küppers: Genau, so ist das.
Schwarz: Und dann gibt es diese Geräusche – Sie haben das auch schon erwähnt –, die nerven, sage ich jetzt mal. Das ist das Geräusch, das bei mir immer, wenn ich es höre, die Reaktion auslöst: Bitte sofort abstellen. Und wenn es nach mir ginge, gäbe es diese Geräusche gar nicht, also so wie diese Einparkhilfe, die davor warnt, dass man hinten gleich an das Nachbarfahrzeug dranklatscht.
Küppers: In dem Fall ist das sogar keine Einparkhilfe, sondern es ist die Kollisionswarnung, das heißt, wenn man ein Fahrzeug mit Frontradar hat, suggeriert dieses Geräusch während der Fahrt: Achtung, bitte sofort bremsen, weil der Vordermann bremst, sonst könnte es einen Auffahrunfall geben. Da ist so ein klares und schlichtes Geräusch tatsächlich eminent wichtig, damit ich die normale Fahrkulisse unterbreche. Dieses schlichte Nicht-Design des Geräusches suggeriert genau diesen Alarmzustand, der beim Fahrer erreicht werden soll.
Schwarz: Sie sagen Nicht-Design, aber das ist natürlich auch designt.
Küppers: Genau, also es ist bewusst so ausgewählt, um eben diesen Eindruck zu erzeugen: Achtung, hier ist was wirklich wichtig, bitte konzentrier dich jetzt aufs Fahren.
Wie klingt ein Wagen, dessen Motor eigentlich gar nicht mehr klingt?
Schwarz: Über das Wichtigste haben wir jetzt noch gar nicht geredet, nämlich den Motor. Wir befinden uns ja auch in einer massiven Umbruchphase, Stichwort Elektromobilität. So hört sich das zurzeit an: Geräusch
Herr Küppers, das ist jetzt ein gutes Motorgeräusch, ja?
Küppers: Im Grunde ja. Das ist ein Elektrofahrzeug, was tatsächlich so leise ist, dass man den Antrieb überhaupt gar nicht hört, sondern das, was man wahrnimmt, ist nur noch das Wind- und das Rollgeräusch.
Schwarz: Eigentlich wäre es ja toll, wenn man diese Motoren gar nicht mehr hört.
Küppers: Genau, eigentlich ist das total schön und total komfortabel. Was man allerdings in der Aufnahme eben nicht gehört hat, ist, dass der Fahrer beschleunigt hat. Das heißt, mir geht letztendlich eine Information verloren, die nur der Fahrer im Fahrzeuginnenraum spürt, wenn das Fahrzeug noch beschleunigt. Wenn es allerdings gar nicht mehr so viel Leistung hat oder gar nicht mehr so stark beschleunigen kann, dann nehme ich tatsächlich gar nichts wahr, und dann fällt es mir schwer, auch die Geschwindigkeit einzuschätzen.
Klänge spielen mit dem Gefühlsspektrum
Schwarz: Das heißt, ich als Autofahrerin sollte schon am Geräusch hören, wenn ich das Gaspedal runterdrücke, ja? Also: Das ist wichtig für meine Wahrnehmung?
Küppers: Das ist das Thema Interaktion. Es gibt tatsächlich einen gewissen Sinngehalt dahinter, dass ich tatsächlich auch rein informativ höre: Aha, mein Auto beschleunigt jetzt gerade.
Aber es gibt natürlich auch einen Emotionalitätsaspekt. Ähnlich wie bei einem guten Soundtrack im Kino kann ich über das Geräusch natürlich auch Emotionen beeinflussen und Emotionen wecken. Und gerade, wenn der Fahrer sehr dynamisch fährt und viel mit dem Gaspedal spielt und auf einer einsamen Landstraßenstrecken unterwegs ist, dann will er natürlich auch Spaß mit dem Auto haben. Und dann ist so eine akustische Rückmeldung einfach ein zusätzlicher Kanal, der zu einer multisensuellen Wahrnehmung führt, die einfach dem Kunden mehr Emotionalität ermöglicht.
