Gefühle in Zeiten von Pandemien
07:36 Minuten
Covid-19 hat die Welt in Schock versetzt. Ein Gefühl der Unwirklichkeit wird abgelöst durch Ängste, Wut entsteht. Wie wirken sich Emotionen in Pandemien aus - und wann wird es für Gesellschaften gefährlich?
Seit gut zehn Monaten bestimmt die weltweite Corona-Pandemie die öffentlichen Medien weltweit. Auch wenn inzwischen viele, teilweise geradezu aggressiv widersprüchliche Meinungen vertreten werden: Neben dem Schock, dass Deutschland so einschneidend von einer Pandemie getroffen wurde, gibt es darüber doch auch so etwas wie eine Überraschung, wie die Medizinhistorikerin Bettina Hitzer analysiert.
"Und zwar kann man, wenn man die Geschichte von 1945 bis heute betrachtet, das als beispiellose Erfolgsgeschichte der Medizin sehen. Infektionskrankheiten sind zumindest in Europa weitgehend unschädlich gemacht worden. Es gibt sie zwar noch, aber gegen viele eben weitgehende Impfungen, andere können sehr gut mit Antibiotika beherrscht werden", sagt Bettina Hitzer.
"Das heißt, die Erfahrung, dass es kein Mittel gibt gegen eine Infektionskrankheit und dass eine Infektionskrankheit in größerer Zahl auch tödlich wirkt, das ist eine Erfahrung, die vor dem Hintergrund dieser Fortschrittsgeschichte erst mal sehr beunruhigend wirkt."
Gefühl von Unwirklichkeit
Bettina Hitzer forscht am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Emotionen, die im Kontext von Krankheiten entstehen.
"Es ist schon so, dass erst ein Gefühl von Unwirklichkeit da war, das dann sehr schnell von Angst abgelöst wurde – Angst vor dem Coronavirus und dann gab es eben diese konkurrierenden Ängste, neben der Ansteckungsangst die Angst vor ökonomischer Existenzbedrohung, vielleicht auch davor, wie die Welt aus dieser Krise hervorgehen wird und dann halt auch andere emotionalen Reaktionen: Die Wut."
Wut über die Zumutungen der Einschränkungen, Wut über die "zivilisatorische Kränkung", wie sie der "FAZ"-Journalist Mark Siemons schon im März nannte, Wut aber auch über die soziale Ungleichheit. Die zeige sich in Pandemien besonders deutlich, sagt der Historiker Malte Thießen, der die Geschichte der Gesundheit, Gesundheitsvorsorge und des Impfens erforscht hat.
"Seuchen sind die sozialsten aller Krankheiten, das heißt im Gegensatz zu anderen Krankheiten sind Seuchen eine Bedrohung, weil potenziell jeder für jeden eine Bedrohung sein kann. Die gesamte Gesellschaft ist betroffen und das führt dazu, dass man Seuchen auch als Seismograf des Sozialen bezeichnen kann", sagt Thießen.
"Das meint konkret, dass Seuchen soziale Spannungen und Verwerfungen sichtbar machen. Also zum Beispiel Ausgrenzungen oder Abschottung von Gruppen oder auch soziale Ungleichheit. Das tritt im Pandemie-Fall deutlich hervor und zeigt, wo es knirscht in der Gesellschaft."
Stigmatisierungen treten in den Vordergrund
In solchen Situationen treten rassistische, antisemitische oder homophobe Vorurteile stärker in den Vordergrund. Thießen erinnert an die Stigmatisierung homosexueller Männer in den späten 1980er-Jahren in der damaligen Bundesrepublik, als renommierte Politiker für Zwangstests plädierten und forderten, Menschen mit HIV-Erkrankung "wegzusperren."
"Was es auch so gibt, sind Bilder des Fremden oder auch so Natur- und Kriegsmetaphern. Das mischt sich zu einer ganz unheilvollen Mixtur. Das heißt bei Ebola kursierte ganz oft die Vorstellung des Ausbruchsmotivs – also die Natur, die jetzt zurückschlägt und im düsteren Afrika die Seuche ausbrütet, die über uns hinüber schwappt. Sie merken an den Metaphern schon, dass so Naturbilder bemüht werden und die schüren natürlich Ängste und sorgen für entsprechende Gefühle und führen zu Ausgrenzungen."
