Sozialarbeiter an Berliner Schulen

"Das ist sozusagen hier an der Schule mein Papa"

Rucksäcke hängen an einer Garderoba in einer sanierungsbedürftigen Grundschule in Berlin (13.02.2009).
In Berlin gibt es 676 öffentliche Schulen, in 280 davon arbeiten Sozialarbeiter. © imago / Rolf Zöllner
Von Anne Demmer |
Wenn die Probleme überhandnehmen und Konflikte eskalieren, geraten Lehrer an vielen Berliner Schulen regelmäßig unter Druck. Damit es gar nicht erst soweit kommt, werden Sozialarbeiter eingesetzt. Zwei von ihnen haben wir bei der Arbeit begleitet.
400 Kinder aus dem Kiez gehen hier zur Schule, fast 100 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund - vorwiegend sind es Muslime: Die Jens-Nydahl-Grundschule unweit des Kottbusser Tors ist eine Brennpunktschule in Kreuzberg. Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler ist von der Zuzahlung zu den Lernmitteln befreit, ihre Eltern können sich die Kosten für das Schulmaterial nicht leisten.
Montag ist immer ein besonders schwieriger Tag für die Schüler, sagt Shadia Abou Hamdan. Seit sieben Jahren ist sie eine von zwei Sozialarbeitern an der Grundschule. "Am Montag kommen die Kinder zur Schule, sind unkonzentriert, haben nicht so gut geschlafen oder waren zwei Tage gar nicht draußen."
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Die Jens-Nydahl-Grundschule in Kreuzberg© Deutschlandradio / Anne Demmer
Es kommt vor, dass einzelne Schüler den kompletten Unterricht sprengen. Es gibt viele verhaltensauffällige Kinder in den Klassen und die Lehrer geraten an ihre Grenzen. Die enge Zusammenarbeit mit den beiden Sozialarbeitern ist für die Lehrerin und stellvertretende Schulleiterin Barbara Jürgens deswegen wichtig. In der Schulstation tauschen sie sich über besonders problematische Schüler und andauernde Probleme aus. Immer wieder ist auch der Nahostkonflikt auf dem Schulhof ein Thema, beobachtet Barbara Jürgens. "Es gibt einige Kinder aus dem Libanon oder einige, die sich als Palästinenser bezeichnen und sich solidarisieren. Das müssen wir im Auge behalten."

Mit den Sozialarbeitern über Probleme reden

Schüler kommen zu den Sozialarbeitern, wenn sie gemobbt werden. Sie sprechen auch mit ihnen über Probleme zu Hause, über kleine und große Konflikte untereinander oder mit den Lehrern. Hier bekommen sie Anerkennung und Aufmerksamkeit - etwas, das im Unterricht zu kurz kommt und vielleicht auch zu Hause fehlt. Wichtig ist den Sozialarbeitern daher auch der Kontakt zu den Eltern. Shadia Abou Hamdan ist selbst vor zehn Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen. Arabisch ist ihre Muttersprache. Das helfe häufig, die "Eismauer" zu durchbrechen, sagt sie.
In den vergangenen Monaten ist in den Medien immer wieder über Gewalt an Berliner Schulen berichtet worden. Für die Jens-Nydahl-Grundschule sei das kein zentrales Problem mehr, berichtet Shadia Abou Hamdans Kollege Daniel Best. Durch das Engagement der Lehrer und der Sozialarbeiter steht das soziale Lernen im Vordergrund: "Das Kind kann bei uns lernen, wie man mit Wut adäquat umgeht – beispielsweise mit der Lehrerin ein Zeichen ausmachen, um kurz rauszugehen und kurz durchzuatmen."
In Berlin gibt es 676 öffentliche Schulen, in 280 von ihnen arbeiten Sozialarbeiter. Seit rund zehn Jahren gibt es, neben Geldern des Bezirks und dem Bonusprogramm für Brennpunktschulen, das Landesprogramm des Senats, das Sozialarbeiter an Schulen finanziert. Karsten Speck, Wissenschaftler an der Universität Oldenburg, hat sich von Ende 2016 bis Ende 2017 200 öffentliche Schulen angeschaut. Seine Bilanz zum Einsatz der Sozialarbeiter fällt positiv aus: "Sowohl in harten Indikatoren, dass also Schüler häufiger zur Schule gehen und mehr Abschlüsse erreicht werden. Und zweitens waren wir erstaunt, wie positiv die Kooperation von Lehrkräften, Schulleitung und Erziehern mit den Sozialarbeitern tatsächlich bewertet wird."