Jede Marke klingt anders
Schwarz: Und wenn Sie als Sounddesigner nicht bei Daimler arbeiten würden, sondern zum Beispiel bei Ferrari, dann würden Sie natürlich an einem anderen Motorgeräusch arbeiten.
Küppers: Ja, sicherlich. Jede Marke hat spezifische Kernattribute. Bei dem einen Fahrzeug steht der Komfort im Vordergrund, bei anderen Fahrzeugen die Leistungsfähigkeit.
Schwarz: Es gibt ja diese Sportwagenfans, die vermutlich mehr als ein Limousinenfahrer auf einen röhrenden Motor wert legen. Was macht man denn mit diesem Bedürfnis in Zeiten der Elektromobilität?
Küppers: Zuerst muss man sagen, dass Elektrofahrzeuge ganz schön sportlich sind, und dass es sehr viel Spaß macht, mit einem Elektrofahrzeug unterwegs zu sein, weil einfach die Fahrdynamik des Elektroantriebs unglaublich ist und tierischen Spaß macht. Was sich natürlich ändern wird: Wenn ich kein natürliches Fahrzeuggeräusch habe, kann ich wiederum anfangen, frei gestaltete Geräusche obendrauf zu setzen. So eine akustische Rückmeldung ist bei sportlich ausgeprägten Fahrzeugen oder vielleicht sogar sportlich ausgeprägten Fahrprogrammen sinnvoll und bietet noch mehr Fahrspaß.
Kommt der individualisierte Auto-Klang?
Schwarz: Ist es denn vorstellbar, dass wir irgendwann einen Sound nach unserem persönlichen Profil hören werden, wenn wir ins Auto steigen. Dass das sogar eine Form der Individualisierung werden könnte? Zum Beispiel beim Carsharing?
Küppers: Ja, denkbar ist das alles. Was man digital im Fahrzeug erzeugt, ist alles "nur Software". Als Fahrzeuglieferant muss man natürlich trotzdem sicherstellen, dass es immer noch hochwertig klingt, dass es funktioniert, dass es nicht das ganze Auto zum Stillstand bringt, weil irgendein Bug in der Software vorhanden ist.
Insofern glaube ich, dass der kompletten Individualisierung gewisse Grenzen gesetzt sind. Aber ja, wir haben die Entwicklung bei den Handys gesehen: Da wollte jeder einen eigenen Klingelton haben und hat dafür auch entsprechend Geld ausgegeben, um sich persönlich zu individualisieren. Mittlerweile laufen wir alle mit Vibrationsalarm rum und hören im Grunde gar nichts mehr.
Schwarz: Das ist also schon etwas, woran Sie arbeiten, ja?
Küppers: Ja, sicherlich.
Schwarz: Und was meinen Sie, wird in 50 Jahren eine viel befahrene Straße ganz anders klingen?
Küppers: Das denke ich nicht. Weil im Grunde das Rollgeräusch, also der Reifen-Fahrbahn-Kontakt beim Rollen, immer noch das dominanteste Geräusch ist. Vielleicht ändert sich das Klangbild ein wenig in einer Spielstraße. Wir haben ja eine aktuelle Gesetzgebung, dass Elektrofahrzeuge zum Fußgängerschutz nach außen ein Geräusch abspielen müssen, zwischen null und 30 km/h. Das Gesetz tritt jetzt bald in Kraft. Man darf sich allerdings nicht zu viel vorstellen, dieses Geräusch ist nicht unglaublich laut.
Schwarz: Kinderlieder.
Küppers: Nein, genau so was ist zum Beispiel verboten. Oder auch Tiergeräusche, könnte man ja auch nachmachen, Hufgetrappel oder Ähnliches. Nein, so was werden wir mit Sicherheit nicht tun. Es geht schon um technische Geräusche, die die Assoziation mit dem Fahrzeug auch zulassen.