Wie ungerecht geht es zu in Deutschland? Darüber diskutiert Gisela Steinhauer von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Barbara Eschen und Marcel Fratzscher. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de – sowie auf Facebook und Twitter.
Wie ungerecht geht es in Deutschland zu?
Vor allem jetzt im Wahlkampf steht sie wieder hoch im Kurs: die soziale Gerechtigkeit. Das Schlagwort wird oft von Politikern bemüht, doch ein Blick auf die Lebensrealität vieler Menschen zeigt, dass es einigermaßen ungerecht in Deutschland zugeht.
Immer mehr Menschen ackern in einem Vollzeitjob und kommen doch kaum über die Runden. 7,5 Millionen haben befristete Arbeitsverhältnisse, hangeln sich von einem Minijob zum nächsten oder jobben auf Abruf. 16 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze, jedes fünfte Kind wächst in Armut auf. Gleichzeitig besitzen zehn Prozent der Bevölkerung mehr als 50 Prozent des gesamten Nettovermögens.
"Deutschland ist ein reiches Land. Umso skandalöser ist es, dass so viele Menschen in Deutschland abgehängt sind, weil sie arm sind", sagt Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Die Pfarrerin ist zudem Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz. Das Bündnis aus Organisationen, Verbänden und Initiativen setzt sich für eine aktive Politik der Armutsbekämpfung ein.
"Wir haben seit den 2000er-Jahren eine Zunahme der prekären Beschäftigung. Es sind zwar viele Jobs da, aber die sind entweder befristet oder liegen knapp oberhalb des Mindestlohns – oder der Mindestlohn wird umgangen."
Ihre Erfahrung: "Armut bedeutet mehr als den Verzicht auf Konsumgüter. Armut bedeutet physisches und psychisches Leid, höhere Erkrankungsraten und eine signifikant geringere Lebenserwartung."
Barbara Eschen: soziale Infrastruktur nötig
Ihre Forderung: "Der Reichtum in Deutschland muss umverteilt werden. Wir brauchen höhere Regelsätze für das Arbeitslosengeld II, wir brauchen bessere und sichere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, wir brauchen eine soziale Infrastruktur: Allgemeine Sozialberatung, günstigen Wohnraum bis hin zum kostenlosen Mittagessen für Kinder in Kitas und an Schulen. Und es muss endlich Schluss damit sein, verschiedene Gruppen von Bedürftigen gegeneinander auszuspielen."
"Keine Demokratie hat das Ziel, allen Menschen gleiche Vermögen, Einkommen und Beschäftigung – also den gleichen Output – zu garantieren. Aber jede Demokratie will Chancengleichheit bieten", sagt Prof. Dr. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Die wachsende soziale Ungleichheit habe nicht nur für die Betroffenen schwerwiegende Folgen.
"Ungleichheit wird dann zum sozialen Problem, wenn sie Chancen und soziale Teilhabe einschränkt. Wenn sie dann noch die politische Teilhabe reduziert, wird sie zur Gefahr für die Demokratie selbst."
Seine Mahnung: "Der Sozialstaat kommt zunehmend an seine Grenzen, wenn viele Menschen immer stärker auf seine Leistungen angewiesen sind. Ein starker und leistungsfähiger Sozialstaat hingegen ist einer, von dem nicht allzu viele Menschen abhängig sind, so dass er diejenigen besser erreichen kann, die auf seine Leistungen angewiesen sind."