Fleiß und Bildung allein reichen nicht mehr
29:42 Minuten
"Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir." Jahrzehntelang war dieser Satz Motor für sozialen Aufstieg in Deutschland. So sehr, dass er gewissermaßen zur DNA des Landes gehört. Doch wie zeitgemäß ist dieses Aufstiegsversprechen noch?
Zu Gast bei Hans Schwinger. Wir sitzen in seinem Arbeitszimmer im Dachgeschoss eines Einfamilienhauses in einem Ort bei Schweinfurt. Seine Frau Elisabeth bringt ein Tablett mit Kaffeekanne und Tassen. Ich habe Hans Schwinger Mitte der 1980er-Jahre kennengelernt. Er war damals auf dem Zenit seiner Karriere. Eine unwahrscheinliche Karriere, wie ich heute weiß.
Wenn es um Aufstiegsgeschichten geht, dann erzählt jede Gesellschaft ihre ganz eigene Art davon. Die Gewichtung von Erfolgsaussichten, individueller Leistung, Genialität und gesellschaftlichem Rahmen unterscheiden sich je nach Zeit und Ort. Im Mittelalter galt der Aufstiegsbegierige als ein Narr, der die göttliche Ordnung antasten wollte und dann böse endete. Der American Dream verheißt dem Entschlossenen das Glück. Und in Deutschland - da geht es nur mit Bildung. Auch diese Geschichte: Aufstieg im Deutschland der Nachkriegszeit. Sie beginnt ganz unten auf der sozialen Leiter.
"Meine Mutter war die Tochter eines Kleinbauern, würde man heute sagen. Rehau, Oberfranken. In den 1930er-Jahren kam sie nach Schweinfurt und hat bei Kugelfischer dann gearbeitet", sagt Hans Schwinger. "Da hat sie dann auch meinen Vater kennengelernt. Er ist auch zum Arbeiten nach Schweinfurt gekommen. Sie haben geheiratet und 1939 kam ich dann dazu."
Der Vater fräst Kugellager in der Fabrik, die Mutter näht: "Sie hat geschafft von früh bis Abend, um das Nötige zusammenzubringen."
Aber sie haben einen Jungen, der das mal hinter sich lassen könnte. Ihr einziges Kind. Ein helles Kerlchen, findet die Lehrerin der Dorfschule und rät, ihn zur Aufnahmeprüfung des Gymnasiums zu schicken. Hans muss sich vorstellen.
"Aber nur unter einer Bedingung: Wenn ich bestehe, dann will ich ein paar Fußballschuhe", so Schwinger.
Er bekommt seine Fußballschuhe. Sie kosten 35 Mark, das ist fast der komplette Wochenlohn seines Vaters. Hans wird Gymnasiast.
Mit Kindern von Richtern und Ärzten in einer Klasse
"Die Zeit war schwierig am Anfang", erinnert er sich. "Also mit den Mitschülern, da kamen natürlich einige - der Chefarzt vom städtischen Krankenhaus, dessen Sohn war dabei, zwei Töchter von Richtern, besser gestellte. Ein Arbeiterkind, das war ich! Bei der ersten Matheschularbeit, das weiß ich noch ganz genau, ist der Lehrer schon am Einsammeln, da sind halt noch ein paar, die wollen noch was hinkritzeln, einer davon war ich. Der nimmt mir das Blatt aus der Hand, schaut drauf und fragt mich, sag mal, was ist denn dein Vater? Dreher! Dann wirst du am besten auch Dreher!"
Wird er aber nicht. Stattdessen schließt er als einer der besten seines Abiturjahrgangs ab. Hochschulreife: das entscheidende Sprungbrett einer deutschen Karriere. Das ist heute noch so. Hans Schwinger studiert in München Volkswirtschaft. Das ist schon ziemlich privilegiert für den Sohn eines Metallarbeiters. Aber das gehört einfach zum Wirtschaftswunder dazu.
