"Kinder brauchen andere Kinder"
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Der Sozialethiker Peter Dabrock kritisiert die Empfehlung der Leopoldina, Kitas bis Sommer geschlossen zu lassen: Dies sei ein "schwerer Grundrechtseingriff". Der Kontakt mit Gleichaltrigen sei für Kinder und deren Entwicklung unverzichtbar.
Die Wissenschaftsakademie Leopoldina hat eine baldige, schrittweise Öffnung der Schulen für Kinder bis zur 10. Klasse empfohlen. Die Kitas sollen dagegen weiterhin weitgehend geschlossen bleiben, bis zum Sommer. Die Begründung: Kleinere Kinder können die Sicherheitsmaßnahmen nicht gut einhalten – wie beispielsweise das Tragen von Schutzmasken oder Abstandsregeln.
Aus Sicht des Sozialethikers Peter Dabrock ist dies "Wahnsinn". Die Empfehlung sehe Kinder wohl "vor allem als Erziehungs- und Betreuungsobjekte", hat der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats auf Twitter geschrieben. Dabei gehe es in Kitas auch um "Begegnungen, Freude, Freundschaft".
Würde die Regierung der Empfehlung der Leopoldina folgen, so würde für manche Kinder "eine Welt zusammenbrechen", erläutert Dabrock gegenüber Deutschlandfunk Kultur seine Position. Denn der Vorschlag der Leopoldina würde für die Kinder bedeuten, dass sie fast ein halbes Jahr ohne gleichaltrige Freunde verbringen müssen.
Das sei für so junge Menschen "eine halbe Ewigkeit". Denn gerade in diesem Alter seien "Peers" extrem wichtig für die Entwicklung. "Deswegen brauchen Kinder andere Kinder."
"Sehr schwerer Grundrechtseingriff"
In einer halbjährigen Kitaschließung sieht Dabrock daher einen "sehr schweren Grundrechtseingriff bei den jüngsten Grundrechtsträgern". Da Kinder meist nicht zu der Risikogruppe bei Coronaviruserkrankungen zählen, sei es fraglich, ob ein solch vehementer Eingriff in ihre Grundrechte vertretbar sei.
"Wenn Kinder selbst kaum Risikoträger sind", sagt er, "dann muss man in der Tendenz schon sagen, dass es nicht mehr verhältnismäßig ist, wenn hier wirklich für ein halbes Jahr lang wesentliche Prozesse der eigenen Persönlichkeitsbildung so zurückgestuft werden. Da muss man nach anderen Maßnahmen schauen, die milder sind."
Als Gegenvorschlag rät Dabrock dazu, die Sicherheitsmaßnahmen gegenüber Coronavirus-Risikogruppen zu erhöhen. Dies müsse nicht in den nächsten zwei bis drei Wochen geschehen. Aber ab Mitte Mai oder Juni müsse man aber darüber reden, dass "alles dafür getan werden muss, dass die Hochrisikogruppen in eine für sie erträgliche Selbstquarantäne hinübergehen können".
Das scheine ihm "gerechter, als die Allerkleinsten, die selber kaum betroffen sind, diesen elementaren Grundrechtseingriffe auszusetzen", so Peter Dabrock.
(lkn)