Wie Misstrauen die Wähler beeinflusst
Der Soziologe Heinz Bude sieht den Wahlerfolg der AfD in einem massiven Vertrauensverlust gegenüber der etablierten Politik begründet. Es sei außerordentlich schwer, dieses Misstrauen wieder in eine Art von Vertrauen zu verwandeln.
Im Deutschlandradio Kultur sagte Bude, die AfD profitiere von einem weit verbreiteten Gefühl des tiefen Misstrauens, ob das Land eigentlich noch richtig geführt werde und die Politik überhaupt noch in der Lage sei, Befürchtungen und Stimmungen aufzunehmen und zu repräsentieren. Die Flüchtlingskrise habe dann Gereiztheit und Misstrauen in bestimmten Bevölkerungsschichten noch intensiviert.
Es sei außerordentlich schwer, dieses Misstrauen wieder in eine Art von Vertrauen zu verwandeln, betonte der Soziologe. Bude hat dennoch Hoffnung – denn unter dem Misstrauen und der Gereiztheit sieht er "ein Bedürfnis, die Dinge wieder zusammenzufügen". Bude sprach von einer "untergründigen Stimmung der Reparatur" – und diese werde vom politischen Personal in sehr unterschiedlicher Weise bedient. Man könne den Erfolg der AfD auch positiv sehen, sagte Bude – dieser sei für den Augenblick "eine Emanzipation der Gesellschaft von der Politik".
Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Heinz Bude, Professor für Makrosoziologie an der Universität in Kassel, lebt in Berlin, hat ja schon oft wichtige Debatten angestoßen mit seinen Büchern über die Flakhelfergeneration zum Beispiel oder die Achtundsechziger. Und auch sein neues Buch scheint wieder einen Nerv zu treffen.
Er schreibt nämlich über die Macht von Stimmungen und beschreibt quasi die Blaupause für das, was wir gerade erleben, nämlich die Stimmung der Gereiztheit in unserem Land, die keine positive Idee von der Zukunft mehr zulässt. Das schreibt er zumindest, und ich begrüße ihn jetzt hier in "Studio 9" – schön, dass Sie unser Gast sind, Herr Bude!
Heinz Bude: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Blicken wir doch noch einmal auf gestern Abend zurück. Erleben wir genau das, was Sie in Ihrem Buch schreiben, nämlich eine hochschießende Bewegung des Misstrauens, die sich AfD nennt?
Bude: Ich fürchte, man kann das so sehen. Ich glaube schon, dass die AfD einerseits sicherlich radikale Motivlagen in unserer Gesellschaft abgreift, aber auch etwas abgreift, was sich relativ weitgehend ausgebreitet hat, nämlich so ein Misstrauen darin, ob wir eigentlich richtig geführt werden, oder andersherum, ob die Politik noch in der Weise in der Lage ist, Befürchtungen, Atmosphären, Haltungen in der Gesellschaft aufzunehmen und zu repräsentieren. Also Misstrauen als so ein Grundgefühl, was nicht nur in Deutschland existiert. Die Misstrauensgesellschaft ist, glaube ich, eine Form der politischen Orientierung oder Nichtorientierung, die wir auch in Frankreich haben, die wir auch in den USA haben.
Brink: Ich wollte gerade sagen – Donald Trump ist ja nichts weiter als die Reaktion darauf.
Auch Deutschland hat jetzt eine Misstrauensgesellschaft
Bude: Genau. Das hat eben jetzt auch Deutschland erreicht, und es ist außerordentlich schwer, wie man dieses Misstrauen wieder in irgendeine Art von Vertrauen verwandelt, und zwar sowohl in das Selbstvertrauen der Gesellschaft in sich selber als auch das Vertrauen der gesellschaftlichen Milieus und Gruppen in die Politik im Allgemeinen. Das machen Politiker unterschiedlich gut, das haben wir auch gestern Abend wieder gesehen. Aber ich glaube schon, wir sind in einer solchen Misstrauenssituation, und es wird sehr interessant sein, wie sich dieser Test dann im Blick auf natürlich andere Wahlen und am Ende auf die Bundestagswahl auswirken wird.
Brink: Hat denn dann diese Flüchtlingskrise diese Stimmung der Gereiztheit beeinflusst?
Bude: Ich glaube schon. Sie hat sie sehr, ich würde sagen, sie hat sie intensiviert. Diese Stimmungslogik der Gereiztheit, die haben wir eigentlich schon länger in Deutschland. Und ich glaube, das ist eine Folge einer ziemlich grundlegenden Veränderung der deutschen Gesellschaft in den letzten 15, 18 Jahren, wo wir uns allgemein doch am Ende dieser Maxime der Steigerung der Konkurrenzfähigkeit verpflichtet haben, dass man dachte, okay, wir machen jetzt alle mit, und wir sind jetzt nicht mehr so sehr beeinflusst durch irgendetwas, was hinter uns lag – kollektive Kriegsfolgenbetroffenheit durch den Zweiten Weltkrieg, durch den Völkermord, durch eine Niederlage im Zweiten Weltkrieg – alles das sind Themen, die die mittlere und jüngere Generation eigentlich nicht mehr interessieren.
