Sozialangebote für Männer in Pflegeheimen

Was alte Männer wollen

Ein Senior schwebt nach dem Absprung über dem Sandfeld der Weitsprunganlage.
Auch ältere Männer sind gerne aktiv und unter sich, etwa beim Sport. © dpa/ picture-alliance/ Julian Stratenschulte
Von Peter Sawicki |
Männer wollen einfach Männer sein. Das hat ein Hamburger Pflegeheim erkannt und bietet - auch - Gruppenangebote nur für die Männer an. Beim Schwimmen, Gärtnern oder Black Jack leben die Senioren auf. Die geschlechtsspezifischen Angebote könnten sogar positiv für Demenzkranke sein.
Las Vegas in Hamburg-Billstedt am Dienstagnachmittag. Casinoleiter Antonio Tabatabai verteilt schwarz-weiß gestreifte Plastikchips. Ein grüner Spielteppich schmückt den ovalen Zockertisch, an dem sechs Glücksritter erwartungsfroh Platz genommen haben.
Im Kursana-Pflegeheim im Osten der Hansestadt ist das eine geläufige Szene. Jede Woche lädt Tabatabai, Leiter der "Sozialen Betreuung", die männlichen Bewohner zu einem gemeinsamen Nachmittag - nur für sie allein. Das Programm bietet viel Abwechslung: Es gibt Schwimmbadbesuche und Gartenprojekte - Black-Jack-Partien am Casinotisch sind bei den Senioren aber besonders beliebt, auch bei Rudolf Sondermann:
"Das ist ... weil ich das früher schon gerne gemacht habe, und mache das heute noch gerne."
Sondermann ist seit zwei Jahren Bewohner im Billstedter Kursana-Domizil. Der großgewachsene Herr im Kapuzenpullover genießt die gemeinsamen Männer-Augenblicke beim ungewöhnlichen Freizeitangebot:
"Wenn wir so beieinandersitzen, vergeht die Zeit sehr schnell dabei. Und das ist ja eigentlich auch der Sinn und Zweck der Sache."
Sondermanns Sitznachbar ist Otto Böhling, adrett gekleidet mit Strickjacke und Hemd. Auch er hat Freude an der Zockerrunde und lobt Antonio Tabatabais Ideen:
"Also, die Freizeitangebote sind sehr gut, mit dem Antonio. Der gibt sich viel Mühe, ist ewig auf den Füßen und besorgt alles mögliche."

Männernachmittage vermitteln den Senioren Wertschätzung

Tabatabai ist ein Mann mit einem betont gepflegten Äußeren. Der Bart des gebürtigen Franken ist sauber gestutzt, die dunklen Haare akkurat gekämmt. Seine braunen Augen strahlen Freude aus, als er über seine Tätigkeit zu sprechen beginnt. Seit zwei Jahren leitet Tabatabai im Billstedter Domizil die Abteilung "Soziale Betreuung", gleich zu Beginn führte er einen Männernachmittag ein. Dabei ging die Initiative gar nicht von ihm aus:
"Da kamen die Männer selber zu mir, nachdem sie gehört haben: 'Da kommt jetzt ein Mann in die Betreuung.‘ Sie haben mich gleich geduzt, und wollten auch selber geduzt werden. Und, ja - dann kamen die einfach zu mir und haben mir ihre Wünsche erzählt. Von wegen: 'Antonio, wir würden ja gerne mal schwimmen gehen, oder Roulette spielen.‘ Und aus diesen Wünschen und Anregungen habe ich dann so eine Männerrunde kreiert."
Mittlerweile sind etwa 15 männliche Bewohner bei den wöchentlichen Treffs dabei, insgesamt wohnen 29 Männer in der Einrichtung. Tabatabai sieht diese Angebote nicht bloß als Zeitvertreib. Der 39-Jährige betont, dass den Männern damit sogar ein Stück Identität ermöglicht wird:
"Ich glaube - und das sage ich nach 20 Jahren Berufserfahrung - dass Männer einfach Männer sein wollen. Und wenn man ihnen das Gefühl gibt, dass sie die Wertschätzung bekommen, dann hat man ihnen auch das Gefühl gegeben, ein Mann zu sein. Man muss gar nicht große Projekte auf die Beine stellen - man kann mit kleinen Sachen anfangen."

