Les Convivialistes: Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Kunst des Zusammenlebens
Herausgegeben von Frank Adloff und Claus Leggewie
Transcript Verlag, Bielefeld 2014
80 Seiten, 7,99 Euro
Gut leben, aber nicht auf Kosten anderer
38:39 Minuten
Klimaschutz, sofort! Das fordern Schülerinnen und Schüler weltweit. Mehr soziale Gerechtigkeit! Dafür streiten die Gelbwesten in Frankreich. Wie geht das zusammen? Der Soziologe Frank Adloff setzt auf Gemeinwohl-Ökonomie – und „Konvivialismus“.
"Die Reichen sorgen sich um das Ende der Welt, wir sorgen uns um das Ende des Monats", so lautet ein geflügeltes Wort der Gelbwesten. Denn bis zum Monatsende reicht bei vielen das Geld nicht, und Klimaschutz muss man sich leisten können – jedenfalls wenn er aus Steuern für fossile Energieträger bezahlt werden soll.
Klimagroschen oder Haushaltskasse?
Empörung über eine geplante Erhöhung der Benzinsteuer brachte die Proteste in Frankreich ins Rollen. Tatsächlich beteiligen sich daran eher Land- als Stadtbewohner, beobachtet der Hamburger Soziologe Frank Adloff. Vor allem Angehörige der unteren Mittelschicht und finanziell noch schlechter Gestellte, die von der Preiserhöhung besonders betroffen gewesen wären, stemmen sich gegen den Kurs von Präsident Macron, auch nachdem er seine Steuerpläne inzwischen zurückgenommen hat.
Die meisten Schülerinnen und Schüler, die unter der Parole "Fridays for Future" mehr Klimaschutz einklagen, stammen dagegen aus relativ wohlhabenden Mittelschichts-Familien, so Adloff im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur. Aus seiner Sicht stehen beide Protestbewegungen für wichtige Forderungen, die einander ergänzen.
Ohne Umverteilung geht es nicht
"Wenn wir ernsthaft auf die ökologische Krise reagieren wollen, dann dürfen wir nicht mehr auf Wachstum setzen", sagt Adloff und betont zugleich: "Soziale Ungleichheiten sind über die letzten zwanzig, dreißig Jahre enorm gewachsen in allen Gesellschaften weltweit, und die Gelbwesten zeigen, dass soziale Gruppen und Bewegungen das nicht länger hinnehmen wollen."
"Beides muss angegangen werden", sagt Frank Adloff: das Problem zunehmender Ungleichheit ebenso wie die Notwendigkeit, nachhaltig zu wirtschaften. Aber wie soll es gelingen, im Sinne von Klima- und Umweltschutz Wachstum zu reduzieren und zugleich für die Ansprüche benachteiligter Bevölkerungsschichten aufzukommen? "Dann müsste man wirklich umverteilen in einem ernst zu nehmenden Sinne", erwidert Adloff, "dass tatsächlich den obersten Schichten Vermögen genommen werden müsste."
Gemeinwohl-Ökonomie: das richtige Leben im falschen
Solche und andere Forderungen enthält das "Konvivialistische Manifest", eine Denkschrift aus Frankreich, die Frank Adloff 2014 zusammen mit dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie auf Deutsch herausgegeben hat. Das Manifest gibt Anstöße für eine grundlegende Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. Ziel ist ein besseres Zusammenleben, das nicht zu Lasten anderer geht.
"Wir im Norden leben auf Kosten des Südens, die oberen Schichten auf Kosten der unteren, das ist nicht konvivial", sagt Adloff, "genauso wenig wie wir uns konvivial gegenüber der Natur verhalten: Wir leben auf Kosten der Natur, über Gebühr dessen, was sie bereitstellt." Wie es anders geht, zeigen schon jetzt Unternehmen, die sich dem Prinzip der Gemeinwohl-Ökonomie verschrieben haben.
Menschenrechte, faire Löhne, Umweltkosten mit in die Bilanz
"Die Aufgabe dieser Unternehmen besteht nicht allein darin, profitabel zu wirtschaften", erläutert Adloff, "sondern sie wollen sich bestimmten Gemeinwohl-Aspekten verschreiben." Dazu gehöre die Achtung der Menschenrechte in der gesamten Produktionskette ebenso wie der Anspruch, faire Löhne zu zahlen, die Berücksichtigung von Umweltauswirkungen in der eigenen Bilanz und der Versuch, Entscheidungen im Unternehmen selbst zu demokratisieren.
Für solche am Gemeinwohl orientierten Geschäftsmodelle wünscht sich Adloff klare Anreize durch die Politik, zum Beispiel in Form von Steuererleichterungen, wie sie heute schon gemeinnützigen Vereinen zugutekommen. Es wäre aus seiner Sicht ein überfälliger Kurswechsel.
Kooperation statt Konkurrenz – ein neues Menschenbild
"Wir haben konsequent daran gearbeitet, Institutionen so zu formieren, dass sie den Eigennutz nahelegen, und es würde besser funktionieren, wenn wir auf Kooperationsanreize setzen", so Adloff. "Das gilt es jetzt zu reformieren: dass es falsche Anreizsysteme gibt, wenn man das so ökonomisch ausdrücken will."
Denn die Vorstellung des liberalen Philosophen Adam Smith aus dem 18. Jahrhundert, dass Märkte zum Nutzen aller funktionieren, wenn jeder nur an den eigenen Vorteil denkt, hält Adloff für historisch überholt. Die Idee vom "Überleben des Stärkeren", eine grob vereinfachte Auslegung von Darwins Evolutionstheorie, finde inzwischen selbst in der Biologie immer weniger Anhänger. In der Evolutions- und Verhaltensbiologie gelte Egoismus längst nicht mehr als das allein bestimmende Prinzip.
Vergleichende Studien hätten gezeigt: Im Vergleich zu anderen Primaten wurden wir Menschen geradezu "auf Kooperation gepolt". Mit einem neuen Blick auf die Natur könnten wir heute "unser Menschenbild korrigieren", sagt Adloff. Vor allem, wenn wir dafür sorgen, dass die Gesellschaft nicht einseitig Eigennutz belohnt.
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