Mindestlärm per Verordnung
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Elektroautos sind leise und das empfinden viele als angenehm, doch laut EU-Verordnung sind akustische Warnsysteme hier bald Pflicht. Komponisten und Designer basteln daher an passenden Sounds. Alles, was gefällt, ist erlaubt – fast alles.
Potsdamer Platz in Berlin-Mitte, sechzehn Uhr. Unangenehmer Straßenlärm.
Seit dem ersten modernen Automobil mit Verbrennungsmotor des deutschen Erfinders Carl Benz aus dem Jahre 1886 versuchte man die Fahrzeuge so leise wie möglich zu konstruieren. Vor allem des Lärms wegen. Schon wenige Jahre später entdeckte man das Elektroauto. Um 1900 und im folgenden Jahrzehnt spielten elektrisch angetriebene Kraftfahrzeuge eine wichtige Rolle im Stadtverkehr. Durch Fortschritte im Bau von Verbrennungsmotorfahrzeugen und das Tankstellennetz wurden sie jedoch verdrängt.
Erst in den 1990er-Jahren – nach der durch den Golfkrieg ausgelösten Ölkrise – stieg die Produktion von Elektrokraftfahrzeugen wieder an. Die anhaltenden Diskussionen über Diesel und Benziner tun ihr übriges. So waren im Dezember des vorigen Jahres weltweit 5,3 Millionen rein elektrisch oder hybrid betriebene PKWs unterwegs.
Doch das Ganze bringt nicht nur Vorteile. Ein Problem: Man hat festgestellt, dass die E-Autos bei niedrigeren Geschwindigkeiten bis 20 bzw. 30 km/h zu leise sind und somit die Sicherheit im Straßenverkehr gefährden könnten – zum Beispiel für Fußgänger oder Radfahrer, die die Autos bisher kommen hören.
Deutlich mehr Unfälle durch Elektroautos in den USA
In den letzten Jahren kam es in Amerika mit E-Autos zu doppelt so vielen Unfällen mit Fußgängern wie sonst. Mittlerweile gibt es in den USA und in China deshalb Gesetze, die die Geräuschlautstärke eines Elektroautos festlegen. Und ab 1. Juli schreibt auch die EU vor, dass Elektrofahrzeuge bei niedrigen Geschwindigkeiten mit Tönen warnen müssen.
Ein Elektromotor ist zwar nicht ganz still, er macht aber hochfrequentierte Geräusche, die eher unangenehm für das Ohr sind. Der richtige Sound spielt bei einem Elektroauto daher eine besonders wichtige Rolle, erklärte Hugo Fastl, Psychoakustiker an der TU München im Fernsehsender 3sat:
"Je nachdem, welches Geräusch ein Türzuschlagen erzeugt, hat man schon einen ersten Eindruck, was ist die Qualität dieses Fahrzeugs. Und drum wird weltweit diesem Soundengineering eine sehr, sehr große Bedeutung zugemessen."
Komponist sucht nach passendem Autosound
So stehen die Sounddesigner vor einer großen Herausforderung. Einer von ihnen ist Rudolf Halbmeir. Eigentlich ist er Komponist, doch seit acht Jahren entwickeln er und sein Team für die Audi AG Klänge. Die Suche sei mühsam und langwierig, sagt er:
"Das ist aufwändiger, als man dachte, und man muss da viel Zeit und Know-how investieren, um in die Richtung zu kommen, wo man das mal als wohlklingend empfinden kann. Anfangs tut man es meistens mit Softwaresynthesizern, weil da hat man aus der Konserve Tausende von Sounds. Irgendwann möchte man dann die echteren, irgendwann geht man zu Musikinstrumenten, irgendwann kauft man sich ‘n Didgeridoo, nur um zu versuchen, ob da eine interessante Struktur drin stecken könnte. Alles, was gefällt, ist erlaubt."
Oder doch nicht alles. Es wäre irreführend, wenn sich der Autosound der Umgebung anpassen würde – wie hier mit Kuhglocken oder Löwengeräuschen.
Töne müssen eine bestimmte Lautstärke erreichen
Die EU schreibt in ihrer Richtlinie ein paar Mindestvorgaben vor: Die durch das sogenannte Akustische Fahrzeug-Warnsystem, kurz AVAS, generierten Töne müssen den erlernten und erwarteten Sounds eines Verbrennungsmotors ähneln, heißt es da, und eine bestimmte Lautstärke erreichen. Und die europäische Wirtschaftskommission hat dafür sogar ein Klangbeispiel. Alles andere ist offen.
Sounddesigner Rudolf Halbmeir geht bei den Tests vor allem nach seinem Bauchgefühl.
"Wir gehen mit dem Fahrzeug auf unseren Rollenprüfstand und setzen uns auf den Stühlen außen rum und fahren einfach mal 20, 30, 40 verschiedene Klangstrukturen und lassen den Bauch entscheiden, ob dieses Fahrzeug jetzt das als positiv oder negativ widerspiegelt. Davon werden dann die besten fünf oder zehn Soundfiles auserkoren und die in Lautstärke und Pitching und Tonhöhe und in der Zusammenstellung dieser immer weiter so verfeinert, dass die Leute, die das hören, sagen, so ist es besser, so ist es schlechter, das dient der Sache, das schadet der Sache."
Der Fahrer kann zwischen verschiedenen Signaltönen wählen
Die gesamte Akustik muss stimmig sein. Zu hören ist dann mitunter auch eine Mischung aus verschiedenen Gegenständen, Geräten und Werkzeugen: Rasentrimmer, Gitarre und Akkuschrauber zum Beispiel. Und so klingt’s dann in Zukunft vielleicht auch auf unseren Straßen.
Zumeist kann der Fahrer dann zwischen verschiedenen Signaltönen wählen. Er kann sie sogar ganz ausschalten, aber nur dann, "wenn die Abgabe von akustischen Warnsignalen in der Umgebung des Fahrzeugs offensichtlich nicht notwendig ist und sichergestellt ist, dass sich keine Fußgänger in der Nähe befinden". Eine Funktion, die widersinnig zu sein scheint und für Diskussionen sorgt. Beim Neustart des Fahrzeugs soll das System dann automatisch wieder angeschaltet sein.
Viele wollen lieber gar keinen Straßenlärm
Doch trotz der damit verbundenen Risiken: Viele wollen lieber gar keinen Straßenlärm.
"Leise finde ich gut", meint eine Frau. "Das Geräusch von dem Motor, das würde mir vielleicht sogar drinnen fehlen. Also draußen brauchen wir es vielleicht gar nicht unbedingt."
Andere sagen: "Dezent, dass es genug Geräusche macht, dass es sicher ist, aber auf jeden Fall nicht laut, weil das nicht authentisch ist." – "Leise. Also ich finde es eigentlich ganz angenehm. Ich kann mir das gut vorstellen. Man kann sich dran auch gut gewöhnen." – "Dafür sind sie auch Elektroautos. Wenn man über die Straße geht, sollte man sowieso schauen, egal ob ein lautes Auto oder ein leises Auto kommt."
Doch erstmal wird es künstlich erzeugte Geräusche bei Elektroautos geben. Wie sich das anhört, wissen wir ab dem 1. Juli.