Ludwig Erhard verspricht Wohlstand für alle. Und niemand soll Angst haben, dass ihm alles wieder genommen wird:
"Und es gibt nur ein fruchtbares Mittel, sich daraus zu erlösen und das ist, zu arbeiten, produktiv zu arbeiten und dann aus dem größeren Kuchen dann auch für alle auch größere Rationen verteilen zu können."
Nur fünf Prozent der Studierenden waren Arbeiterkinder
Besonders Angestellte und Beamte sorgen dafür, dass ihre Kinder mit dabei sind beim Aufschwung. Ihr Anteil in den Universitäten steigt rasant. Bildungsexpansion. In den zehn Jahren nach Gründung der Bundesrepublik steigt die Zahl der Studierenden um ein Viertel. Nur fünf Prozent sind Arbeiterkinder wie Hans Schwinger. Der macht Mitte der sechziger Jahre seinen Abschluss als Volkswirt:
"Wobei für uns damals die Welt offenstand", sagt er. "Damals war es ein Türöffner für mich. Aber es gab eine Grenze für mich - ich wollte in Schweinfurt anfangen."
Wegen Elisabeth. Sie tippt ihm seine Bewerbungen und kurz darauf fängt er beim Wälzlagerhersteller SKF an. Die Schwedischen Kugellagerfabriken, ein großer internationaler Konzern. Alle, sagt er, die damals mit ihm in der Organisationsabteilung zusammen waren, haben ordentliche Karrieren hingelegt. Wer unten anfängt, hat viel vor sich. Kaum einer seiner früheren Kollegen hatte es so weit wie Hans Schwinger. 30 Jahre geht es meist aufwärts. Er hat das Gefühl, dass sich das so gehört, für einen mit Fleiß, Intelligenz und ein bisschen Glück. Erstaunlich?
"Ich habe mir höchstens Gedanken gemacht, wie kannst du die ganzen Probleme lösen, die da anstehen, aber so den Hintergrund, dass ich mir gesagt habe, toll, was du da gemacht hast, eigentlich nie, eigentlich nie. Das ist komisch, oder?"
Ein Arbeiterkind wird Personalchef
Am Ende hilft ihm vielleicht sogar seine einfache Herkunft bei der Karriere. Ein Arbeiterkind als Personalleiter des wichtigsten Standortes des globalen Konzerns. Mit dem kommen die Arbeitnehmervertreter in Schweinfurt gut aus:
"Der Betriebsrat hat gesagt, den Schwinger würden wir gerne nehmen als Personalchef für Schweinfurt. Das bin ich dann auch geworden. Allerdings zusammen mit meiner anderen Funktion und die war inzwischen riesig geworden. Die gesamte Führungskräfteausbildung."
Hans Schwinger bleibt sehr unaufgeregt, wenn er von seinem Werdegang erzählt.
Das mag zum einen daran liegen, dass er jetzt schon 20 Jahre Rentner ist. Zum anderen vielleicht, weil sich für ihn einlöst, was man uns allen immer verspricht.
Zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Wohlstand für alle heißt heute und morgen Bildung für alle."
Es ist ein Aufstiegsversprechen mit irritierender Vergangenheit.
"Die schöne Formel, die wir dafür kennen, Aufstieg durch Bildung oder Aufstieg der Begabten, entstammt der Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts, sie ist also vielleicht 130, 140 Jahre alt", sagt der Bildungsforscher Elmar Tenorth. "Erst seit dieser Zeit kann man sich in der deutschen Nation, aber auch in den westlichen Gesellschaften insgesamt vorstellen, dass es die Chance gibt, die Herkunftsschicht zu verlassen und über Bildungs- und Lernprozesse in andere Lebenswelten, Berufsperspektiven, Handlungsmöglichkeiten aufzusteigen als die, die man vom Elternhaus her kannte."
Elmar Tenorth war bis 2011 Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Fachgebiet: historische Bildungsforschung, "vor allem aber auch über kollektive Mythen, die sich mit Bildung beschäftigen und mit dem, was Bildung in Deutschland bedeutet", erklärt er.
