Soziale Dienste

Erste Hilfe für Muslime von Christen

Von Julia Weigelt |
Von der Sorge für Drogenabhängige jetzt zur Notfallrettung: Christlich geprägte Dienste wie die katholischen Malteser oder die evangelischen Johanniter helfen. Und die Arbeit der Dienste ist eine tägliche Herausforderung.
Der Kopf des Mannes verschwindet fast zwischen seinen Schultern. Er kauert auf einem Stuhl im Flur des Marienkrankenhauses in Hamburg-Hohenfelde. Als ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes in dunkelblauer Uniform strammen Schrittes vorbeiläuft, zieht der Mann seinen Jackenkragen noch ein Stückchen weiter über sein Gesicht. Er fixiert den Bildschirm seines alten Handys, so, als würde er auf einen dringenden Anruf warten, der nie kommt. Dann schaut er wieder auf die Tür vor ihm.

Raum 103, Haus 1, Bereich 5. "Malteser" steht auf dem laminierten Zettel, der dort hängt, darunter das rote Malteserkreuz. "Sprechstunde jeden Donnerstag." Hierher kommen vor allem Menschen "ohne gültigen Aufenthaltsstatus", wie es im Juristendeutsch heißt. Bei der Malteser-Migranten-Medizin helfen Ärzte Menschen, die keine Krankenversicherung haben.
Ob seine Patienten daran glauben, dass Jesus Gottes Sohn ist? – Dr. Helgo Meyer-Hamme interessiert das nicht. Wenn zu dem gläubigen Christen Patienten kommen, dann steht deren Krankheit im Mittelpunkt, nicht deren Glaube:
"Das wird überhaupt nicht gefragt, das spielt überhaupt keine Rolle. Es kommen Menschen zu uns, das ist das Entscheidende, Menschen mit gesundheitlichen Problemen."
Und deren Leiden sind vielfältig: Von Zahn- über Magen- und Nierenschmerzen bis zu chronischem Blut-hochdruck ist alles dabei.
"Von Kopf bis Fuß", berichtet der erfahrene Arzt, der als Teil eines Netzwerkes von knapp 60 Ärzten in Hamburg ehrenamtlich hilft. Sein Antrieb: christliche Nächstenliebe. Christlichen Patienten gegenüber genauso wie Muslimen. Auch, wenn deren Behandlung oft eine besondere Herausforderung ist.
"Frauen kommen in der Regel – aus muslimischem Bereich – nicht ohne Begleitung. Und das ist auch in Ordnung. Männer sind – wenn sie Moslems sind – auch häufig sehr schamhaft. Und da muss man dann schon vorsichtig damit umgehen. Aber es gibt Krankheiten, wo man dann auch die Mitte des Körpers untersuchen muss."
Das bespricht Dr. Meyer-Hamme dann mit den Muslimen. Freundlich, aber deutlich erklärt er ihnen, dass eine Untersuchung für die Diagnose nötig ist. Auch wenn vor der Tür dutzende weitere Menschen warten, die die Hilfe des Arztes brauchen.
Migranten-Medizin seit 2007
Nächstenliebe: Dem Nächsten helfen, egal, welche Religion er hat, oder ob er illegal nach Deutschland gekommen ist – das treibt auch Alexander Becker an. Der Diözesangeschäftsführer der Hamburger Malteser besuchte nach seinem Amtsantritt 2005 die Malteser-Migranten-Medizin in Berlin. Dort lief er an einer Wand voller Babyfotos vorbei. Deren Mütter hatten keine Krankenversicherung, und hätten die Kinder unter Umständen ohne medizinische Betreuung auf die Welt bringen müssen. Die Malteser halfen – und das wollte Alexander Becker auch in Hamburg ermöglichen. 2007, nach langen Auseinandersetzungen mit den Behörden, ging die Migranten-Medizin auch in der Hansestadt an den Start.
Zu konfessionell ungebundenen Rettungsdiensten wie dem Roten Kreuz sieht Becker viele Gemeinsamkeiten, und doch seien die Malteser etwas Besonderes, glaubt deren Hamburger Chef, Alexander Becker:
"Ich glaube, dass wir Malteser aus unserem jahrhundertealten Auftrag, Bezeugung des Glaubens, Hilfe den Bedürftigen, auch viel Kraft schöpfen, viel Kraft aus der Liebe Gottes schöpfen, aus der Nächstenliebe heraus, um den Patienten zu helfen."
Es gibt auch muslimische Helfer bei den Maltesern, vor allem unter den Ehrenamtlichen. Alexander Becker ist sich sicher, dass dies eine Bereicherung für den Dienst ist – und gleichzeitig eine Einladung , die eigene Nächstenliebe auf die Probe zu stellen. Das macht der tief gläubige Christ Becker auch selbst immer wieder. Etwa, als er einmal über Ostern in der östlichen Türkei unterwegs war und mit anderen Christen einen Ort suchte, die Osternacht zu feiern. Ein muslimischer Gutsbesitzer stellte freimütig einen Raum zur Verfügung.