"Das sind Bilder, Metaphern, die benutzt werden, um solche bereits vorhandenen Tendenzen weiter zu entwickeln und dann aber eben auch zu radikalisieren."
Verzerrte Darstellungen: Die Juden als "Bakterium"
Wenn sich solche Gefühle von Angst und Bedrohung Bahn brechen und zu verzerrten Darstellungen führen, kann das eine große Gefahr sein, sagt Bettina Hitzer. Sie verweist auf das Beispiel der Bakteriologie aus dem 19. Jahrhundert, "weil da natürlich auch diese Idee: Man muss den Erreger gezielt bekämpfen, ausschalten, ausrotten, diese Idee dann übertragen wird auf das andere Feld, den Antisemitismus. Die dann auch zu solchen Bildern führt, solchen Darstellungen: die Juden als Bakterium, als Ratten natürlich auch, als Träger von Ansteckungen."
"Das ist natürlich ein klassisches antisemitisches Stereotyp, dass Juden schuld sind an Pandemien. Das haben wir während der Pest gehabt, wo es hieß, Juden hätten Brunnen vergiftet und damit eben die Pest ausgelöst. Und seither gibt es eigentlich keine Pandemie und keine Infektionskrankheiten, die weiter verbreitet sind – Viren –, die nicht diese Zuschreibung bekommen, dass sie von Juden verursacht sind: Ebola, die Schweinegrippe, die Vogelgrippe..."
Auch die Historikerin Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der Berliner Technischen Universität untersucht die Darstellung und Wirkung antisemitischer Propaganda im Kontext von Epidemien. Auch heute manifestiere sich Antisemitismus in Bildern, die Emotionen wecken.
"Im Internet kursiert überall die Figur des 'happy merchant' – also des glücklichen Händlers. Das ist, kann man sagen, eine jüdische Fratze, die so ein bisschen in 'Stürmer'-Manier rüberkommt. Und der hat zum Beispiel auf einem dieser Bilder, die kursieren – oder Memes wie man sagt –, hat der eine Spritze in der Hand und da hat er ein gelbes Schild, wie man in Australien diese Känguru-Warnschilder hat und darunter steht: 'Get your Corona-Virus shot'."
Positive Effekte wie die Sozialmedizin
Ein Bild mit einer doppeldeutigen Botschaft. "Also im ersten Moment hat er die Ampulle mit dem Impfstoff, aber es ist eben nicht der Impfstoff, sondern genauso das andere: Die Menschen sollen verseucht werden mit dem Virus", analysiert Wetzel.
Und damit weist diese Darstellung auch schon in die nahe Zukunft: Ängste vor Seuchen fließen ein in Verschwörungstheorien und nähren Vorurteile vor dem Impfen, meint Malte Thießen. Aber er mahnt auch an, trotz aller negativen emotionalen Auswirkungen von Epidemien auch in historischer Dimension die positiven Effekte nicht komplett auszublenden.
"Zum Beispiel die sogenannte Sozialmedizin im 19. Jahrhundert wird gepuscht durch Seuchen. Also die Vorstellung, dass man die Gesundheitsverhältnisse für alle verbessern muss, damit letztlich auch alle etwas davon haben. Oder ein anderes Beispiel, ein letztes: das Denken in globalen Dimensionen. Das heißt, globale Impfkampagnen zum Beispiel gegen die Pocken, die in den 70er-Jahren ausgerottet werden, weil tatsächlich die ganze Welt an einem Strang zieht und das mitten im Kalten Krieg."
Bleibt ein frommer Wunsch in der Adventszeit: Dass auch bei der Corona-Bekämpfung nicht Gefühle wie Neid, sondern globale Solidarität an Raum gewinnen und die Impfstoff-Verteilung gerecht verläuft.