Rechtsextreme aus der Mitte der Gesellschaft
Warum gehen so genannte normale Bürger aus dem Haus, um vor einem Flüchtlingsheim zu randalieren? Weil sie sich von einer Welle Gleichgesinnter getragen fühlen und ihr Verhalten als mehrheitsfähig einschätzen, sagt der Leipziger Soziologe Johannes Kiess.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, hat die rechtsextremen Ausschreitungen vor einer Asylbewerberunterkunft in Heidenau nach Angaben ihres Sprechers als "beschämend" kritisiert. Und SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte bei einem Besuch in Heidenau ein entschlossenes Vorgehen gegen Rechtsextreme.
"Man darf den Typen, die sich da rumtreiben, keinen Millimeter Raum geben", sagte Gabriel. Auf fremdenfeindliche Ausschreitungen könne es "nur eine Antwort geben: Polizei, Staatsanwaltschaft und nach Möglichkeit für jeden, den wir erwischen, auch das Gefängnis".
Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz, CDU, hatte Gabriel eingeladen, nachdem es dort am Wochenende zu massiven fremdenfeindlichen Ausschreitungen gekommen war.
Hören Sie dazu auch den Beitrag aus Heidenau von Beate Dietze:
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Politiker müssen klare Positionen beziehen
Solche deutlichen Stellungnahmen auf höchster politischer Ebene waren lange vermisst worden. Ohne ein klares Einschreiten der verantwortlichen Landes- und Bundespolitiker fühlten sich Menschen, die rechtsextreme Ansichten vertreten, immer wieder bestätigt, sagte der Leipziger Soziologe Johannes Kiess in Deutschlandradio Kultur.
Wir hätten immer noch das Bild von "ein paar Neonazis in Springerstiefeln" aus den 90er-Jahren im Kopf, sagte Kiess. Tatsächlich würden sich Rechtsextremisten jedoch von einer "Welle der Ausländerfeindlichkeit" tragen lassen und schritten dann erst zur Tat.
Wer rechtsextrem denkt, ist rechtsextrem
Kiess: "Wir müssen grundsätzlich mal klar stellen, dass Menschen die rechtsextremes Gedankengut vertreten, natürlich Rechtsextreme sind, auch wenn sie selber sagen, sie seien besorgte Bürger, sie seine Bürger der Mitte, und wenn wir sie in soziologischen Kategorien – wie Einkommen, Bildung, Alter und so weiter – als Bürger der Mitte bezeichnen würden. Politisch gesehen stehen diese Leute rechts."
Nach verschiedenen soziologischen Studien müsse man zwischen 30 und 50 Prozent der Bevölkerung als ausländerfeindlich einstufen.
"Dieser Nährboden, dieser Sumpf an Einstellungen, der ist da, der ist die ganze Zeit da gewesen – der war vor der Wende da, der ist nach der Wende da, der ist letztes Jahr da gewesen, der ist auch jetzt noch da", sagte Kiess.