Kirmesorgel, Panzer und Co.
Mobile Soundsysteme waren von jeher vor allem Unterhaltungsmaschinen. In Herford ist ein Querschnitt durch zeitgenössische Klänge und Geräusche zum Mitnehmen zu erleben.
Es zirpt und grummelt, wummert und fiept. Der Berliner Künstler Nik Nowak fährt im Museum Marta in Herford seinen Sound-Panzer hoch, der so aussieht wie die Schrumpfversion eines richtigen Tanks. Unter der martialisch geformten Verschalung steckt ein altes Baufahrzeug aus Japan. Doch was der Wagen unter der Haube hat, ist ausnahmsweise einmal vollkommen nebensächlich. Viel wichtiger ist, was in ihr steckt: 4000 Watt, verteilt auf 13 in die Oberfläche eingefräste Lautsprecher. Nowaks Panzer ist ein auf Ketten ratterndes Musik-Geschoss. Und eine bewegliche Soundskulptur:
"Es ist eine Skulptur, die beide Phänomene, die auch zentrales Motiv sind für die Ausstellung, in sich verbirgt."
Nik Nowak, Soundbastler und Mitkurator der Ausstellung:
"Einmal die zivile Nutzung, die eher darauf aus ist, Sound als identitätsstiftendes Medium zu nutzen, oder auch, um Gesellschaften zu generieren. Etliche Subkulturen basieren nicht auf Manifesten, sondern auf Musik. Und die Musik ist das, was die Gruppen zusammenführt und zusammenhält. Auf der anderen Seite benutzt das Militär den Sound, um Versammlungen zu zerstreuen. In der Skulptur 'Panzer' hat man beide Assoziationen in einem."
Wer bei "mobilen Soundsystemen" nur an tiefergelegte Sportwagen mit dröhnenden Boxen in der Hutablade denkt, dem werden in der Ausstellung "Booster" die Ohren geöffnet. Etwa dafür, dass mobile Soundsysteme auch als Waffen zum Einsatz kommen. Im Zweiten Weltkrieg etwa verstärkten Trichter das Geräusch nahender Bomber. Heute zielen schmerzhafte Schallkanonen auf Piraten vor der somalischen Küste. Oder auf Demonstranten an Land.
Maschinengewehr und Feuerwerk
"Shots" – so heißt die Installation des spanischen Künstlers Santiago Sierra. Ein schwarzes Boxenmassiv, das sich als einschüchternde Wand vor dem Betrachter aufbaut. Zu hören ist das Explodieren von Silvesterraketen. Aufgenommen während einer Neujahrsfeier in Sierras Wahlheimat Mexico. Maschinengewehr-Salven perforieren die Feuerwerksgeräusche. So entsteht die Tonspur einer militarisierten Gesellschaft, die von Waffenbesitz und Gewalt geprägt ist.
Doch mobile Soundsysteme waren von jeher vor allem eines: Unterhaltungsmaschinen. Sie bringen Menschen zusammen, stiften Gemeinschaften. Daran erinnert eine alte Kirmesorgel, die musikalisch den Geruch von gebrannten Mandeln und Taschenspielertricks verströmt:
"Man kann die frühe Drehorgel, die automatischen Musikinstrumente als erste Geräte zur Reproduzierbarkeit von Musik sehen. Verdi und Mozart haben zum Beispiel schon Stücke geschrieben, die extra für die Maschinen gemacht waren. Zum Beispiel hat Mozart mit einbezogen, dass eine Maschine schneller spielen kann als ein Pianist, er hat schnellere Stücke geschrieben und natürlich dann auch für eine breitere Masse geschrieben. Durch diese Soundmaschinen, kann man sagen, dass die Musik demokratisiert wurde, weil sie nicht nur einer elitären Oberschicht vorbehalten war, sondern weil sie ohne großen Aufwand, ohne hohe Kosten, einem breiten Publikum im öffentlichen Raum zugetragen werden konnte."
Hintersinnig tönende Schnittmengen-Forschung
Die Ausstellung hat nicht den Anspruch, den Zusammenhang von Kunst, Sound und Maschine historisch erschöpfend darzustellen. Die Kulturgeschichte mobiler Soundmaschinen wird nur am Rande gestreift. Zu sehen und hören ist ein grenz-, genre- und kulturübergreifender Querschnitt durch die zeitgenössische Praxis. Hier also die wunderbar hochtourig dröhnende Kirmesorgel. Dort Massimo Bartolinis "Otra Fiesta". Eine sieben Meter hohe, kubusförmige Konstruktion aus schlanken, miteinander verbundenen Röhren. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Baugerüst. Bis sich die Walze am Fuß der Installation in Bewegung setzt, Luft durch die Röhren bläst und unvermutet zarte, schwermütige Töne erklingen. Denn auch "Otra Fiesta" ist eine Orgel, die den Blick gen Himmel weist und dem hohen Saal des Museums eine sakrale Anmutung verleiht:
"Massimo Bartolini arbeitet seit langem mit einem Komponisten zusammen. Es ist ein wunderschöner Loop, der darauf läuft. Die Walze ist vielleicht ein Meter lang, wenn man das ausrollen würde, die Strecke. Und die läuft eben als Loop durch. Und ich hatte, seitdem wir die jetzt hier laufen haben, noch nie das Gefühl, dass das eine Wiederholung ist. Also das ist eine wunderschöne Komposition."
"Booster" – das ist aufregend laut und hintersinnig leise tönende Schnittmengen-Forschung. Und ein entdeckungsreicher Streifzug durch hoch-, sub- und popkulturelles Terrain, bei dem sich das Museum wahlweise in einen Club oder in ein akustisches Forschungslabor verwandelt.
Informationen des Museums Marta in Herford zu "Booster"