Soviel Verzweiflung gab es schon lange nicht mehr
In Joachim Bessings Roman "Untitled" ist die Hauptfigur ein Mann von Welt, der ganz selbstverständlich auf Mode-Shows und Springreitturnieren Zuhause ist. Seine große Liebe überzeugt das zwar - aber nur in Form von vielen E-Mails, die sie ihm schreibt. Ein durchgeknallter und zugleich hochmoderner Liebesroman.
Rainald Goetz hat seinen Segen für diesen Roman neulich in der "Zeit" schon erteilt: "Endlich wieder ein echter Poproman", jubelte er in einer Rezension über Joachim Bessings Roman "Untitled". Nun kennt Goetz Bessing nicht nur aus früheren, damals tatsächlich sehr großen Popliteraturzeiten, er selbst taucht in diesem Roman mehrmals auf und wird irgendwie freundschaftlich-lobend-neckend erwähnt: "Rainald Goetz war, von allen die ich kannte, der einzige Schriftsteller, den ich mir in der Muppet Show vorstellen konnte."
Nun kann man sich trefflich darüber streiten, was nun ein "echter Poproman" ist und ein nicht ganz so echter und in was für einem Verhältnis in diesem Genre Zutaten wie Gegenwart, Popmusik, Markennamen und Listen zu Vergangenheit, Liebe, Hass oder Politik stehen müssen. Sicher weiß man nach der Lektüre von "Untitled" allerdings: "Pop" spielt hier eigentlich nur die zweite Geige. Joachim Bessing hat vielmehr einen ziemlich durchgeknallten und zugleich hochmodernen Liebesroman geschrieben.
Klar, sein Ich-Erzähler, der nahe am realen Joachim Bessing dran ist, hat viel von einer hochgradig verfeinerten und leicht irren Pop-Medienfigur, insbesondere in der ersten Hälfte des Buches, als er noch das Mode-und-Stil-Ressort in der Zeitung eines großen Verlagshauses in Berlin leitet, das unschwer als Springer Verlag zu erkennen ist. Paris, New York und London, das sind die alltäglichen Anlaufpunkte des Erzählers, Mode-Shows, Springreitturniere, Flagshipstore-Eröffnungen, und in dieser Welt spielen auch die das alles erträglicher machenden Drogen eine nicht ganz unwichtige Rolle.
Dann begegnet er der Philosophiestudentin Julia Speer, die er nach einem Essen mit Bekannten in der Wohnung eines dieser Bekannten kennenlernt, vor einem Bücherregal, zunächst sich über eine Ausgabe mit Schriften des antiken griechischen Philosophen Plotin unterhaltend, später sich Zahnpasta von den Lippen küssend. Danach ist es um ihn geschehen, auch pop- und modemäßig: Seine Welt und große Passagen dieses Romans dreht sich um nichts anderes mehr als um die Liebe zu Julia, Julia, Julia. Die Liebe wird erwidert, findet aber oft virtuell und körperlos statt, als per SMS, E-Mail, Skype, i-Phone, i-Pad und dem Austausch von Musikdateien: Julia ist verheiratet und will das auch bleiben.
Soviel Liebesverzweiflung gab es zuletzt selten in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bessing fährt viel Innerlichkeit und Empfindsamkeit auf. Die zunehmende Kaputtheit des Erzählers ist das eine, seine Furchtlosigkeit vor jedweder Peinlichkeit das andere. Gerade in den Momenten, in denen Bessing aus beiden Perspektiven den Liebesurknall, das unauslöschliche erste Kennenlernen beschreibt, bekommt seine Prosa etwas Martin-Walser-haftes. "Untitled", könnt man sagen, das ist Walsers "Das 13. Kapitel" revisited.