Den inneren Frieden durch Bildung herstellen
Tenorth führt zurück in die Zeit der Industrialisierung: Unterprivilegierte Menschen strömen in die boomenden Wirtschaftsregionen, das Ruhrgebiet, nach Berlin. Kleine Handwerker, Landarbeiter, die keine Zukunft mehr in ihrem angestammten Berufen sehen, Migranten aus dem Osten. Sie sind jung, mobil und suchen eine Perspektive für sich und ihre Kinder. Es wird unruhig im Sozialgefüge. Aber bevor sie gegen eine Gesellschaftsordnung rebellieren, in der wenige viel und sehr viele ganz wenig haben, wird ihnen etwas geboten: unser Aufstiegsversprechen.
"Das ist ein Pazifizierungsinstrument, eine Herstellung des inneren Friedens durch Bildung. Und einer der Pädagogen, der daran beteiligt war, hat dann ja gesagt: Die Schule hat dann die Funktion im Frieden, die der Generalstab im Kriege hatte", sagt Tenorth.
"Er muss dafür sorgen, dass das Volk zur Einheit kommt. Und das ist so zynisch offen gesagt worden. Als ich das zum ersten Mal in den Akten gelesen habe, habe ich wirklich vor Wut auf den Tisch geklopft."
Der Unmut des Bildungsforschers nährt sich vor allem aus dem Umstand, dass das Konstrukt Aufstiegsversprechen noch immer so gut funktioniert. Es gehört zum nationalen Selbstverständnis, ist ein Teil der Deutschland-DNA. Es gibt Hoffnung und mehr Ansporn, sich zu bilden. Was es nicht gebracht hat: ein Ende der sozialen Ungleichheit. Die ist in den letzten Jahren sogar gewachsen. Bildungsrepublik hin oder her: Das obere Zehntel der Gesellschaft besitzt zwei Drittel von allem, dann geht es rasch abwärts, die untere Hälfte hat fast nichts. Aber sie ist jetzt viel kultivierter.
"Ludwig Erhards Slogan war 'Wohlstand für alle', Angela Merkels Slogan ist 'Bildung für alle'. Sie hat bewusst gesagt, wir ersetzen den Slogan von Ludwig Erhard, Wohlstand für alle, durch Bildung für alle", so Tenorth. "Bildung für alle macht aber eine Attribuierung: 'Du bist selbst schuld, wenn du nicht anständig lernst, wenn du nicht anständig leistest, dann ist deine Armut selbst verschuldet.'"
Bildungspolitik kann keine Sozialpolitik ersetzen, die Ungleichheit wirksam bekämpft, ist Elmar Tenorth überzeugt. Aber solange es die nicht gibt, bliebe der Aufstieg durch Bildung das einzig gangbare Handlungsmuster.
"Sie können sich dem Spiel nicht entziehen, obwohl Sie wissen, dass es kein kollektives Glücksversprechen ist, sondern dass es ein individualisiertes Karriereversprechen ist, das Sie eingehen. Karriere ist von Zufällen abhängig und Sie können sie nicht vollständig kontrollieren. Aber es ist dennoch die einzige rationale Chance, die man hat, sich an diesem Spiel zu beteiligen und dann möglichst mit den allerbesten Wettbewerbsbedingungen, die Sie haben: gute Zeugnisse, gute Examina, Studiengänge, die etwas wert sind!"
In einer Zeit, in der gut die Hälfte eines Jahrgangs die Schule mit einer Studienberechtigung abschließt, ist der Kampf um die aussichtsreichen Plätze im Wettbewerb härter geworden. Fast ein Drittel der Abiturienten studiert. Und es scheint immer mehr Eltern zu geben, die nicht mehr daran glauben, dass die Standard-Bildungsmöglichkeiten da noch ausreichen. Viele sind selber weitergekommen, da soll es den Kindern doch mindestens - naja, zumindest nicht schlechter gehen:
"Will ich denn Chancengleichheit für alle haben? Eigentlich nicht so richtig, denn eigentlich will ich ganz oben sein. Und auch wenn ich mir dann mehr leisten könnte und ähnliches. Relativ gesehen ist es nicht so schön der Letzte zu sein. Ich will oben mit dabei sein."