Und jetzt kam irgendwie diese neue Formel, wir müssen uns an eine internationale Weltsituation wirtschaftlich, aber auch politisch gewöhnen. Und ich glaube, das hat die deutsche Gesellschaft ziemlich durcheinandergerüttelt, weil auch Verlierer dieser Entwicklung zu konstatieren sind.
Denken Sie nur mal daran, dass wir ein neues Dienstleistungsproletariat in Deutschland haben mit 12 bis 14 Prozent der Beschäftigten, die sehr intensiv, sehr hart arbeiten und vielleicht tausend Euro netto dafür nach Hause bringen. Und die sind möglicherweise, und das sieht man auch, was Wahlbeteiligung betrifft, was ihre politischen Interessen betrifft … haben nicht den Eindruck, dass die Politik sich wirklich um sie kümmert. Und was noch viel wichtiger ist, etwas Zweites, dass wir auch eine Art von Spaltung in der Mitte unserer Gesellschaft haben.
Die gesellschaftliche Mitte ist gespalten
Wir haben einen unteren Teil der Mitte, der den Eindruck immer mehr gewinnt, dass sie an den oberen Teil den Anschluss verliert, an diese Haushalte, wo zwei relativ gut verdienen und zwei Kinder haben und sich ein gutes Leben leisten können. Und diese Haushalte, die diese Möglichkeiten haben, sind in den letzten 20 Jahren eindeutig gestiegen in der Anzahl, und damit sind auch Haushalte gestiegen, etwa Einfamilienhaushalte, die eher in der Situation eines prekären Wohlstands sich befinden, auch im Blick auf die Kosten, Bildungskosten für ihre Kinder beispielsweise.
Brink: Apropos Verlierer, das sieht man ja auch gerade bei der AfD – ich sage Verlierer jetzt immer mal in Anführungszeichen – die ja dieses Potenzial dann abschöpfen. Ist die AfD, wie soll ich es formulieren, weniger eine politische Bewegung als eher ein Ausdruck einer gesellschaftlichen Stimmung, die sich gegen das politische Establishment richtet?
Bude: Ich glaube, man muss das so sehen. Man kann es auch positiv mal einen Augenblick sehen. Man kann sagen, es ist eine Art von Emanzipation im Augenblick der Gesellschaft von der Politik, die den Eindruck hat, dass da vorne Dinge abverhandelt werden, die uns gar nicht mehr treffen.
Die Logik der Gereiztheit ist etwas, was, glaube ich, jeder der Hörerinnen und Hörer kennt: Man hat mit Leuten zu tun – und da war die Flüchtlingsfrage der intensivierende Punkt – die man seit 20, 30 Jahren kennt, die plötzlich Dinge sagen, die man gar nicht mehr unterschreiben würde und man sich fragt, wie konnte ich eigentlich 30 Jahre mit den Leuten auskommen. Das ist diese Gereiztheit.
Und es gibt unter dieser Gereiztheit, und das ist etwas sehr Interessantes, ein Bedürfnis, die Dinge wieder zusammenzufügen, es gibt so eine Art von untergründiger Stimmung der Reparatur in der Gereiztheit, und die wird offenbar von politischem Personal in sehr unterschiedlicher Weise bedient. Manche tun es relativ gut, wie ich glaube, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg tut das relativ gut. Andere tun das weniger.
Brink: Also Winfried Kretschmann, der schafft, es in seiner Person zusammenzuführen?
Personen werden in der Politik immer wichtiger
Bude: Schon gestern Abend ist mir das wieder klar geworden, als er gefragt wurde, na ja, was wollen Sie jetzt für eine Koalition, da hat er das beiseite gewischt und hat gesagt, okay, das ist eigentlich eine interessante Sache, wir müssen vielleicht gewisse Übertreibungen der politischen Korrektheit korrigieren, und wir müssen vor allen Dingen versuchen, Leute wieder in das Boot der Politik hinein zu holen, von denen wir glauben, die sind irgendwie verstimmt, haben sich verabschiedet und sind im Grunde in eine Art innere Kündigung gegenüber unserer Gesellschaft getreten.
Brink: Eine ganz kurze letzte Frage: Ist es dann eigentlich nur, um aus diesem Dilemma rauszukommen, wie Sie sagen, nur mit Personen möglich, Personen wie Kretschmann?
Bude: Nein. Es ist nicht nur mit Personen möglich. Personen sind außerordentlich wichtig in modernen Gesellschaften, sie werden, glaube ich, immer wichtiger. Es geht auch um die Vorstellung eines "Wir's", das kollektive Handlungsfähigkeit gewinnt, eines "Wir's" von Gesellschaft, das mit neuen Herausforderungen zu tun hat. Und es muss eine Idee dieses "Wir's" geben, in dem verschiedene Leute mit unterschiedlichen Problemen und Sorgen Platz haben.
Brink: Dann suchen wir nach der Idee. Herzlichen Dank für Ihren Besuch hier. Der Soziologe Heinz Bude bei uns im "Studio 9", und wir sprachen auch über sein neues Buch, das behandelt nämlich die Stimmung der Gereiztheit, überhaupt die Macht von Stimmungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.