Begegnung zwischen Flüchtlingen und Regelschülern sorgen

Auch die Wilhelm-Bölsche-Schule in einer gutbürgerlichen Gegend in Friedrichshagen hat zwei Sozialarbeiter, einer davon ist Dieter Both. Jugendliche mit Migrationshintergrund gab es hier früher kaum, mittlerweile werden zwei Willkommensklassen unterrichtet. Die geflüchteten Kinder kommen vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, viele von ihnen sind traumatisiert. Mit gemeinsamen Aktivitäten außerhalb des Schulunterrichts will der Sozialarbeiter für Begegnungen zwischen den Flüchtlingen und den Regelschülern sorgen, damit sie sich schnellst möglich integrieren, sagt Dieter Both:
"Wir treffen uns einmal am Tag für eine halbe Stunde an der Sportkiste und dann spielen Kinder und Jugendliche aus den Willkommensklassen mit den Regelschulkindern Fußball oder Federball."
Auch an diesem Tag steht die Sportkiste am Rande des Sportplatzes bereit. Doch die Klassen bleiben unter sich. Auf der einen Seite kicken die Flüchtlinge, auf der anderen Seite die Deutschen. Eine Gruppe Mädchen steht ein wenig abseits. Die 13-jährige Cosima beobachtet, wie die Jungs aus der Willkommensklasse Fußball spielen. Sie berichtet von problematischen Begegnungen:
"Die sprechen manchmal Mädchen auf dem Schulhof an. Einer hat schon mal eine Freundin von mir angefasst, obwohl sie es nicht wollte."

Rechtsextremismus ist im Umfeld der Schule ein Problem

Ein Großteil der Arbeit von Dieter Both besteht darin, begründete Probleme ernst zu nehmen und sie von fremdenfeindlicher Hetze zu unterscheiden. Rechtsextremismus ist im Umfeld der Schule ein Problem. Immer wieder findet der Sozialarbeiter Flyer und Aufkleber der Identitären Bewegung und anderen rechtsextremen Gruppierungen in der Schule. Viele Schüler brächten Vorbehalte von zuhause mit, sagt Both.
"Ein ganz großer Teil der Jugendlichen, die hier an unserer Schule sind - und ich denke auch der Elternhäuser, aus denen die Schülerinnen und Schüler kommen - haben Ressentiments geäußert."
Das Logo des Netzwerks "Schule ohne Rassismus" an einem Schulgebäude
Das Logo des Netzwerks "Schule ohne Rassismus" am Schulgebäude bedeutet nicht zwangsweise, dass in dieser Schule Rassismus gar kein Thema ist.© Imago
Seit ein paar Jahren darf sich die Wilhelm-Bölsche-Schule "Schule ohne Rassismus-Schule mit Courage" nennen - so steht es auch auf einem Messingschild am Eingang der Schule, das allerdings immer wieder überschmiert wird. Dem 16-jährigen Hassib versetzt das jedes Mal einen Stich. Er ist bereits vor acht Jahren aus Afghanistan geflüchtet und nimmt längst am Regelunterricht teil. Gerade in den ersten Jahren an der Schule war Sozialarbeiter Dieter Both eine wichtige Bezugsperson für ihn:
"Das ist sozusagen hier an der Schule mein Papa. Wenn ich irgendwie Sorgen habe, wenn ich irgendwie Stress habe, wenn ich jemanden zum Reden brauche, dann ist er immer für mich da."

"Es macht uns unsicher, es macht die Schule unsicher"

Die Tür von Dieter Both in der Schulstation steht für die Schüler, aber auch die Lehrer immer offen. Er arbeitet gerne in der Schule. "Es ist schön hier zu sein und es ist wichtig hier zu sein."
Derzeit teilen sich 416 Sozialarbeiter 340 Stellen in den Berliner Schulen. Im nächsten Haushalt sollen zusätzliche 1,2 Millionen Euro eingestellt werden, die weitere 24 Schulsozialarbeiter ermöglichen. Daniel Best, Sozialarbeiter von der Jens-Nydahl-Grundschule, freut sich zwar über diese Entwicklung, doch auch die Rahmenbedingungen müssten verbessert werden. Er kritisiert die schlechte Bezahlung, die weit unter der von Lehrkräften liegt, obwohl Sozialarbeiter auch studiert haben. Außerdem werden sie oft nur befristet eingestellt, selten haben sie einen Vollzeitjob. "Es macht uns unsicher, es macht die Schule unsicher und das in einem Fachbereich, wo nachhaltig gearbeitet werden muss, wo es um die Beziehung geht zwischen den Sozialarbeitern, den Kindern und der Schule."
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