Internat Haubinda - ein Traum für die, die es sich leisten können
"Jetzt kommen wir zu den Kleinsten, zu unserer Grundschule, sie umfasst 65 Schülerinnen und Schüler und ist im Jahr 2001 neu gebaut worden", erklärt Burkhard Werner, Jahrgang 1965 und seit 2001 Gesamtleiter der Hermann-Lietz-Schule Haubinda.
Werner führt über das Gelände seiner Einrichtung: die Hermann-Lietz-Schule Haubinda. 100 Hektar, 40 davon sind Wald. Fernab von allem, ganz im Süden Thüringens, hinter den Hügeln beginnt Bayern. Es ist eine Ganztagsschule mit Internat. Beim Rundgang beschleicht den Vater in mir ein schlechtes Gewissen. Das ist schon toll, wenn man das seinen Kindern bieten kann. Über 40 Prozent der deutschen Eltern würden ihre Kinder an einer Privatschule anmelden, wenn es ihnen möglich wäre. Sollte ich mir das auch überlegen?
"Ich habe diesen Begriff Privatschule nicht so gerne. Ich mag es lieber zu sagen, wir sind eine freie Schule. Es ist die Idee, eine Alternative zum öffentlichen Schulwesen zu schaffen."
Helle, kuschelige Räume. Eine sehr aufmerksame und zugewandte Unterrichtssituation schon bei den Kleinen. Nur supermotivierte Lehrkräfte. Wie Ines Schwesinger: "Ich komme von Sonneberg hierher und fahre dann wieder nach Hause, jeden Tag eine Stunde, weil diese Schule so einmalig ist, das hier riesigen Spaß macht, zu unterrichten."
Nirgends Tumult oder Gedränge. 16 Kinder pro Klasse. Einzügig.
"Größer wollen wir es nicht werden lassen. Pro Jahr haben wir ungefähr zwischen 40 und 50 Anmeldungen und können nur 16 Kinder aufnehmen", sagt der Schulleiter.
Zwischen Grundschule und Haupthaus bleibt er stehen und deutet ins Tal. Unterhalb sind Ställe, ein kleiner Bauernhof mit Hasen, Hühnern, Gänsen. Darum kümmern sich die 5. und 6. Klassen.
Weiter hinten gibt es noch einen großen Bauernhof. Da werden Ziegen gezüchtet und Reitpferde gehalten:
"Die bieten den älteren Schülern die Möglichkeit, einen emotionalen Zugang zu finden, ein Stück weit Sorgen zu vergessen", erklärt Werner.
Man macht das im Sinne des Internatsgründers. Der Bildungsreformer Hermann Lietz, Jahrgang 1868, Bauernsohn und damit selbst ein Bildungsaufsteiger. Aber auch einer, der als glühender Deutschnationaler seine Zöglinge zum Kriegseinsatz drängte und Juden schmähte. Werner verschweigt das nicht. Es schmälert aber nicht seine Achtung für Lietzens pädagogisches Vermächtnis.
"Auch mit seinen Schwächen und vielleicht Fehlern, die er hatte", betont er. "Aber in der Gesamtschau hat er insbesondere für die Entwicklung der praktischen Pädagogik Unschätzbares geleistet, indem er das Handwerk, die Kunst in den tagtäglichen Unterricht mit eingebunden hat. Er ist immer dafür eingetreten, dass der Unterricht sich an der Praxis messen lassen muss. Und nicht immer nur ein theoretisches Auswendiglernen sein kann, sondern Bildung muss für die Kinder erfahrbar sein und erlebbar und das in einer gesunden Umgebung. Und das ist heutzutage immer noch sehr modern."
Ein Schulgeld, das sich nicht viele leisten können
Es gibt Schulen in Deutschland, da ist das Dach undicht und die Toilette verstopft. Hier ist alles picobello. In der Provinz, aber auf der Höhe der Zeit: ab der 11. nur noch Laptopklassen. Mit hauptberuflichem IT-Administrator. Aber das hat seinen Preis. Meine Kinder werden es eher nicht hierher schaffen.