Doch, natürlich, immer wieder ist man baff, was für Tonspuren Bessing in seiner Liebesgeschichte so mitlaufen lässt, von Sonic Youth über The Field bis zu Washed Out, aber auch Purple Schulz ("Sehnsucht") oder Grönemeyer ("Flugzeuge im Bauch"). Soviel Pop darf dann doch sein. Höhepunkt sind allerdings eher hochkulturell gestimmte Hermann-Lenz- und Anita-Albus-Verweise und der Versuch des Helden, die Urszene der Liebe auf einem Bild nach Art eines Jan Vermeer zu verewigen. Dieser Mann bleibt dran an seiner inzwischen als hoffnungslos erkannten Liebe - und soviel Hartnäckigkeit muss zumindest im richtigen Leben belohnt werden. Will heißen: ein schocke Roman.
Besprochen von Gerrit Bartels
Nun kann man sich trefflich darüber streiten, was nun ein "echter Poproman" ist und ein nicht ganz so echter und in was für einem Verhältnis in diesem Genre Zutaten wie Gegenwart, Popmusik, Markennamen und Listen zu Vergangenheit, Liebe, Hass oder Politik stehen müssen. Sicher weiß man nach der Lektüre von "Untitled" allerdings: "Pop" spielt hier eigentlich nur die zweite Geige. Joachim Bessing hat vielmehr einen ziemlich durchgeknallten und zugleich hochmodernen Liebesroman geschrieben.
Klar, sein Ich-Erzähler, der nahe am realen Joachim Bessing dran ist, hat viel von einer hochgradig verfeinerten und leicht irren Pop-Medienfigur, insbesondere in der ersten Hälfte des Buches, als er noch das Mode-und-Stil-Ressort in der Zeitung eines großen Verlagshauses in Berlin leitet, das unschwer als Springer Verlag zu erkennen ist. Paris, New York und London, das sind die alltäglichen Anlaufpunkte des Erzählers, Mode-Shows, Springreitturniere, Flagshipstore-Eröffnungen, und in dieser Welt spielen auch die das alles erträglicher machenden Drogen eine nicht ganz unwichtige Rolle.
Dann begegnet er der Philosophiestudentin Julia Speer, die er nach einem Essen mit Bekannten in der Wohnung eines dieser Bekannten kennenlernt, vor einem Bücherregal, zunächst sich über eine Ausgabe mit Schriften des antiken griechischen Philosophen Plotin unterhaltend, später sich Zahnpasta von den Lippen küssend. Danach ist es um ihn geschehen, auch pop- und modemäßig: Seine Welt und große Passagen dieses Romans dreht sich um nichts anderes mehr als um die Liebe zu Julia, Julia, Julia. Die Liebe wird erwidert, findet aber oft virtuell und körperlos statt, als per SMS, E-Mail, Skype, i-Phone, i-Pad und dem Austausch von Musikdateien: Julia ist verheiratet und will das auch bleiben.
Soviel Liebesverzweiflung gab es zuletzt selten in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bessing fährt viel Innerlichkeit und Empfindsamkeit auf. Die zunehmende Kaputtheit des Erzählers ist das eine, seine Furchtlosigkeit vor jedweder Peinlichkeit das andere. Gerade in den Momenten, in denen Bessing aus beiden Perspektiven den Liebesurknall, das unauslöschliche erste Kennenlernen beschreibt, bekommt seine Prosa etwas Martin-Walser-haftes. "Untitled", könnt man sagen, das ist Walsers "Das 13. Kapitel" revisited.
Doch, natürlich, immer wieder ist man baff, was für Tonspuren Bessing in seiner Liebesgeschichte so mitlaufen lässt, von Sonic Youth über The Field bis zu Washed Out, aber auch Purple Schulz ("Sehnsucht") oder Grönemeyer ("Flugzeuge im Bauch"). Soviel Pop darf dann doch sein. Höhepunkt sind allerdings eher hochkulturell gestimmte Hermann-Lenz- und Anita-Albus-Verweise und der Versuch des Helden, die Urszene der Liebe auf einem Bild nach Art eines Jan Vermeer zu verewigen. Dieser Mann bleibt dran an seiner inzwischen als hoffnungslos erkannten Liebe - und soviel Hartnäckigkeit muss zumindest im richtigen Leben belohnt werden. Will heißen: ein schocke Roman.
Besprochen von Gerrit Bartels
Joachim Bessing: Untitled
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013
303 Seiten, 19,90 Euro
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013
303 Seiten, 19,90 Euro