Frank Adloff: Politik der Gabe
Edition Nautilus, 2018
320 Seiten, 19,90 Euro
Ohne Gabe keine Gesellschaft
26:29 Minuten
Geben, nicht Nehmen ist der stärkste Wesenszug des Menschen und hält Gesellschaften zusammen, sagt der Hamburger Soziologe Frank Adloff. In seinem Buch "Politik der Gabe" setzt er sich für neue Formen des solidarischen Zusammenlebens ein.
Warum geben, schenken oder helfen wir? Zum Beispiel, wenn ein Obdachloser uns um ein wenig Kleingeld bittet. In jüngster Zeit sei dafür ein bestimmter Erklärungsansatz ziemlich oft zu hören, sagt Frank Adloff, nämlich "die Vorstellung, dass wir aus eigennützigen Motiven heraus geben." Dahinter stehe die Idee von Ökonomen, dass wer gibt stets mit einer Gegenleistung rechne – und sei es damit, sein Gewissen zu beruhigen oder Anerkennung durch andere zu erhalten.
Adloff, der als Professor für Soziologie an der Universität Hamburg lehrt, hält diese Erklärung jedoch für zu kurz gegriffen. Geben entspringt seiner Ansicht nach weder reinem Eigennutz noch reinem Altruismus. Entscheidend sei, dass der Akt des Gebens eine Beziehung stifte, wobei sich unterschiedliche Motive miteinander vermischen. Eigennützige Erwägungen spielten mit hinein, aber genauso gehe es um "Momente von Spontaneität und Freiheit", um das Gefühl einer moralischen Verpflichtung oder den "Ausdruck einer Zuneigung zu anderen".
Adloff bezeichnet den Menschen als "Homo donator", als gebenden Menschen im Unterschied zum bekannten Modell des "Homo oeconomicus", der sich allein von Kosten-Nutzen-Denken leiten lässt.
Mit seinen Überlegungen zur Bedeutung der Gabe knüpft Adloff an den französischen Soziologen Marcel Mauss an. Dieser veröffentlichte 1924 einen wegweisenden Essay über "die Gabe" als Prinzip des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Wie Mauss erkennt Adloff in der Gabe eine Gemeinschaft stiftende Kraft.
Geben ist nicht Tauschen
Zentral ist für ihn dabei die Unterscheidung von Gabe und Tausch. Während der Tausch dadurch definiert sei, "dass beide Parteien etwas erhalten" und man sich vorher quasi vertraglich darüber verständige, "was in welche Richtung fließt", sei die Gabe stets mit einem Risiko verbunden. Denn hier bleibe "ungewiss, ob etwas zurückkommt, wann es zurückkommt und was dann eigentlich zurückkommt." Doch gerade dieses "Moment der Bedingungslosigkeit" schafft in Adloffs Augen Vertrauen und gesellschaftlichen Zusammenhalt:
"Meine These ist, dass es eine Art von Prosozialität, eine Neigung zum Geben gibt. Ohne sie wären wir eigentlich in uns gekehrt, voller Misstrauen und würden uns überhaupt nicht für andere öffnen. Es würde nichts an Gemeinsamem entstehen können."
Handeln wir also weniger egoistisch, als uns von Ökonomen seit Jahren eingeredet wird? Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie und der Verhaltensforschung sprechen aus Adloffs Sicht dafür. So hätten Studien im direkten Vergleich zu unseren nächsten Verwandten im Tierreich, den Schimpansen, bestätigt, dass Menschen "ultrasoziale Wesen" seien:
"Wir sind darauf gepolt, die Emotionen, die Intentionen von anderen zu lesen, uns darauf einzulassen und dann in eine Kooperations-Beziehung einzutreten."
Das bisschen Haushalt …
In der Gesellschaft werde die Gabe als soziale Bindekraft jedoch seit langem unsichtbar gemacht. Seit etwa 200 Jahren, also etwa seit dem Beginn der Industrialisierung und der kapitalistischen Wirtschaftsweise, herrsche zum Beispiel die Überzeugung vor, "dass Werte hauptsächlich durch Lohnarbeit geschaffen werden." Wesentliche Voraussetzungen, die diese Arbeit erst möglich machten, blieben in dieser Sichtweise jedoch ausgeblendet. Etwa all jene Leistungen der "Sorgearbeit", die in einer traditionellen Rollenverteilung lange Zeit von Ehefrauen und Müttern erbracht wurden:
"Dass etwas zu Essen da ist, gekocht wird, dass die Wohnung sauber gehalten wird, dass die Familie sich reproduziert, die Kindererziehung und so weiter – alles klassischerweise Gaben, die in die Erhaltung der Arbeitskraft und in die Reproduktion einfließen, die aber unsichtbar gemacht wurden."
Ähnlich verhalte es sich mit Natur-Ressourcen, die intensiv genutzt werden, "ohne dass adäquat dafür Sorge getragen wird, dass sie sich reproduzieren können."
Ökonomien des Teilens
Ein weiteres Konfliktfeld erkennt Adloff in Praktiken und Ökonomien des Teilens, wie sie die Digitalisierung mit sich bringe. Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia hält er für ein Erfolgsmodell, das beweise, "dass die Gabe-Beziehung so etwas wie die größte Enzyklopädie der Welt herstellen kann". Demgegenüber sei das soziale Netzwerk Facebook "ein interessantes Mischphänomen", dessen Erfolg einerseits darauf beruhe, dass Menschen bereit seien, einander Aufmerksamkeit zu schenken, Wissen zu teilen und soziale Beziehungen zu pflegen, während der Anbieter andererseits daraus Profit schlage, dass er die Daten der Nutzerinnen und Nutzer zu Werbezwecken weiterverkaufe.
Adloff: "Wir bräuchten ein gutes Verständnis von Gabe-Beziehungen, um klarer sehen zu können, wo Gaben einfließen, die von anderen aber zum Zwecke des Profits genutzt oder, klassisch formuliert, ausgebeutet werden."
Synthese von Gabe und Tausch
Dennoch setzt Frank Adloff große Hoffnungen in eine "Politik der Gabe". Es komme darauf an, neue Rahmenbedingungen für eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Dabei setzt Adloff auch auf bewährte Modelle wie das Konzept der Genossenschaft:
"Eigentlich ist die Genossenschaft eine alte Idee, aus dem 19. Jahrhundert stammend, wo ganz viele Gabe-Elemente einfließen, gleichzeitig das Ganze aber auch etwas ist, mit dem gewirtschaftet werden kann, was auf Tausch beruht. Wir sehen also hier Verschränkungen von Gabe und Tausch, und so etwas wäre politisch zu fördern."
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