"Da mache ich überhaupt keinen Hehl draus, da schäme ich mich auch gar nicht dafür", sagt Werner. "Wir haben hier zwei Preise, einer für die Tagesschule. Da liegen wir bei 300 Euro im Monat. Das allerdings 12 Monate im Jahr, denn ich sage den Eltern, ich muss meine Leute auch in den Ferien bezahlen. Der Internatsaufenthalt ist sehr teuer. Wir liegen da bei rund 2200 Euro. Da wissen wir, dass sich das nicht viele Eltern leisten können. Da sind wir weit über die normale Mittelschicht hinaus."
Burkhard Werner muss sich keine Sorgen machen, dass er sein Haus nicht voll bekommt. Der Bedarf wird nicht gedeckt. Die Zahl der freien Schulen hat sich in den letzten 25 Jahren verdoppelt. Eine Dreiviertelmillion Schüler. Auch ein Bildungsversprechen. Eines, bei dem nirgends zuverlässig untersucht worden ist, ob es tatsächlich mehr bringt. Der Zuwachs der freien Schulen liegt natürlich auch an den neuen Bundesländern. Vielleicht eine Art unbefriedigtes Bedürfnis nach elitärer Förderung und Misstrauen gegen staatliche Schulen.
Warum reicht die staatliche Schule nicht mehr? Ich habe Schüler gefragt, warum sie hierher geschickt worden sind.
Tom meint:
"Also, zunächst muss man mal sagen, dass alle meine Geschwister auf Privatschulen gegangen sind. Ich weiß nicht, ob sie jetzt den einen großen Grund haben, aber oft sind ja Gerüchte und Vorurteile gegen staatliche Schulen vorhanden, dass es dort schwieriger ist. Durch Film und sonstiges weiß man, dass da mehr Gewalt herrscht. Durch einige Lehrer hier weiß ich, dass das so ist. Ich glaube einfach, meine Eltern wollten dieses Risiko umgehen."
"Also, zunächst muss man mal sagen, dass alle meine Geschwister auf Privatschulen gegangen sind. Ich weiß nicht, ob sie jetzt den einen großen Grund haben, aber oft sind ja Gerüchte und Vorurteile gegen staatliche Schulen vorhanden, dass es dort schwieriger ist. Durch Film und sonstiges weiß man, dass da mehr Gewalt herrscht. Durch einige Lehrer hier weiß ich, dass das so ist. Ich glaube einfach, meine Eltern wollten dieses Risiko umgehen."
Larissas Eltern ging es offenbar vor allem um die Schulqualität:
"Meine Mutter ist zu Hause, also in Duisburg zur Schule gegangen und hat halt gemerkt, dass das Schulsystem, die staatliche Schule nicht allzu gut ist. Weil die Klassen komplett überfüllt sind, 30 - 40 Schüler und dann kriegt man halt kaum Nachhilfe oder sowas. Das ist halt nicht das Beste."
"Meine Mutter ist zu Hause, also in Duisburg zur Schule gegangen und hat halt gemerkt, dass das Schulsystem, die staatliche Schule nicht allzu gut ist. Weil die Klassen komplett überfüllt sind, 30 - 40 Schüler und dann kriegt man halt kaum Nachhilfe oder sowas. Das ist halt nicht das Beste."
"Wenn es Fragen gibt, kann man zu jeder Zeit zu einem Lehrer hingehen", sagt Tim. "Und das ist der größte Unterschied zu einer staatlichen Schule, da ist der Abstand eher größer."
Die Ansprüche der Eltern sind gestiegen
Die Erwartungshaltung der Eltern sei enorm, sagt Schulleiter Werner. "Und sie ist auch im Laufe der Zeit gestiegen. Es geht also nicht nur darum, dass die Kinder behütet sind und ein warmes Mittagessen bekommen, sondern es soll natürlich exzellenter Unterricht stattfinden und die Kinder sollen das Bestmögliche erreichen können. Alle Bereiche sollen gefördert werden. Das ist so eine Art eierlegende Wollmilchsau, die man ein Stück weit erwartet."
