Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan

Die Unterscheidung in Migranten und Deutsche überwinden

07:16 Minuten
Porträtfoto von Naika Foroutan
Will mehr Teilhabe für Migranten an der Gesellschaft: Migrationsforscherin Naika Foroutan. © Deutschlandradio
Moderation: Ute Welty |
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Die Politologin Naika Foroutan plädiert dafür, die Gesellschaft nicht mehr in Migranten und Deutsche zu spalten. Sie spricht von einer „postmigrantischen Gesellschaft“ - in der es um die Einebnung von Ungleichheiten und um Teilhabe gehen müsse.
Artikel 3 des Grundgesetzes legt fest: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." Obwohl das natürlich auch für Migranten gilt und in der deutschen Gesellschaft immer mehr Migranten leben, sind sie nach wie vor von Benachteiligung betroffen.
Allerdings könne man bei einer Bevölkerung, in der immer mehr Menschen einen Migrationshintergrund haben, kaum noch von Migranten sprechen, sagt Naika Foroutan, Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin, im Deutschlandfunk Kultur. "Wir sind in einer Phase, in der die Einteilung in Migranten und Deutsche brüchiger wird." Diese Brüchigkeit führe zu "Identitätsstress", also den immer wiederkehrenden Fragen: Wer sind wir? Was ist deutsch? Wer kann mitsprechen?
Daher spricht Foroutan von der "postmigrantischen Gesellschaft" - so auch der Titel ihres neuesten Buches. Bei diesem Konzept gehe es zum einen darum, nicht die Migrationsfrage selbst zu verhandeln, sondern die fortschreitende Pluralisierung. Zum anderen geht es um die "Kernmarken der Demokratie": Freiheit und Gleichheit.

Weg vom Teile-und-herrsche-Prinzip

"Sind wir so eine moderne Demokratie, wenn wir es nicht schaffen, Ungleichheiten für bestimmte soziale Gruppen auszuebnen? Und wenn sich diese Ungleichheiten stetig weiter manifestieren, stimmt offensichtlich etwas mit unserem Selbstbild nicht", sagt Foroutan.
"Solange wir die Gesellschaft in Migranten und Nichtmigranten spalten, haben wir ein sogenanntes Teile-und-herrsche-Prinzip aufrechterhalten, wo wir immer den einzelnen Gruppen die Schuld für ihre ungleichen Positionen in der Gesellschaft zuweisen können." Es heiße dann, es läge an ihrer jeweiligen Kultur oder daran, dass sie nicht arbeiten wollten.
Foroutan plädiert dafür, den Blick umzudrehen, Ungleichheit anzuerkennen und sich die Teilhabe zum Ziel zu setzen. Sie räumt ein, es sei zwar ein utopisches Leitziel, aber: "Es bleibt ein Ziel, ein Treiber der Gesellschaft und den müssen wir erhalten, sonst fangen die Menschen in dieser Gesellschaft an, an den demokratischen Grundzügen zu zweifeln."
(leg/abr)

Naika Foroutan: Die postmigrantische Gesellschaft. Ein Versprechen der pluralen Demokratie
Transcript, Bielefeld 2019
280 Seiten, 19,99 Euro

Hat die deutsche Gesellschaft das Versprechen der Gleichheit nicht eingelöst?
Aladin El-Mafaalani
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