Sport als Integrationsinstrument
Hohe Arbeitslosikgeit, geringes Einkommen, viele Zugewanderte. Seit die Kohle weg ist, verwahrlosen viele Viertel im Ruhrgebiet. Umso wichtiger werden Sportvereine und Jugendtreffs als Bildungseinrichtung. Es geht um soziale Kompetenz.
Mehr als dreißig Jahre nach ihrer Stillegung bestimmt die Zeche Zollverein noch den Stadtteil Stoppenberg im Essener Norden. Die einstigen Arbeiterströme ersetzen heute die Touristenbusse.
Auf Teilen der Industriebrache sind Einfamilienhäuser entstanden. Sie sorgen für eine soziale Durchmischung. Gleichwohl ist hier jeder Dritte kein gebürtiger Deutscher, fast jeder Fünfte ist unter achtzehn Jahre alt und jeder zehnte Haushalt hat drei oder mehr Kinder. Dieses Erbe des Strukturwandels treten Valentin Engel und seine Kollegen vom Kinder- und Jugendtreff an, wo Integration ganz nebenbei gelebt wird.
"Noch nicht mal von uns angeschoben in vielen Fällen, das ergibt sich eigentlich von selbst, dass gar nicht viel Integration gepredigt werden muss, weil einfach nebeneinander die Nationalitäten und Religionen einfach ihre Freizeit verbringen und dadurch gar nicht erst so'n Thema überhaupt sein muss."
Die Besucher kommen unter anderem über die aufsuchende Jugendhilfe. Marc Habermann ist einer von fünf Streetworkern in Essen. Den Jugendlichen stellt er die Angebote des Kinder- und Jugendtreffs dort vor, wo sie gewöhnlich ihre Freizeit verbringen. Und sei es im Park auf einer Bank.
"Also es gibt immer Gruppen, sag ich mal, die auch so'n Gruppen- Leader haben, der natürlich auch so der Chef im Ring ist und der erstmal so bestimmt. Dann relativ schnell 'nen Zugang zu der Gruppe zu bekommen, um dann auch wirklich zu gucken: Mensch, über'n Winter hinaus, draußen ist es kalt. Vielleicht habt Ihr doch mal Lust, ins Jugendhaus zu kommen. 'Ne Runde Billard zu spielen oder 'ne Runde Tischtennis oder so. Und da nähern die sich dann auch schon an."
Freiwillig ohne Vereinspflichten
Freiwillig teilnehmen zu können ohne eine verpflichtende Regelmäßigkeit - das ist eine Alternative zum klassischen Sportverein. Dazu noch kostenlos. Die Angebote reichen von Klettern über Tanz- und Rapkurse, bis hin zum Fußball. Der dient in der Mädchengruppe von Tekmile Erdogan als Vehikel. Um zueinander zu finden.
"Da ist zum Beispiel das Thema: was ist "helal", also erlaubt, und "haram", nicht erlaubt. Wo man dann merkt auch, wo andere Nationalitäten dann ziemlich viel Empathie entwickelt haben und die Probleme dann wirklich auch verstehen können. Was früher nicht der Fall war, wo vielleicht 'ne Ablehnung war. Aber man merkt, hier ist ein gutes Miteinander sehr gewollt und interessiert."
Der Umgang miteinander soll vermittelt werden und natürlich gibt es dafür auch Regeln. Der Kinder- und Jugendtreff begreift sich als Bildungsassistenz – wobei Bildung nicht als Faktenwissen definiert wird. Es geht um soziale Kompetenz.
Szenenwechsel: Duisburg-Hamborn. 76.000 Einwohner, 30 Prozent sind Ausländer. Im Stadtteil Marxloh sind es zwei Drittel der Bevölkerung, im Straßenbild wirkt auch das noch untertrieben. Bergmannshäuser in grau- braun, sozialer Wohnungsbau und oftmals Autos, die zu groß erscheinen für die Umgebung. Jeder Fremde fällt hier auf, wird kritisch beäugt. Kriminalität ist an der Tagesordnung, die Streifenwagen fahren fast häufiger als die Straßenbahn. Man fühlt sich unwohl. Die vielen Fachgeschäfte für Brautmoden und die Juweliere sorgen mit ihren Auslagen für eine Diskrepanz, die größer kaum sein kann.
"Mittlerweile, also auch bautechnisch, ist der Stadtteil sowas von runtergekommen. Man hat hier eine sehr starke Blockbildung von Flüchtlingen, von Asylanten gebildet, wo der Grad für uns natürlich sehr sehr schwierig wird, diese Menschen alle in den Verein zu integrieren."
Thomas Söntgen ist im Vorstand von Gelb-Weiß Hamborn, einem der größten Vereine im Duisburger Norden, obwohl er nur knapp 300 Mitglieder hat. Mehr können sich den Beitrag nicht leisten, nehmen aber dennoch am Vereinsleben teil auf der Anlage zwischen Bahndamm und Autobahn.
Über 20 Nationalitäten in zehn Mannschaften
"Wir haben hier in unserem Verein über zwanzig Nationalitäten. Wir haben zehn Jugendmannschaften, wo teilweise in den Jugendmannschaften wirklich bis zu fünfzehn verschiedene Nationalitäten vertreten sind. Und es ist nicht immer ganz einfach, da 'n Mittelweg zu finden, und alle Kinder und Jugendlichen in einem Verbund hier darstellen zu können."
Seit zwei Jahren ist Dieter Wojnarowicz Integrationsbeauftragter des Vereins und Bindeglied in ein Jugendzentrum, wo er das Projekt "Gewaltfreies Fußballspiel" mit Flüchtlingskindern leitet.
"Einige von denen waren schon hyperaktiv, um nicht zu sagen jetzt: aggressiv. Es ging eben auch darum, die Regeln deutlich zu machen. Den Respekt für den Mitspieler, aber auch für den Gegenspieler deutlich zu machen. Und im Laufe der Zeit ist das auch sehr gut gelungen. Am Anfang war es so, dass eben auch teilweise sehr aggressiv gespielt wurde. Heute ist es eigentlich gar kein Thema mehr."
In Hamborn liegen drei weitere Vereine in direkter Nachbarschaft zueinander, haben über den Fußball hinaus auch Bewerbungstraining oder Hausaufgabenhilfe im Angebot. Dafür können sie Gelder aus Konjunkturprogrammen in Millionenhöhe verwenden.
Der Bergarbeiter-Verein als Leuchtturm im Schatten des Stahlwerks
Gelb-Weiß Hamborn muss ohne diese Hilfen auskommen. Es ist eng, finanziell wie räumlich mit vier Kabinen und zwei Duschräumen für dreizehn Mannschaften. Man nimmt es zur Kenntnis.
Sie rücken zusammen im ursprünglichen Bergarbeiter-Verein. Integration haben sie hier schon immer gelebt. Doch noch nie so schwierig und so offensiv wie heute. Als Leuchtturm im Schatten des Stahlwerks.
"Wir hoffen, wir haben hier eine kleine Vorbildstellung, wo man dem Stadtteil zeigen können, wie man miteinander leben kann."
Im Gespräch: Knut Reinhardt, Ex-Fußball-Profi, ist nun Grundschullehrer in Dortmund. Hören Sie
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