Der Leiter der Hermann-Lietz-Schule Haubinda lobt seine Schule gerne, aber er kann auch selbstkritisch sein. Das ist dann, über Bande gespielt, die beste Werbung überhaupt. Dass hier vor allem Kinder bessergestellter Eltern aufeinandertreffen, soziale Segregation? Wirklich schade, dass die anderen draußen bleiben! Ist mir aber als rationalem Vater in dem Aufstiegsspiel egal. Ich will ja, dass mein Kind die allerbesten Chancen hat. Es kommen unsichere Zeiten.
"Es gibt in der gesamten Gesellschaft ein hohes Maß an einer gewissen Ängstlichkeit, den jetzigen Lebensstandard nicht mehr zu halten. Man hat das Gefühl, da könnte was passieren", sagt Werner. "Und dann baut man vor und versucht irgendwo zu investieren, ich will es nicht unbedingt mit einer Lebensversicherung vergleichen, aber man investiert in das Kind, um ihm diese Möglichkeit zu geben, diese Stellung, die man als Familie hat, zu erhalten."
Das mit der Abstiegsangst stimmt wohl - in bestimmten Teilen der Gesellschaft. Die unteren 20 Prozent der Gesellschaft haben sie eher nicht. Da gibt es nicht viel Abstiegspotenzial. Die oberen 20 auch nicht, da ist das Polster zu dick. Aber dazwischen ist eine Mittelschicht, die zwar von den Bildungsangeboten der vergangenen Jahrzehnte profitieren konnte, aber sie erlebt ihre dadurch erworbene Stellung als fragil, durch unsichere Beschäftigungsverhältnisse und den Umbau sozialstaatlicher Absicherung. Was wird wohl aus den Kindern?
"Wir sind leider bei der Durchlässigkeit, auch bei der Frage, was haben die Eltern als Beruf und was haben die Kinder dann als Berufsperspektive, noch nicht so weit, wie ich das gerne wäre", räumte etwa Bundeskanzlerin Merkel ein.
Kinder von Migranten und Arbeitern im Nachteil
Der Bildungsforscher Reinhard Pollak wundert sich allerdings über die Diskussion, dass die Aufstiegsgesellschaft zuende sei: "Dass wir in einer Abstiegsgesellschaft leben, das lässt sich empirisch einfach nicht halten", sagt der Leiter der Forschungsgruppe Nationales Bildungspanel Berufsbildung und lebenslanges Lernen am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Pollak zufolge gibt es in Deutschland zweimal so viele Aufstiege wie Abstiege, egal ob man sich das aus der Bildungsperspektive oder der wirtschaftlichen ansieht. Also doch eine Aufstiegsgesellschaft. Aber es ist eine, die das Ausmaß des Erfolges stark vom Elternhaus abhängig macht. Im Vergleich zu anderen Industriestaaten zeigt sich: Die Nachkommen von Arbeitern und Migranten haben es in Deutschland nach wie vor besonders schwer. Eine relativ starre Sozialstruktur, meint Pollak:
"Ich stelle mir das ein bisschen vor wie einen Fahrstuhl - oder noch besser, wie eine Leiter. Die Leute stehen auf einer Sprosse und dann kann es sein, dass sich die ganze Leiter nach oben bewegt. Und dann stellen sich aber alle besser. Haben alle mehr Bildung, alle mehr Einkommen, oder sie können sich alle einen schöneren Urlaub leisten. Wenn alle noch in der gleichen Lage sind, dann hat sich an der Struktur der Gesellschaft nicht viel geändert. Mir geht es vielleicht insgesamt vom Lebensstandard her besser. Ich bin allerdings noch immer am unteren Ende der Gesellschaft."