Hilft die Männergruppe sogar mit Demenz klarzukommen

Von den Freizeitangeboten profitieren in Billstedt auch demenzkranke Männer. Beim Einzug werden persönliche Profile erstellt, mit Verweis auf frühere Interessen und Hobbies. Durch dieses Wissen sei es möglich, gezielter auf die Bewohner einzugehen, sagt Lisa Aalberts. Sie koordiniert im Kursana-Heim in Billstedt die Pflege im Wohnbereich für Demenzkranke:
"Ich denke mal, dadurch, dass man bestimmte Angebote immer wiederholt, kommt dann natürlich so eine Routine rein. Und die wissen dann auch immer: 'Das ist der und der Ablauf‘. Was natürlich wichtig ist bei uns, die Menschen brauchen einen gewissen Ablauf, dass sie das auch selber verstehen und umsetzen können."
Aalberts glaubt, dass sich die auf Männer speziell zugeschnittenen Beschäftigungen positiv aufs Gemüt und somit auch auf die Gesundheit auswirken können. Im besten Fall helfen sie sogar dabei, besser mit Demenz klarzukommen:
"Ich denke mal schon, dass diese Gruppenangebote einen positiven Teil dazu beitragen, dass man vielleicht die Erkrankung so ein bisschen - ja lindern wäre zu viel gesagt, aber dass man vielleicht wirklich so verschiedene Erinnerungen wieder hervorruft und wieder aufweckt. Die Stimmung ist einfach gut danach - man merkt, dass es ihnen körperlich und seelisch guttut."
Am Casinotisch herrscht weiterhin prächtige Stimmung. Es wird mit Ehrgeiz, aber ohne Verbissenheit gezockt. Noch bevor die Männerrunde eingeführt wurde, zog Rudolf Sondermann ins Billstedter Kursana-Heim ein. Er gibt offen preis, dass er sich als Mann zu Beginn vernachlässigt fühlte:
"Am Anfang war das ziemlich dürftig, man hat gar nicht auf Männer etwas speziell zugeschnitten, überhaupt nicht. Man hat das zwar vermisst, aber man wollte auch nicht immer der Nörgler sein."

Jedes Heim sollte sich mit den Wünschen seiner Bewohner befassen

Momentan freut sich Sondermann vor allem auf ein besonderes Ereignis, das sich an alle Bewohner richtet: Für den Sommer plant Antonio Tabatabai einen Ausflug nach Berlin.
"Ich war zwölf Jahre mit Zweitwohnsitz in Berlin - das heißt, ich bin neugierig darauf, wie es dort zugeht. Er hat ja angekündigt, dass wir einen Tag dort hinfahren. Und dieser Tag kann gar nicht schnell genug kommen!"
Weil die Bedürfnisse von Männern nicht in jedem Pflegeheim gleich sind, sei es wichtig, sich eng mit den Bewohnern zu befassen und Betreuungsangebote zu machen, die ihren Interessen tatsächlich entsprechen, sagt Antonio Tabatabai. Und auch Sonderwünsche sollten immer wieder mal erfüllt werden. So gab es für die Billstedter Senioren im vergangenen Herbst eine ganz spezielle Attraktion.
"Ja, die Männer haben mir beim Klönschnack mal gesagt: 'Antonio, wir könnten ja auch mal auf die Reeperbahn fahren‘. Und ich fragte: 'Ok, wie lange wart ihr nicht mehr auf der Reeperbahn‘. Und die sagten dann alle: 'So 15, 20 Jahre nicht mehr‘."
Und so ging es einen Nachmittag lang für eine Kneipentour auf die Rotlichtmeile. Für die Senioren war es ein vergnügliches Erlebnis, für Tabatabai ein lehrreiches obendrein.
"Als wir in der Herbertstraße waren - da sind ja halbnackte Frauen in den Fenstern - und die haben ganz schüchtern erstmal auf den Boden geguckt und ganz kurz reingeguckt und wieder weggeguckt. Ich fand das so faszinierend - da sitzen 80-Jährige, und es war ein tolles Erlebnis, das mal mitzubekommen, wie es im Alter so zugeht. Dass man dann irgendwie diese kindliche Verhalten wieder hat."
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