Alexander Becker: "Das hat mich persönlich tief berührt, weil ich nach Hause gekommen bin und mich gefragt habe, ob ich mein Wohnzimmer für Muslime zur Verfügung stellen würde, wenn die dort Gottesdienst feiern wollten. Das war eine sehr intensive Erfahrung."
In fremden Wohnzimmern ist auch Michael Mühlig häufiger – allerdings nicht, um dort einen Gottesdienst zu feiern. Obwohl auch er sich ohne zu zögern als gläubigen Christ bezeichnet.
Wenn der Leiter des Rettungsdienstes der Hamburger Malteser auftaucht, ist Eile geboten. Ob Herzinfarkt oder Schlaganfall – es zählt jede Minute. Trotzdem nimmt Mühlig sich Zeit, die Bitten muslimischer Familien zu respektieren. Wenn er etwa an der Haustür erst die Schuhe ausziehen muss, bevor er hinein darf.
Religion im Arbeitsalltag
Zum ausgeprägten Schamgefühl vieler Muslime kommen Verständigungsprobleme. Michael Mühlig geht die Sache pragmatisch an:
"Wir haben hier bei unserem Auto so eine Sprachhilfe für den Rettungsdienst, das steht also in verschiedenen Sprachen das Wichtigste. Auf Türkisch würde zum Beispiel, wenn ich Sie fragen würde: ,Bana akrian jerinzi göstüriniz´, würden Sie mich blöd angucken, aber es sollte heißen: ,Zeigen Sie mir, wo Sie Schmerzen haben.´"
Religion spielt auch im Arbeitsalltag von Timo Sievert eine große Rolle, wie der Leiter des Rettungsdienstes der Hamburger Johanniter berichtet. Die Johanniter sind evangelisch geprägt. Vor Team-Besprechungen wird regelmäßig gebetet. In seiner Abteilung arbeiten keine Muslime – etwas, was Sievert bedauert.
"Nehmen wir mal als Beispiel einen Notfall mit einer älteren muslimischen Dame, wo es darum geht, dass die Kollegen aus dem Rettungsdienst medizinische Maßnahmen ergreifen müssen wie zum Beispiel ein EKG kleben, was natürlich auf der Brust geklebt werden muss."
Der erfahrene Retter kennt die Situation: Die Patienten sind sowieso schon verängstigt und empfinden darüber hinaus oft noch Scham - aus religiösen oder kulturellen Gründen. Muslimische Mitarbeiter könnten in solchen Situationen eine Schnittstelle sein, glaubt Timo Sievert. Über Bewerbungen würde er sich freuen:
"Speziell beachten, wenn man als Muslim hier arbeitet bei den Johannitern, muss man nichts. Man muss, wie jeder andere Mitarbeiter auch, das Prinzip der Nächstenliebe leben, das ist einer unserer Leitsätze, sowie der Leitsatz, dass der Mensch im Mittelpunkt steht."
Der Mensch im Mittelpunkt – das bedeutet auch, auf besondere kulturelle und religiöse Traditionen Rücksicht zu nehmen. Dabei könnten auch spezielle Trainings für den Umgang mit muslimischen Patienten hilfreich sein, findet er:
"Es ist durchaus so, dass man an einigen Einsatzstellen auch auf spezielle Sachen trifft, wo man sich dann zum Beispiel die Schuhe auszieht, weil´s halt einfach nicht erwünscht ist, dass das Rettungsdienstfachpersonal die Sicherheitsschuhe anbehält. Ich denke schon, dass man mit Sensibilisierungstrainings solche Themen aufgreifen kann und man sagen kann: Mensch, da müssen wir schauen, wie wir auf diesen Menschen zugehen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor, einer der wichtigsten, wenn wir mit Menschen arbeiten. Solche Sensibilisierungstrainings könnten da schon von Hilfe sein."
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