Wäre die Gesellschaft wirklich durchlässig, dann würde der Abstieg eigentlich dazu gehören. Aber das wollen die, die oben auf der gesellschaftlichen Leiter stehen, nicht wirklich. Das sähe nämlich so aus:
"Es gibt in der Gesellschaft eine ganze Reihe von Positionen, es gibt eine Hierarchie, und wenn meine Eltern an Nummer sieben stehen und ich möchte jetzt an Nummer zwei stehen - von zehn, ganz einfach gesagt - wenn ich dann auf Nummer zwei komme, bedeutet das aber, dass Nummer zwei, drei, vier, fünf und sechs eins nach unten gerutscht sein müssen, sonst wäre kein Platz mehr auf der zwei. Diese Aufstiege, wenn man das relativ sieht, sind auch ein Nullsummenspiel. Das ist etwas, das in der Diskussion ganz oft weggelassen wird."
Was, wenn der Kuchen für alle nicht mehr wächst?
Das gängige Modell, bei dem es für alle gleichermaßen nach oben geht, kommt dann an seine Grenzen, wenn der Kuchen, von dem alle immer mehr wollen, aufhört größer zu werden. Und Gedanken über die Grenzen des Wachstums darf man sich heute schon machen. Was bedeutet Statuserwerb in der Postwachstumsgesellschaft?
"Wenn wir über sozialen Aufstieg sprechen, dann haben wir vor allem das Bild im Kopf, mein Vater, meine Mutter kommen aus einfachen Verhältnissen und ich habe das dann über Bildung, oder obwohl ich nur einen mittleren Abschluss geschafft habe, geschafft", sagt der Bildungsforscher Reinhard Pollak.
"Das sind so die Geschichten, die erzählt werden, wenn es um sozialen Aufstieg geht. Dieses Bild ist vielleicht etwas romantisierend. Und das hängt damit zusammen, dass wir damals auch einen viel größeren Anteil an Arbeitern hatten. Somit trifft dieses Bild aus den 60er-Jahren gar nicht mehr so richtig, das sind heute andere Verhältnisse und andere Ideen. Wir müssen uns eher überlegen, was bedeutet es für die Kinder, sozialer Aufstieg, wie wichtig ist es denen, und inwieweit ist dann ein Aufstiegsversprechen auch noch möglich und umzusetzen in der Gesellschaft."
Eine Jugendliche sagt:
"Das ist eine gute Frage. Naja grundsätzlich, Aufstieg ist ja eher etwas von wegen, ich bin irgendwo weiter unten und ich möchte weiter nach oben. Grundsätzlich habe ich nicht das Gefühl, dass ich weiter nach oben kommen müsste. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass da irgendjemand Erwartungen hat, dass ich irgendetwas besser mache als irgendjemand anderes, dass ich irgendwo weiter nach oben in die Nahrungskette komme."
Auch auf den Habitus kommt es an
"Ich habe dann den Begriff "ganz oben" so definiert, dass man dort ankommt, wo es für einen selber das Allerhöchste ist und das ist dann natürlich ein subjektiver Begriff", sagt die Autorin Doris Märtin.
Wir sind im Bistro des Hotel Orphee in Regensburg. Kellner mit weißer Schürze. Ein zurückhaltend stilvoller Ort, den Doris Märtin für unser Gespräch über den Aufstieg, die Abstiegsangst und das gute Leben ausgesucht hat. Distinguiert. Sie fühlt sich hier wohl. Wir sprechen über ihr jüngstes Buch.
"Habitus ist jetzt mein 18. und für mich selber ist es auch ein ganz besonders wichtiges Buch", sagt sie.
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu, dessen Ideen Märtin aufgegriffen hat, hat sich intensiv damit beschäftigt, warum es unterprivilegierten Gruppen der Gesellschaft so schwer fällt, über Bildung aufzusteigen. Er ist auf ein Instrumentarium von sozialen Verhaltensweisen und Einstellungen gestoßen, die es dem Einzelnen ermöglichen, erfolgreich in seinem angestammten Umfeld zu agieren. Habitus nannte er dieses Konzept.
"Und wir können auch nicht keinen Habitus haben", betont Märtin. "Jeder von uns hat ihn und so bestimmt er unser Leben auch ganz immens. Er bestimmt, mit wem wir uns wohlfühlen, wo wir uns wohlfühlen, mit welchen Menschen wir gut können und, was ich auch ganz besonders wichtig finde, welche Dinge wir für uns überhaupt ins Auge fassen, welche Horizonte wir haben."
Das funktioniert dann wohl auch in die andere Richtung. In anderen Kontexten, beim Besuch einer höheren Schule, beim Kontakt mit anderen sozialen Klassen sorgt der Habitus für Gefühle von Fremdheit und Abwehr.
"Wenn jemand in der Mittelschicht angelangt ist und möglicherweise weit vorne angelangt ist, dann wird sich der Habitus auch durch einen Abstieg nicht sehr stark verändern. Denn der Habitus ist eine träge Größe, im Positiven wie im Negativen. Es dauert sehr lange, bis wir den Habitus verlieren. Und vielleicht resultieren diese Ängste, die wir vor dem Abstieg haben - und vielleicht haben wir ja beide diese Ängste auch - daraus, dass man sich fragt, wie man sich bewähren könnte, wenn das Leben weniger abgepolstert wäre. Wenn ich mir Dinge nicht mehr kaufen könnte. Und da meine ich so Sachen wie eine vernünftige Krankenversicherung. Ich muss überlegen, kann ich eine Rechtsschutzversicherung haben oder nicht? Dass man gar nicht weiß, wie man sich in so einer anderen Welt bewegen könnte."
Märtins Buch liest sich zuerst wie ein Ratgeber für Leute, die selbst unbedingt oben sein oder ihre Kinder dort sehen wollen. Wie tickt die Oberschicht, was muss ich machen, um den richtigen Stallgeruch zu bekommen, um da mitspielen zu können.
"Die Finanzen, das Wissen, Kultiviertheit, Sprache, mentale Stärken, das Aussehen, die Fitness, die Energie, die man hat, die sozialen Bindungen. Dass eines das andere bedingt. Es wendet sich vor allen Dingen auch an Leser, die sich ein facettenreiches Leben wünschen. Die sich wünschen, dass sie bei all diesen Kapitalformen ein relativ gutgefülltes Portfolio haben."
Man ist ja nicht nur, was man auf der Bank hat: Zugehörigkeit zu einer Klasse wird nach Bourdieu nämlich nicht allein am ökonomischen Kapital fest gemacht. Und in einer Gesellschaft, in der nur wenige ums nackte Überleben kämpfen, aber alle darauf aus sind, ihren Status im Sozialgefüge zu verbessern, könnte das kulturelle Kapital zum ideellen Aufstieg verhelfen.
Der gehobenen Mittelschicht fehlt eine gewisse Härte
"Ich bin der Meinung, dass man den Habitus gerade in unserer Zeit sein ganzes Leben lang entwickeln kann", sagt Märtin. Und: den einmal erworbenen Habitus könne einem niemand mehr nehmen. Die Idee ist verlockend. Der Aufstieg wäre dann schon eher nachhaltig und ressourcenschonend. Bildung wird ein Weg der individuellen Konstruktion des Selbst! Als Chance für den Einzelnen, sein Leben so zu gestalten, dass er es als reich und erfüllt begreift. Auch das ist ein Versprechen, das sich schon immer mit Bildung verbindet, eines, das jetzt auch den vielen Gebildeten hilft, sich mit der ökonomisch ungleichen Welt abzufinden. Ihre Lebensumstände ganz okay zu finden, statt für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Das ist dann der Punkt, an dem sich die weltoffene, gehobene Lebenseinstellung mit dem Habitus der Unterschicht trifft.
"Der Habitus der weniger gebildeten Schichten - das wird zu wenig gesehen - der hat seine ganz eigenen Stärken. Da ist ein gewisser Pragmatismus da, da ist die Fähigkeit, sich mit den Gegebenheiten abzufinden und sich zu arrangieren. Da ist auch eine gewisse Härte da, die uns in der Mittelschicht und der gehobenen Mittelschicht vielleicht fehlt."